Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. Liebe trat die irdische, zum religiösen Cultus der Frauendienst,zur Gottesminne die Frauenminne. Früher war es der Mann gewesen, der in Liebe und Lied den Mittelpunkt abgegeben hatte, er, der Starke, der Kühne, in seinem Heldenthum der Stolz der Frau, er war der Geliebte gewesen, der in der Seele des liebend hingegebenen Weibes die Leidenschaft zur verzehrenden Gluth an- gefacht hatte. Noch im Nibelungenlied spielt die Liebe diese Rolle: um den geliebten Mann geschieht hier all das höchste Leid und Weh, was die Menschheit treffen und tragen kann; keine Zeit kann die Klage um den Tod des Geliebten lösen, keine Sühnung die Lust der Rache in der weiblichen Brust ersticken; ihr wird mit dem Feinde Volk und Familie zum Opfer gebracht, bis zum eige- nen Untergange. Jetzt kehrt sich das Verhältniß um: die Frau tritt als das geliebte Wesen nicht nur in den Vordergrund, sie wird zur Herrin. Sie nimmt Besitz von allem Sein und Den- ken des Mannes; all seine Thaten und seine Bestrebungen, die sonst dem Ruhme galten, sind nun ihr geweiht; der Gedanke an sie verläßt ihn nicht Tag und Nacht, er begleitet ihn auf seinen Zügen, in die Schranken und in die Schlacht, er stählt ihn im Kampf und führt ihn zum Sieg. Doch bei diesem immerwähren- den Denken an die Geliebte wird die Empfindung bald zur Empfindsamkeit, die Liebe wird zur Minne, die ihr Genüge finden kann an dem steten, innigen Gedenken, an der stillen, seligen Sehnsucht, die das holde Bild beständig vor Augen hat, selbst wenn sie von vornherein sich die Erfüllung der höchsten Wünsche versagen muß. -- So wird nun die Frau, die Krone der Schöpfung, auch die Spitze und die unumschränkte Gebieterin alles socialen Lebens und Strebens. Die Liebe verkehrt sich in Frauen dienst, der Schönheit wird Verehrung dargebracht. So singt Walther von der Vogelweide: "Gott hat gehöhet und gehehret reine Frauen, Daß man ihnen wohl soll sprechen und dienen zu aller Zeit, Der Welt Hort mit wonniglichen Freuden liegt in ihnen." Bei dieser Stellung der Frau ging die Verehrung, welche II. Das Mittelalter. Liebe trat die irdiſche, zum religiöſen Cultus der Frauendienſt,zur Gottesminne die Frauenminne. Früher war es der Mann geweſen, der in Liebe und Lied den Mittelpunkt abgegeben hatte, er, der Starke, der Kühne, in ſeinem Heldenthum der Stolz der Frau, er war der Geliebte geweſen, der in der Seele des liebend hingegebenen Weibes die Leidenſchaft zur verzehrenden Gluth an- gefacht hatte. Noch im Nibelungenlied ſpielt die Liebe dieſe Rolle: um den geliebten Mann geſchieht hier all das höchſte Leid und Weh, was die Menſchheit treffen und tragen kann; keine Zeit kann die Klage um den Tod des Geliebten löſen, keine Sühnung die Luſt der Rache in der weiblichen Bruſt erſticken; ihr wird mit dem Feinde Volk und Familie zum Opfer gebracht, bis zum eige- nen Untergange. Jetzt kehrt ſich das Verhältniß um: die Frau tritt als das geliebte Weſen nicht nur in den Vordergrund, ſie wird zur Herrin. Sie nimmt Beſitz von allem Sein und Den- ken des Mannes; all ſeine Thaten und ſeine Beſtrebungen, die ſonſt dem Ruhme galten, ſind nun ihr geweiht; der Gedanke an ſie verläßt ihn nicht Tag und Nacht, er begleitet ihn auf ſeinen Zügen, in die Schranken und in die Schlacht, er ſtählt ihn im Kampf und führt ihn zum Sieg. Doch bei dieſem immerwähren- den Denken an die Geliebte wird die Empfindung bald zur Empfindſamkeit, die Liebe wird zur Minne, die