sie nachschleifen oder legten sie über den Arm. In Nürnberg hießen solche Kleider Flügelröcke. Ebenfalls war sie aus dem Hofleben nicht verbannt, doch auch hier nur bei feierlichen Ge- legenheiten gebräuchlich. Bei der Vermählung Heinrichs IV. mit Maria Medicis hatte das Brautkleid der Königin eine Schleppe von funfzehn Ellen Länge, "mit eitel güldenen Lilien besetzt, darinnen sie glänzte, wie die Sonne in den Wolken."
Schon mehrfach ist angedeutet worden, wie diese Periode ihren eigenthümlichen Charakter grade in der Farbe zur Erschei- nung bringt und dadurch namentlich zum funfzehnten Jahrhun- dert und auch noch zur Reformationsperiode in den entschieden- sten Gegensatz tritt. Vor der Bußfertigkeit und der Ehrbarkeit verschwindet all die bunte Farbenlust, und selbst die Landsknechte mit ihren pludrigen Massen werden hierin bescheidener. Wir haben gesehen, wie die symmetrische und unsymmetrische Farben- theilung über den ganzen Körper von Kopf zu Fuß in der ersten Hälfte des sechszehnten Jahrhunderts noch in fröhlicher Blüthe steht, in der zweiten bleibt sie nur noch dem Schweizer, der gerne mit dem alten Costüm "prangt und pracht", bis sie im folgenden Jahrhundert zweigetheilt in des Landes Farben bei den Weibeln und andern öffentlichen Dienern stehn bleibt und in dieser Weise in die Gegenwart hereinreicht. Auch in deutschen Städten konnte man bei den Stadtdienern noch bis Ende des vorigen Jahrhun- derts, vielleicht auch noch im gegenwärtigen, diese Versteinerung einer tausendjährigen Sitte erkennen. Zugleich mit der bunten Zusammensetzung weicht auch die Lebhaftigkeit der Farben, und die dunklen oder die gebrochenen erhalten den Vorzug. Es ist das freilich mehr noch in der Männerwelt der Fall als bei den Frauen, doch auch bei diesen bringt ein einfarbig dunkles Ober- kleid gewöhnlich dieselbe Wirkung hervor. Es ist im wohlhaben- den wie im niedern Bürgerstand nichts seltnes und sogar als die Regel zu betrachten, daß Wamms und Beinkleid, mag es nun die Pluderhose oder das spanische sein, von einer wenig wirkungs- vollen Farbe sind, und nimmt man schwarze Schuhe und schwar- zen Hut und eine dunkelbraune Schaube oder Mantel dazu, so
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2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſie nachſchleifen oder legten ſie über den Arm. In Nürnberg hießen ſolche Kleider Flügelröcke. Ebenfalls war ſie aus dem Hofleben nicht verbannt, doch auch hier nur bei feierlichen Ge- legenheiten gebräuchlich. Bei der Vermählung Heinrichs IV. mit Maria Medicis hatte das Brautkleid der Königin eine Schleppe von funfzehn Ellen Länge, „mit eitel güldenen Lilien beſetzt, darinnen ſie glänzte, wie die Sonne in den Wolken.“
Schon mehrfach iſt angedeutet worden, wie dieſe Periode ihren eigenthümlichen Charakter grade in der Farbe zur Erſchei- nung bringt und dadurch namentlich zum funfzehnten Jahrhun- dert und auch noch zur Reformationsperiode in den entſchieden- ſten Gegenſatz tritt. Vor der Bußfertigkeit und der Ehrbarkeit verſchwindet all die bunte Farbenluſt, und ſelbſt die Landsknechte mit ihren pludrigen Maſſen werden hierin beſcheidener. Wir haben geſehen, wie die ſymmetriſche und unſymmetriſche Farben- theilung über den ganzen Körper von Kopf zu Fuß in der erſten Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts noch in fröhlicher Blüthe ſteht, in der zweiten bleibt ſie nur noch dem Schweizer, der gerne mit dem alten Coſtüm „prangt und