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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
mit ihnen, denn sie selbst waren schon ein Ausfluß des neuen
Geistes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überschätzen. Es
entsteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln ist die Welt
befreit, die so lange im Kampf begriffenen Elemente haben sich
versöhnt, und aus ihrer gegenseitigen fruchtbaren Durchdringung
erblüht nun, nachdem die ausgestreute Saat im 11. Jahrhundert
eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden
Anstöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor.
Das ganze Sein und Denken der Menschen wird allseitig und im
tiefsten Innern erfaßt.

Das Heidenthum hat ausgespielt und verklingt in leisen
Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Christen-
thum hat nun Wurzel geschlagen in der Tiefe des deutschen Ge-
müths und sprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer
Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die
Grundlage des geistigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau-
benseifer und die Orthodoxie sich durch Proselytenmacherei mit
Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen suchten, schlägt die
Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan
diese zu befreien von den Schlacken des Irdischen, das eigene Ge-
wissen zu reinigen vom Bewußtsein der Sünde; der Andere ist
gleichgültig. So versenkt sich die Seele in das Denken und Seh-
nen, begierig nach näherer Gemeinschaft mit seinem Herrn und
Freunde; das der Erlösung bedürftige und zur Entsagung bereite
Gemüth gedenkt seines Leidens und seines Opfertodes und will
in Demuth jene Stätten besuchen, wo er wandelte, wo er litt und
starb, und dort anbeten und das schuldbeladene Gewissen erleichtern.
So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht versunken,
zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien-
talischer Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus sich aber
nach innen kehrte und die Seele der Herrschaft der Gefühle völlig
unterwarf.

Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen
hineingeworfen, blieb der Mensch mit seinem Sehnen und Den-
ken nicht im Gebiet des Religiösen stehen: zu der himmlischen

1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuen
Geiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es
entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt
befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich
verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung
erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert
eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden
Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor.
Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im
tiefſten Innern erfaßt.

Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen
Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Chriſten-
thum hat nun Wurzel geſchlagen in der Tiefe des deutſchen Ge-
müths und ſprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer
Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die
Grundlage des geiſtigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau-
benseifer und die Orthodoxie ſich durch Proſelytenmacherei mit
Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen ſuchten, ſchlägt die
Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan
dieſe zu befreien von den Schlacken des Irdiſchen, das eigene Ge-
wiſſen zu reinigen vom Bewußtſein der Sünde; der Andere iſt
gleichgültig. So verſenkt ſich die Seele in das Denken und Seh-
nen, begierig nach näherer Gemeinſchaft mit ſeinem Herrn und
Freunde; das der Erlöſung bedürftige und zur Entſagung bereite
Gemüth gedenkt ſeines Leidens und ſeines Opfertodes und will
in Demuth jene Stätten beſuchen, wo er wandelte, wo er litt und
ſtarb, und dort anbeten und das ſchuldbeladene Gewiſſen erleichtern.
So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht verſunken,
zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien-
taliſcher Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus ſich aber
nach innen kehrte und die Seele der Herrſchaft der Gefühle völlig
unterwarf.

Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen
hineingeworfen, blieb der Menſch mit ſeinem Sehnen und Den-
ken nicht im Gebiet des Religiöſen ſtehen: zu der himmliſchen

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[75/0093] 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. mit ihnen, denn ſie ſelbſt waren ſchon ein Ausfluß des neuen Geiſtes, in allen Zweigen der Cultur nicht leicht überſchätzen. Es entſteht eine völlig andere Zeit; aus den Zweifeln iſt die Welt befreit, die ſo lange im Kampf begriffenen Elemente haben ſich verſöhnt, und aus ihrer gegenſeitigen fruchtbaren Durchdringung erblüht nun, nachdem die ausgeſtreute Saat im 11. Jahrhundert eine kurze Winterzeit geruht hat, ein neues, trotz aller fremden Anſtöße und Elemente dennoch originales Leben üppig hervor. Das ganze Sein und Denken der Menſchen wird allſeitig und im tiefſten Innern erfaßt. Das Heidenthum hat ausgeſpielt und verklingt in leiſen Tönen in Sage und Märchen und Volksgebräuchen. Das Chriſten- thum hat nun Wurzel geſchlagen in der Tiefe des deutſchen Ge- müths und ſprießt mit einer Innigkeit des Glaubens und einer Wahrheit des Gefühls hervor, die bekunden, daß es fortan die Grundlage des geiſtigen Seins bildet. Statt daß früher der Glau- benseifer und die Orthodoxie ſich durch Proſelytenmacherei mit Wort und Schwert und Feuer zu bethätigen ſuchten, ſchlägt die Gluth der Empfindung zurück in die eigene Seele: es gilt fortan dieſe zu befreien von den Schlacken des Irdiſchen, das eigene Ge- wiſſen zu reinigen vom Bewußtſein der Sünde; der Andere iſt gleichgültig. So verſenkt ſich die Seele in das Denken und Seh- nen, begierig nach näherer Gemeinſchaft mit ſeinem Herrn und Freunde; das der Erlöſung bedürftige und zur Entſagung bereite Gemüth gedenkt ſeines Leidens und ſeines Opfertodes und will in Demuth jene Stätten beſuchen, wo er wandelte, wo er litt und ſtarb, und dort anbeten und das ſchuldbeladene Gewiſſen erleichtern. So zogen die Pilger nach dem gelobten Lande, in Andacht verſunken, zur Schwärmerei geneigt, und kehrten zurück, entzündet von orien- taliſcher Glaubensgluth, deren lodernder Fanatismus ſich aber nach innen kehrte und die Seele der Herrſchaft der Gefühle völlig unterwarf. Einmal aus der Welt der Thaten in die der Empfindungen hineingeworfen, blieb der Menſch mit ſeinem Sehnen und Den- ken nicht im Gebiet des Religiöſen ſtehen: zu der himmliſchen

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/93>, abgerufen am 25.11.2024.