dung ist nur die Schifferhose, die an den nördlichen Küsten die Seeleute tragen; weit und lang bis zu den Füßen und unten offen, gleicht sie genau der heutigen Turnerhose: die Art der Schiffsarbeit bedingt ihre Gestalt, und sie ist darum unwandel- bar geblieben. Die gewöhnliche Fußbekleidung ist der Schuh, welcher den ganzen Fuß in ziemlich plumper Gestalt bedeckt, aber die Marschgegenden und der schwere leimige Boden lassen den Stiefel dort in größerem Gebrauch erscheinen.
So kann eigentlich im sechszehnten Jahrhundert von einer Volkstracht im heutigen Sinne des Worts weder in Städten noch auf dem Lande die Rede sein; es sind nur die Anfänge des Werdens sichtbar, die überall unter denselben Gesetzen vor sich gehen. Es dürfte kein deutscher Stamm, keine noch so ent- legene Gegend davon auszunehmen sein. Gehen wir z. B. zu den Dithmarsen, einem Völkchen, das, freiheitsliebend und ab- geschlossen im ganzen Mittelalter, noch am Schlusse desselben die blutigsten und glücklichsten Kämpfe für seine Unabhängigkeit ge- führt hat. In seiner Tracht findet sich in der zweiten Hälfte oder gegen den Schluß des sechszehnten Jahrhunderts keine Spur von Originalität. Da ist z. B. ein Mann aus dem Städtlein Eider- stadt -- unsre Quelle ist Braun's Städtebuch --, der erscheint völlig modern in der Weise um 1570: ein runder spanischer Hut mit mäßiger Krämpe und Feder, ein gestutzter, gegen das Kinn spitz zulaufender Vollbart, mäßige Pluderhose mit Pluderlatz, aber bis über die Kniee hohe umgekrämpte Stiefel, kurzes Wamms und an der Seite einen kurzen, bäurischen Säbel. Ein anderer trägt die Pluderhose in landsknechtischer Weise, den rau- hen Landsknechtshut mit schmalem Rand und Feder, langen Voll- bart und das kurze spanische Mäntelchen. Ein dritter ist mit der Schifferhose bekleidet, einem gewöhnlichen Wamms mit Schul- terwülsten und dem geschlitzten spitzigen Schuh. Einer trägt die spanische Hose, andre abgerundete Schuhe: nirgends erblickt man etwas Festes oder Originelles. Die Frauen tragen theil- weise noch wulstige Hauben, die stark ans funfzehnte Jahrhundert erinnern, theils dick geflochtene Zöpfe, die Brust bedeckt und auch
III. Die Neuzeit.
dung iſt nur die Schifferhoſe, die an den nördlichen Küſten die Seeleute tragen; weit und lang bis zu den Füßen und unten offen, gleicht ſie genau der heutigen Turnerhoſe: die Art der Schiffsarbeit bedingt ihre Geſtalt, und ſie iſt darum unwandel- bar geblieben. Die gewöhnliche Fußbekleidung iſt der Schuh, welcher den ganzen Fuß in ziemlich plumper Geſtalt bedeckt, aber die Marſchgegenden und der ſchwere leimige Boden laſſen den Stiefel dort in größerem Gebrauch erſcheinen.