ihr Genüge finden kann an dem ſteten, innigen Gedenken, an der ſtillen, ſeligen Sehnſucht, die das holde Bild beſtändig vor Augen hat, ſelbſt wenn ſie von vornherein ſich die Erfüllung der höchſten Wünſche verſagen muß. — So wird nun die Frau, die Krone der Schöpfung, auch die Spitze und die unumſchränkte Gebieterin alles ſocialen Lebens und Strebens. Die Liebe verkehrt ſich in Frauen dienſt, der Schönheit wird Verehrung dargebracht. So ſingt Walther von der Vogelweide: „Gott hat gehöhet und gehehret reine Frauen, Daß man ihnen wohl ſoll ſprechen und dienen zu aller Zeit, Der Welt Hort mit wonniglichen Freuden liegt in ihnen.“ Bei dieſer Stellung der Frau ging die Verehrung, welche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0094" n="76"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> Liebe trat die irdiſche, zum religiöſen Cultus der Frauendienſt,<lb/> zur Gottesminne die Frauenminne. Früher war es der Mann<lb/> geweſen, der in Liebe und Lied den Mittelpunkt abgegeben hatte,<lb/> er, der Starke, der Kühne, in ſeinem Heldenthum der Stolz der<lb/> Frau, er war der Geliebte geweſen, der in der Seele des liebend<lb/> hingegebenen Weibes die Leidenſchaft zur verzehrenden Gluth an-<lb/> gefacht hatte. 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II. Das Mittelalter.
Liebe trat die irdiſche, zum religiöſen Cultus der Frauendienſt,
zur Gottesminne die Frauenminne. Früher war es der Mann
geweſen, der in Liebe und Lied den Mittelpunkt abgegeben hatte,
er, der Starke, der Kühne, in ſeinem Heldenthum der Stolz der
Frau, er war der Geliebte geweſen, der in der Seele des liebend
hingegebenen Weibes die Leidenſchaft zur verzehrenden Gluth an-
gefacht hatte. Noch im Nibelungenlied ſpielt die Liebe dieſe Rolle:
um den geliebten Mann geſchieht hier all das höchſte Leid und
Weh, was die Menſchheit treffen und tragen kann; keine Zeit
kann die Klage um den Tod des Geliebten löſen, keine Sühnung
die Luſt der Rache in der weiblichen Bruſt erſticken; ihr wird mit
dem Feinde Volk und Familie zum Opfer gebracht, bis zum eige-
nen Untergange. Jetzt kehrt ſich das Verhältniß um: die Frau
tritt als das geliebte Weſen nicht nur in den Vordergrund, ſie
wird zur Herrin. Sie nimmt Beſitz von allem Sein und Den-
ken des Mannes; all ſeine Thaten und ſeine Beſtrebungen, die
ſonſt dem Ruhme galten, ſind nun ihr geweiht; der Gedanke an
ſie verläßt ihn nicht Tag und Nacht, er begleitet ihn auf ſeinen
Zügen, in die Schranken und in die Schlacht, er ſtählt ihn im
Kampf und führt ihn zum Sieg. Doch bei dieſem immerwähren-
den Denken an die Geliebte wird die Empfindung bald zur
Empfindſamkeit, die Liebe wird zur Minne, die ihr Genüge finden
kann an dem ſteten, innigen Gedenken, an der ſtillen, ſeligen
Sehnſucht, die das holde Bild beſtändig vor Augen hat, ſelbſt
wenn ſie von vornherein ſich die Erfüllung der höchſten Wünſche
verſagen muß. — So wird nun die Frau, die Krone der
Schöpfung, auch die Spitze und die unumſchränkte Gebieterin
alles ſocialen Lebens und Strebens. Die Liebe verkehrt ſich in
Frauen dienſt, der Schönheit wird Verehrung dargebracht.
So ſingt Walther von der Vogelweide:
„Gott hat gehöhet und gehehret reine Frauen,
Daß man ihnen wohl ſoll ſprechen und dienen zu aller Zeit,
Der Welt Hort mit wonniglichen Freuden liegt in ihnen.“
Bei dieſer Stellung der Frau ging die Verehrung, welche
bisher dem Erlöſer zu Theil geworden war und womit die Periode
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