pracht“, bis ſie im folgenden Jahrhundert zweigetheilt in des Landes Farben bei den Weibeln und andern öffentlichen Dienern ſtehn bleibt und in dieſer Weiſe in die Gegenwart hereinreicht. Auch in deutſchen Städten konnte man bei den Stadtdienern noch bis Ende des vorigen Jahrhun- derts, vielleicht auch noch im gegenwärtigen, dieſe Verſteinerung einer tauſendjährigen Sitte erkennen. Zugleich mit der bunten Zuſammenſetzung weicht auch die Lebhaftigkeit der Farben, und die dunklen oder die gebrochenen erhalten den Vorzug. Es iſt das freilich mehr noch in der Männerwelt der Fall als bei den Frauen, doch auch bei dieſen bringt ein einfarbig dunkles Ober- kleid gewöhnlich dieſelbe Wirkung hervor. Es iſt im wohlhaben- den wie im niedern Bürgerſtand nichts ſeltnes und ſogar als die Regel zu betrachten, daß Wamms und Beinkleid, mag es nun die Pluderhoſe oder das ſpaniſche ſein, von einer wenig wirkungs- vollen Farbe ſind, und nimmt man ſchwarze Schuhe und ſchwar- zen Hut und eine dunkelbraune Schaube oder Mantel dazu, ſo
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2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
ſie nachſchleifen oder legten ſie über den Arm. In Nürnberg
hießen ſolche Kleider Flügelröcke. Ebenfalls war ſie aus dem
Hofleben nicht verbannt, doch auch hier nur bei feierlichen Ge-
legenheiten gebräuchlich. Bei der Vermählung Heinrichs IV. mit
Maria Medicis hatte das Brautkleid der Königin eine Schleppe
von funfzehn Ellen Länge, „mit eitel güldenen Lilien beſetzt,
darinnen ſie glänzte, wie die Sonne in den Wolken.“
Schon mehrfach iſt angedeutet worden, wie dieſe Periode
ihren eigenthümlichen Charakter grade in der Farbe zur Erſchei-
nung bringt und dadurch namentlich zum funfzehnten Jahrhun-
dert und auch noch zur Reformationsperiode in den entſchieden-
ſten Gegenſatz tritt. Vor der Bußfertigkeit und der Ehrbarkeit
verſchwindet all die bunte Farbenluſt, und ſelbſt die Landsknechte
mit ihren pludrigen Maſſen werden hierin beſcheidener. Wir
haben geſehen, wie die ſymmetriſche und unſymmetriſche Farben-
theilung über den ganzen Körper von Kopf zu Fuß in der erſten
Hälfte des ſechszehnten Jahrhunderts noch in fröhlicher Blüthe
ſteht, in der zweiten bleibt ſie nur noch dem Schweizer, der gerne
mit dem alten Coſtüm „prangt und pracht“, bis ſie im folgenden
Jahrhundert zweigetheilt in des Landes Farben bei den Weibeln
und andern öffentlichen Dienern ſtehn bleibt und in dieſer Weiſe
in die Gegenwart hereinreicht. Auch in deutſchen Städten konnte
man bei den Stadtdienern noch bis Ende des vorigen Jahrhun-
derts, vielleicht auch noch im gegenwärtigen, dieſe Verſteinerung
einer tauſendjährigen Sitte erkennen. Zugleich mit der bunten
Zuſammenſetzung weicht auch die Lebhaftigkeit der Farben, und
die dunklen oder die gebrochenen erhalten den Vorzug. Es iſt
das freilich mehr noch in der Männerwelt der Fall als bei den
Frauen, doch auch bei dieſen bringt ein einfarbig dunkles Ober-
kleid gewöhnlich dieſelbe Wirkung hervor. Es iſt im wohlhaben-
den wie im niedern Bürgerſtand nichts ſeltnes und ſogar als die
Regel zu betrachten, daß Wamms und Beinkleid, mag es nun
die Pluderhoſe oder das ſpaniſche ſein, von einer wenig wirkungs-
vollen Farbe ſind, und nimmt man ſchwarze Schuhe und ſchwar-
zen Hut und eine dunkelbraune Schaube oder Mantel dazu, ſo
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/159>, abgerufen am 08.07.2024.
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