So kann eigentlich im ſechszehnten Jahrhundert von einer Volkstracht im heutigen Sinne des Worts weder in Städten noch auf dem Lande die Rede ſein; es ſind nur die Anfänge des Werdens ſichtbar, die überall unter denſelben Geſetzen vor ſich gehen. Es dürfte kein deutſcher Stamm, keine noch ſo ent- legene Gegend davon auszunehmen ſein. Gehen wir z. B. zu den Dithmarſen, einem Völkchen, das, freiheitsliebend und ab- geſchloſſen im ganzen Mittelalter, noch am Schluſſe deſſelben die blutigſten und glücklichſten Kämpfe für ſeine Unabhängigkeit ge- führt hat. In ſeiner Tracht findet ſich in der zweiten Hälfte oder gegen den Schluß des ſechszehnten Jahrhunderts keine Spur von Originalität. Da iſt z. B. ein Mann aus dem Städtlein Eider- ſtadt — unſre Quelle iſt Braun’s Städtebuch —, der erſcheint völlig modern in der Weiſe um 1570: ein runder ſpaniſcher Hut mit mäßiger Krämpe und Feder, ein geſtutzter, gegen das Kinn ſpitz zulaufender Vollbart, mäßige Pluderhoſe mit Pluderlatz, aber bis über die Kniee hohe umgekrämpte Stiefel, kurzes Wamms und an der Seite einen kurzen, bäuriſchen Säbel. Ein anderer trägt die Pluderhoſe in landsknechtiſcher Weiſe, den rau- hen Landsknechtshut mit ſchmalem Rand und Feder, langen Voll- bart und das kurze ſpaniſche Mäntelchen. Ein dritter iſt mit der Schifferhoſe bekleidet, einem gewöhnlichen Wamms mit Schul- terwülſten und dem geſchlitzten ſpitzigen Schuh. Einer trägt die ſpaniſche Hoſe, andre abgerundete Schuhe: nirgends erblickt man etwas Feſtes oder Originelles. Die Frauen tragen theil- weiſe noch wulſtige Hauben, die ſtark ans funfzehnte Jahrhundert erinnern, theils dick geflochtene Zöpfe, die Bruſt bedeckt und auch
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0178"n="166"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">III.</hi> Die Neuzeit.</fw><lb/>
dung iſt nur die Schifferhoſe, die an den nördlichen Küſten die<lb/>
Seeleute tragen; weit und lang bis zu den Füßen und unten<lb/>
offen, gleicht ſie genau der heutigen Turnerhoſe: die Art der<lb/>
Schiffsarbeit bedingt ihre Geſtalt, und ſie iſt darum unwandel-<lb/>
bar geblieben. Die gewöhnliche Fußbekleidung iſt der Schuh,<lb/>
welcher den ganzen Fuß in ziemlich plumper Geſtalt bedeckt, aber<lb/>
die Marſchgegenden und der ſchwere leimige Boden laſſen den<lb/>
Stiefel dort in größerem Gebrauch erſcheinen.</p><lb/><p>So kann eigentlich im ſechszehnten Jahrhundert von einer<lb/>
Volkstracht im heutigen Sinne des Worts weder in Städten<lb/>
noch auf dem Lande die Rede ſein; es ſind nur die Anfänge<lb/>
des Werdens ſichtbar, die überall unter denſelben Geſetzen vor<lb/>ſich gehen. Es dürfte kein deutſcher Stamm, keine noch ſo ent-<lb/>
legene Gegend davon auszunehmen ſein. Gehen wir z. B. zu<lb/>
den Dithmarſen, einem Völkchen, das, freiheitsliebend und ab-<lb/>
geſchloſſen im ganzen Mittelalter, noch am Schluſſe deſſelben die<lb/>
blutigſten und glücklichſten Kämpfe für ſeine Unabhängigkeit ge-<lb/>
führt hat. In ſeiner Tracht findet ſich in der zweiten Hälfte oder<lb/>
gegen den Schluß des ſechszehnten Jahrhunderts keine Spur von<lb/>
Originalität. Da iſt z. B. ein Mann aus dem Städtlein Eider-<lb/>ſtadt — unſre Quelle iſt Braun’s Städtebuch —, der erſcheint<lb/>
völlig modern in der Weiſe um 1570: ein runder ſpaniſcher Hut<lb/>
mit mäßiger Krämpe und Feder, ein geſtutzter, gegen das Kinn<lb/>ſpitz zulaufender Vollbart, mäßige Pluderhoſe mit Pluderlatz,<lb/>
aber bis über die Kniee hohe umgekrämpte Stiefel, kurzes<lb/>
Wamms und an der Seite einen kurzen, bäuriſchen Säbel. Ein<lb/>
anderer trägt die Pluderhoſe in landsknechtiſcher Weiſe, den rau-<lb/>
hen Landsknechtshut mit ſchmalem Rand und Feder, langen Voll-<lb/>
bart und das kurze ſpaniſche Mäntelchen. Ein dritter iſt mit der<lb/>
Schifferhoſe bekleidet, einem gewöhnlichen Wamms mit Schul-<lb/>
terwülſten und dem geſchlitzten ſpitzigen Schuh. Einer trägt die<lb/>ſpaniſche Hoſe, andre abgerundete Schuhe: nirgends erblickt<lb/>
man etwas Feſtes oder Originelles. Die Frauen tragen theil-<lb/>
weiſe noch wulſtige Hauben, die ſtark ans funfzehnte Jahrhundert<lb/>
erinnern, theils dick geflochtene Zöpfe, die Bruſt bedeckt und auch<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[166/0178]
