1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Damen, die also vertraut sein mußten mit der edlen Sangeskunst. Bei Tische oder sonst zur Unterhaltung wurden die alten Sagen, Erzählungen und Geschichten vorgetragen. Die Damen wurden im Gesang und in der Instrumentalmusik unterrichtet, und auch das Lesen und Schreiben war ihnen geläufiger als den Männern. Die Folge war, daß sie ihrerseits sich selbstthätig der Litteratur annahmen und ihren Einfluß auf sie ausübten.
Durch diese directe Einwirkung sowie durch die veränderte gesellschaftliche Stellung der Frauen wurde auch die ganze Poesie umgewandelt; sie wird nun ihrem wesentlichen Charakter nach eine weibliche. Wie die Lyrik selbst als der vorzugsweise weib- liche Zweig überhaupt erst neu geschaffen wird und sich also gleich überwiegend vordrängt, so breitet sich der lyrische Geist in den andern Zweigen der Poesie aus und durchdringt das Epos völlig. Im alten Volksepos und noch in der überlieferten Form des Ni- belungenliedes herrschen die alten Charakterzüge, das Heldenthum und die Welt der Thaten, die Mannestreue und die Liebe als leidenschaftliche Hingebung des liebenden Weibes an den Gelieb- ten. Er ist der Herr. Die Liebe des Mannes zur Frau war gewiß nicht schwächer als später, aber sie äußerte sich in anderer Weise, der Mann blieb Mann und hielt sich unberührt von gefühlvoller Zärtlichkeit und überströmender Empfindung. Im ritterlichen Epos ist die Frau bereits die Herrin, welcher die Thaten des Mannes gelten; ihr wird Verehrung geweiht wie einem andern, höheren Wesen, gegenwärtig bringt er ihr seine Huldigungen dar in zar- tester Weise nach den Vorschriften der feinen höfischen Sitte, und abwesend zieht sie all sein Denken auf sich, und macht ihn alle Noth und Trübsal vergessen und alle Dinge um ihn her. So bleibt Parzival wie bezaubert stehen, da er im weißen Schnee drei Bluts- tropfen findet; die Farben führen ihm das Bild seiner schönen Königin vor die Seele; von Minnezauber gefesselt, hält er sein Pferd an und versinkt, sich selbst und alles Andre vergessend, in stilles Sehnen und Gedenken. Besinnungslos bleibt er in diesem Zustande, als ihn ein Ritter von der Tafelrunde zum Kampf auf- fordert: er hört ihn nicht und sieht ihn nicht, bis sein Pferd sich
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Damen, die alſo vertraut ſein mußten mit der edlen Sangeskunſt. Bei Tiſche oder ſonſt zur Unterhaltung wurden die alten Sagen, Erzählungen und Geſchichten vorgetragen. Die Damen wurden im Geſang und in der Inſtrumentalmuſik unterrichtet, und auch das Leſen und Schreiben war ihnen geläufiger als den Männern. Die Folge war, daß ſie ihrerſeits ſich ſelbſtthätig der Litteratur annahmen und ihren Einfluß auf ſie ausübten.
