"Wie viel Mützchen sollt'st du kriegen, Wie viel Strümpf' silberbeschlagen, Wie viel schöne Damasthosen, Wie viel Mäntel Linnen Hollands."
Wir sehen also, daß auch Mäntel von feiner holländischer Lein- wand getragen wurden, wahrscheinlich im Sommer der Kühlung wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Facon nach der Jahreszeit wechselte.
In Vecellio's Trachtenbuch wird uns eine spanische Dame etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt, welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange- hört. Wenn sie auch in Einzelheiten von der deutschen Mode abweicht, so ist doch der Gesammtcharakter völlig derselbe, denn alles ist frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür- lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrschaft über den Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar ist schlicht und nur theil- weise von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die Brust halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausschnitt des Leibchens das in feine Falten gelegte und gesäumte Hemd heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab. Nach der Beschreibung Vecellio's hat es keine Aermel; diese be- stehen für sich, sind von weiter feiner Leinwand, an den Schul- tern befestigt, mehrfach umbunden und gleichen so ganz den auf- geschnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge- fällige, einfache und leichte Anmuth verändert sich bei der Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in's Gegentheil, in enge Einpressung, faltenlose Steifheit und nonnenhafte Verhül- lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen, um die eigentliche sogenannte spanische Tracht in der vornehmen Frauenwelt schon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu seiner Zeit -- es ist das freilich schon gegen das Ende des Jahrhunderts -- spricht Vecellio von der allerengsten Einschnürung der Brust und der Seiten, an welche die Spanierinnen sich von Kindheit an gewöhnen und die sie fortsetzen, so lange sie leben. Schon
2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
„Wie viel Mützchen ſollt’ſt du kriegen, Wie viel Strümpf’ ſilberbeſchlagen, Wie viel ſchöne Damaſthoſen, Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“
Wir ſehen alſo, daß auch Mäntel von feiner holländiſcher Lein- wand getragen wurden, wahrſcheinlich im Sommer der Kühlung wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Façon nach der Jahreszeit wechſelte.
In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine ſpaniſche Dame etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt, welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange- hört. Wenn ſie auch in Einzelheiten von der deutſchen Mode abweicht, ſo iſt doch der Geſammtcharakter völlig derſelbe, denn alles iſt frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür- lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrſchaft über den Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar iſt ſchlicht und nur theil- weiſe von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die Bruſt halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausſchnitt des Leibchens das in feine Falten gelegte und geſäumte Hemd heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab. Nach der Beſchreibung Vecellio’s hat es keine Aermel; dieſe be- ſtehen für ſich, ſind von weiter feiner Leinwand, an den Schul- tern befeſtigt, mehrfach umbunden und gleichen ſo ganz den auf- geſchnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge- fällige, einfache und leichte Anmuth verändert ſich bei der Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in’s Gegentheil, in enge Einpreſſung, faltenloſe Steifheit und nonnenhafte Verhül- lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen, um die eigentliche ſogenannte ſpaniſche Tracht in der vornehmen Frauenwelt ſchon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu ſeiner Zeit — es iſt das freilich ſchon gegen das Ende des Jahrhunderts — ſpricht Vecellio von der allerengſten Einſchnürung der Bruſt und der Seiten, an welche die Spanierinnen ſich von Kindheit an gewöhnen und die ſie fortſetzen, ſo lange ſie leben. Schon
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2. Die Reaction und die ſpaniſche Tracht.
„Wie viel Mützchen ſollt’ſt du kriegen,
Wie viel Strümpf’ ſilberbeſchlagen,
Wie viel ſchöne Damaſthoſen,
Wie viel Mäntel Linnen Hollands.“
Wir ſehen alſo, daß auch Mäntel von feiner holländiſcher Lein-
wand getragen wurden, wahrſcheinlich im Sommer der Kühlung
wegen, da der Spanier nur den Stoff, nicht die Façon nach
der Jahreszeit wechſelte.
In Vecellio’s Trachtenbuch wird uns eine ſpaniſche
Dame etwa vom Jahre 1520 oder wenig früher vorgeführt,
welche noch völlig der Zeit vor dem Eintritte der Reaction ange-
hört. Wenn ſie auch in Einzelheiten von der deutſchen Mode
abweicht, ſo iſt doch der Geſammtcharakter völlig derſelbe, denn
alles iſt frei und leicht, ohne Uebertreibung und giebt der natür-
lichen Beweglichkeit der Glieder, der freien Herrſchaft über den
Körper keinerlei Hinderniß. Das Haar iſt ſchlicht und nur theil-
weiſe von einer netzartigen Haube bedeckt, der Hals bloß und die
Bruſt halb decolletirt, indem aus dem tieferen runden Ausſchnitt
des Leibchens das in feine Falten gelegte und geſäumte Hemd
heraustritt. Das Kleid, mit mäßig hoher Taille und nirgends
beengend, fällt lang und in faltenreicher Weite zum Boden herab.
Nach der Beſchreibung Vecellio’s hat es keine Aermel; dieſe be-
ſtehen für ſich, ſind von weiter feiner Leinwand, an den Schul-
tern befeſtigt, mehrfach umbunden und gleichen ſo ganz den auf-
geſchnittenen Aermeln mit heraustretendem Hemd. Aber die ge-
fällige, einfache und leichte Anmuth verändert ſich bei der
Spanierin vielleicht noch früher als anderswo in’s Gegentheil, in
enge Einpreſſung, faltenloſe Steifheit und nonnenhafte Verhül-
lung. Wir brauchen nur wenige Jahrzehnte weiter zu gehen,
um die eigentliche ſogenannte ſpaniſche Tracht in der vornehmen
Frauenwelt ſchon auf ihrem Höhepunkte zu erblicken. Zu ſeiner
Zeit — es iſt das freilich ſchon gegen das Ende des Jahrhunderts
— ſpricht Vecellio von der allerengſten Einſchnürung der Bruſt
und der Seiten, an welche die Spanierinnen ſich von Kindheit
an gewöhnen und die ſie fortſetzen, ſo lange ſie leben. Schon
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 2. Leipzig, 1858, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten02_1858/105>, abgerufen am 16.02.2025.
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