III. Die Neuzeit.
dung iſt nur die Schifferhoſe, die an den nördlichen Küſten die
Seeleute tragen; weit und lang bis zu den Füßen und unten
offen, gleicht ſie genau der heutigen Turnerhoſe: die Art der
Schiffsarbeit bedingt ihre Geſtalt, und ſie iſt darum unwandel-
bar geblieben. Die gewöhnliche Fußbekleidung iſt der Schuh,
welcher den ganzen Fuß in ziemlich plumper Geſtalt bedeckt, aber
die Marſchgegenden und der ſchwere leimige Boden laſſen den
Stiefel dort in größerem Gebrauch erſcheinen.
So kann eigentlich im ſechszehnten Jahrhundert von einer
Volkstracht im heutigen Sinne des Worts weder in Städten
noch auf dem Lande die Rede ſein; es ſind nur die Anfänge
des Werdens ſichtbar, die überall unter denſelben Geſetzen vor
ſich gehen. Es dürfte kein deutſcher Stamm, keine noch ſo ent-
legene Gegend davon auszunehmen ſein. Gehen wir z. B. zu
den Dithmarſen, einem Völkchen, das, freiheitsliebend und ab-
geſchloſſen im ganzen Mittelalter, noch am Schluſſe deſſelben die
blutigſten und glücklichſten Kämpfe für ſeine Unabhängigkeit ge-
führt hat. In ſeiner Tracht findet ſich in der zweiten Hälfte oder
gegen den Schluß des ſechszehnten Jahrhunderts keine Spur von
Originalität. Da iſt z. B. ein Mann aus dem Städtlein Eider-
ſtadt — unſre Quelle iſt Braun’s Städtebuch —, der erſcheint
völlig modern in der Weiſe um 1570: ein runder ſpaniſcher Hut
mit mäßiger Krämpe und Feder, ein geſtutzter, gegen das Kinn
ſpitz zulaufender Vollbart, mäßige Pluderhoſe mit Pluderlatz,
aber bis über die Kniee hohe umgekrämpte Stiefel, kurzes
Wamms und an der Seite einen kurzen, bäuriſchen Säbel. Ein
anderer trägt die Pluderhoſe in landsknechtiſcher Weiſe, den rau-
hen Landsknechtshut mit ſchmalem Rand und Feder, langen Voll-
bart und das kurze ſpaniſche Mäntelchen. Ein dritter iſt mit der
Schifferhoſe bekleidet, einem gewöhnlichen Wamms mit Schul-
terwülſten und dem geſchlitzten ſpitzigen Schuh. Einer trägt die
ſpaniſche Hoſe, andre abgerundete Schuhe: nirgends erblickt
man etwas Feſtes oder Originelles. Die Frauen tragen theil-
weiſe noch wulſtige Hauben, die ſtark ans funfzehnte Jahrhundert
erinnern, theils dick geflochtene Zöpfe, die Bruſt bedeckt und auch
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 166. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/178>, abgerufen am 01.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.