Durch dieſe directe Einwirkung ſowie durch die veränderte geſellſchaftliche Stellung der Frauen wurde auch die ganze Poeſie umgewandelt; ſie wird nun ihrem weſentlichen Charakter nach eine weibliche. Wie die Lyrik ſelbſt als der vorzugsweiſe weib- liche Zweig überhaupt erſt neu geſchaffen wird und ſich alſo gleich überwiegend vordrängt, ſo breitet ſich der lyriſche Geiſt in den andern Zweigen der Poeſie aus und durchdringt das Epos völlig. Im alten Volksepos und noch in der überlieferten Form des Ni- belungenliedes herrſchen die alten Charakterzüge, das Heldenthum und die Welt der Thaten, die Mannestreue und die Liebe als leidenſchaftliche Hingebung des liebenden Weibes an den Gelieb- ten. Er iſt der Herr. Die Liebe des Mannes zur Frau war gewiß nicht ſchwächer als ſpäter, aber ſie äußerte ſich in anderer Weiſe, der Mann blieb Mann und hielt ſich unberührt von gefühlvoller Zärtlichkeit und überſtrömender Empfindung. Im ritterlichen Epos iſt die Frau bereits die Herrin, welcher die Thaten des Mannes gelten; ihr wird Verehrung geweiht wie einem andern, höheren Weſen, gegenwärtig bringt er ihr ſeine Huldigungen dar in zar- teſter Weiſe nach den Vorſchriften der feinen höfiſchen Sitte, und abweſend zieht ſie all ſein Denken auf ſich, und macht ihn alle Noth und Trübſal vergeſſen und alle Dinge um ihn her. So bleibt Parzival wie bezaubert ſtehen, da er im weißen Schnee drei Bluts- tropfen findet; die Farben führen ihm das Bild ſeiner ſchönen Königin vor die Seele; von Minnezauber gefeſſelt, hält er ſein Pferd an und verſinkt, ſich ſelbſt und alles Andre vergeſſend, in ſtilles Sehnen und Gedenken. Beſinnungslos bleibt er in dieſem Zuſtande, als ihn ein Ritter von der Tafelrunde zum Kampf auf- fordert: er hört ihn nicht und ſieht ihn nicht, bis ſein Pferd ſich
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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Damen, die alſo vertraut ſein mußten mit der edlen Sangeskunſt.
Bei Tiſche oder ſonſt zur Unterhaltung wurden die alten Sagen,
Erzählungen und Geſchichten vorgetragen. Die Damen wurden
im Geſang und in der Inſtrumentalmuſik unterrichtet, und auch
das Leſen und Schreiben war ihnen geläufiger als den Männern.
Die Folge war, daß ſie ihrerſeits ſich ſelbſtthätig der Litteratur
annahmen und ihren Einfluß auf ſie ausübten.
Durch dieſe directe Einwirkung ſowie durch die veränderte
geſellſchaftliche Stellung der Frauen wurde auch die ganze Poeſie
umgewandelt; ſie wird nun ihrem weſentlichen Charakter nach
eine weibliche. Wie die Lyrik ſelbſt als der vorzugsweiſe weib-
liche Zweig überhaupt erſt neu geſchaffen wird und ſich alſo gleich
überwiegend vordrängt, ſo breitet ſich der lyriſche Geiſt in den
andern Zweigen der Poeſie aus und durchdringt das Epos völlig.
Im alten Volksepos und noch in der überlieferten Form des Ni-
belungenliedes herrſchen die alten Charakterzüge, das Heldenthum
und die Welt der Thaten, die Mannestreue und die Liebe als
leidenſchaftliche Hingebung des liebenden Weibes an den Gelieb-
ten. Er iſt der Herr. Die Liebe des Mannes zur Frau war gewiß
nicht ſchwächer als ſpäter, aber ſie äußerte ſich in anderer Weiſe,
der Mann blieb Mann und hielt ſich unberührt von gefühlvoller
Zärtlichkeit und überſtrömender Empfindung. Im ritterlichen Epos
iſt die Frau bereits die Herrin, welcher die Thaten des Mannes
gelten; ihr wird Verehrung geweiht wie einem andern, höheren
Weſen, gegenwärtig bringt er ihr ſeine Huldigungen dar in zar-
teſter Weiſe nach den Vorſchriften der feinen höfiſchen Sitte, und
abweſend zieht ſie all ſein Denken auf ſich, und macht ihn alle
Noth und Trübſal vergeſſen und alle Dinge um ihn her. So bleibt
Parzival wie bezaubert ſtehen, da er im weißen Schnee drei Bluts-
tropfen findet; die Farben führen ihm das Bild ſeiner ſchönen
Königin vor die Seele; von Minnezauber gefeſſelt, hält er ſein
Pferd an und verſinkt, ſich ſelbſt und alles Andre vergeſſend, in
ſtilles Sehnen und Gedenken. Beſinnungslos bleibt er in dieſem
Zuſtande, als ihn ein Ritter von der Tafelrunde zum Kampf auf-
fordert: er hört ihn nicht und ſieht ihn nicht, bis ſein Pferd ſich
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/97>, abgerufen am 08.07.2024.
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