Um das Jahr 1600, als sich schon mannigfach die Anzeichen einer neuen Costümperiode sichtbar machen, hat der Reifrock in Deutschland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber seine Form ist nicht zum Vortheil der weiblichen Erscheinung geändert. Städterinnen tragen ihn so, daß er förmlich einer Tonne gleicht. Folgen wir seinem Profil, so beginnt er von der Taille ab rund- um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder darüber abzustehen und dann, im rechten Winkel sich brechend, fällt er senkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr 1612 verbietet die sächsische Ordnung alle "Leibeisen" oder die "großen Eisen und Wülste unter den Röcken." Als die modische Welt den Reifrock aufgegeben hat, spielt er noch eine Zeitlang seine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge- kommenen Trachtenstücken, und selbst auch bei den (protestan- tischen) Klosterjungfrauen. Eine braunschweigisch-lüneburgische Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen "mit Eisen oder sonst weit ausgesperrte Röcke zu tragen." Seiner Zeit werden wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachsen sehen.
Als Ersatz des für gewöhnlich der bürgerlich städtischen Tracht überlassenen Mantels konnte unter Umständen das weite Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze Schaube oder die Mantille, welcher Name schon damals in Deutschland ge- hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf sie über, sowie sie sich in der oben angegebenen Weise verkürzt und sich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert. Und grade so geschieht es mit dem letzteren selbst, auch diesen schlägt die modische Dame um ihre Schultern. Die gestrengen Tadler, die Geistlichen, bemerken das sofort und lassen sich dar- über mit gar wenig Galanterie aus: "Die Mantelichen oder Harzkappen waren zwar vor Alters der Geistlichen, nachmals in Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren- kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen sein. Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis sie dieselbe über ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitischen
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Um das Jahr 1600, als ſich ſchon mannigfach die Anzeichen einer neuen Coſtümperiode ſichtbar machen, hat der Reifrock in Deutſchland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber ſeine Form iſt nicht zum Vortheil der weiblichen Erſcheinung geändert. Städterinnen tragen ihn ſo, daß er förmlich einer Tonne gleicht. Folgen wir ſeinem Profil, ſo beginnt er von der Taille ab rund- um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder darüber abzuſtehen und dann, im rechten Winkel ſich brechend, fällt er ſenkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr 1612 verbietet die ſächſiſche Ordnung alle „Leibeiſen“ oder die „großen Eiſen und Wülſte unter den Röcken.“ Als die modiſche Welt den Reifrock aufgegeben hat, ſpielt er noch eine Zeitlang ſeine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge- kommenen Trachtenſtücken, und ſelbſt auch bei den (proteſtan- tiſchen) Kloſterjungfrauen. Eine braunſchweigiſch-lüneburgiſche Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen „mit Eiſen oder ſonſt weit ausgeſperrte Röcke zu tragen.“ Seiner Zeit werden wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachſen ſehen.
Als Erſatz des für gewöhnlich der bürgerlich ſtädtiſchen Tracht überlaſſenen Mantels konnte unter Umſtänden das weite Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze Schaube oder die Mantille, welcher Name ſchon damals in Deutſchland ge- hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf ſie über, ſowie ſie ſich in der oben angegebenen Weiſe verkürzt und ſich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert. Und grade ſo geſchieht es mit dem letzteren ſelbſt, auch dieſen ſchlägt die modiſche Dame um ihre Schultern. Die geſtrengen Tadler, die Geiſtlichen, bemerken das ſofort und laſſen ſich dar- über mit gar wenig Galanterie aus: „Die Mantelichen oder Harzkappen waren zwar vor Alters der Geiſtlichen, nachmals in Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren- kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen ſein. Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis ſie dieſelbe über ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitiſchen
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2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
Um das Jahr 1600, als ſich ſchon mannigfach die Anzeichen
einer neuen Coſtümperiode ſichtbar machen, hat der Reifrock in
Deutſchland noch keineswegs an Bedeutung verloren; aber ſeine
Form iſt nicht zum Vortheil der weiblichen Erſcheinung geändert.
Städterinnen tragen ihn ſo, daß er förmlich einer Tonne gleicht.
Folgen wir ſeinem Profil, ſo beginnt er von der Taille ab rund-
um in völlig horizontaler Linie auf ein bis zwei Fuß Weite oder
darüber abzuſtehen und dann, im rechten Winkel ſich brechend,
fällt er ſenkrecht nicht ganz bis auf den Boden herab. Im Jahr
1612 verbietet die ſächſiſche Ordnung alle „Leibeiſen“ oder die
„großen Eiſen und Wülſte unter den Röcken.“ Als die modiſche
Welt den Reifrock aufgegeben hat, ſpielt er noch eine Zeitlang
ſeine Rolle bei den Bürgerfrauen mit den andern herunter ge-
kommenen Trachtenſtücken, und ſelbſt auch bei den (proteſtan-
tiſchen) Kloſterjungfrauen. Eine braunſchweigiſch-lüneburgiſche
Verordnung vom Jahre 1619 verbietet ihnen „mit Eiſen oder
ſonſt weit ausgeſperrte Röcke zu tragen.“ Seiner Zeit werden
wir ihn wieder zu neuem Lebensgange emporwachſen ſehen.
Als Erſatz des für gewöhnlich der bürgerlich ſtädtiſchen
Tracht überlaſſenen Mantels konnte unter Umſtänden das weite
Oberkleid dienen, gewöhnlicher aber die kurze Schaube oder
die Mantille, welcher Name ſchon damals in Deutſchland ge-
hört wurde. Die männliche Schaube war bisher nicht von den
Frauen getragen worden, geht nun aber in allen Formen auf ſie
über, ſowie ſie ſich in der oben angegebenen Weiſe verkürzt und
ſich, leichter und zierlicher geworden, dem kurzen Mantel nähert.
Und grade ſo geſchieht es mit dem letzteren ſelbſt, auch dieſen
ſchlägt die modiſche Dame um ihre Schultern. Die geſtrengen
Tadler, die Geiſtlichen, bemerken das ſofort und laſſen ſich dar-
über mit gar wenig Galanterie aus: „Die Mantelichen oder
Harzkappen waren zwar vor Alters der Geiſtlichen, nachmals in
Niederland der Kaufleute und anderer ehrlicher Bürger Ehren-
kleid, in welches doch endlich auch die Kriegsleute gekrochen ſein.
Aber die Weiber haben keine Ruhe gehabt, bis ſie dieſelbe über
ihr knickknackend Ribbenfell gezogen und mit dem levitiſchen
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/145>, abgerufen am 16.02.2025.
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