Erstes Kapitel. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur Höhe plastischer Schönheit. 1100--1350.
Die wunderbare und glanzvolle, an Schönheit und blenden- den Erscheinungen so reiche Zeit der Hohenstaufen, die Periode des 12. und 13. Jahrhunderts vom Beginn der Kreuzzüge an, man kann sagen im ganzen christlichen Abendlande, verhält sich zur vorhergehenden Periode, als noch Barbarismus und Civili- sation, Antikes und Germanisches, Christliches und Heidnisches in leidenschaftlichem Kampfe lagen, wie das Nibelungenlied und dann besonders das ritterliche Epos und der Minnegesang zur Edda; sie verhalten sich wie die Freude und die Klage des Lebens, der Liebe Leid und Lust zu jenem Weltuntergang, in welchem Sonne und Mond von Wölfen verschlungen und die Götter des Himmels und der Erde von den Ungeheuern der Tiefe zerfleischt werden. Die Barbarei ist vom Throne gestürzt, die ungefüge, elementarische Kraft gebrochen, die wilden Leidenschaften mit ihren gewaltsamen Ausbrüchen und ihrem verzehrenden Feuer haben ausgetobt, und die Liebe und die Schönheit strecken mit sanfter Zaubergewalt ihr sittigendes Scepter über das ganze Zeitalter.
Man kann die Veränderungen, welche im Völker- und Men- schenleben zur Zeit der Kreuzzüge eintraten, theils durch sie, theils
Zweites Buch. Das Mittelalter.
Erſtes Kapitel. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur Höhe plaſtiſcher Schönheit. 1100—1350.
Die wunderbare und glanzvolle, an Schönheit und blenden- den Erſcheinungen ſo reiche Zeit der Hohenſtaufen, die Periode des 12. und 13. Jahrhunderts vom Beginn der Kreuzzüge an, man kann ſagen im ganzen chriſtlichen Abendlande, verhält ſich zur vorhergehenden Periode, als noch Barbarismus und Civili- ſation, Antikes und Germaniſches, Chriſtliches und Heidniſches in leidenſchaftlichem Kampfe lagen, wie das Nibelungenlied und dann beſonders das ritterliche Epos und der Minnegeſang zur Edda; ſie verhalten ſich wie die Freude und die Klage des Lebens, der Liebe Leid und Luſt zu jenem Weltuntergang, in welchem Sonne und Mond von Wölfen verſchlungen und die Götter des Himmels und der Erde von den Ungeheuern der Tiefe zerfleiſcht werden. Die Barbarei iſt vom Throne geſtürzt, die ungefüge, elementariſche Kraft gebrochen, die wilden Leidenſchaften mit ihren gewaltſamen Ausbrüchen und ihrem verzehrenden Feuer haben ausgetobt, und die Liebe und die Schönheit ſtrecken mit ſanfter Zaubergewalt ihr ſittigendes Scepter über das ganze Zeitalter.
Man kann die Veränderungen, welche im Völker- und Men- ſchenleben zur Zeit der Kreuzzüge eintraten, theils durch ſie, theils
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Zweites Buch.
Das Mittelalter.
Erſtes Kapitel.
Entwicklung einer originalen mittelalterlichen
Tracht unter dem Einfluß des Frauencultus bis zur
Höhe plaſtiſcher Schönheit. 1100—1350.
Die wunderbare und glanzvolle, an Schönheit und blenden-
den Erſcheinungen ſo reiche Zeit der Hohenſtaufen, die Periode
des 12. und 13. Jahrhunderts vom Beginn der Kreuzzüge an,
man kann ſagen im ganzen chriſtlichen Abendlande, verhält ſich
zur vorhergehenden Periode, als noch Barbarismus und Civili-
ſation, Antikes und Germaniſches, Chriſtliches und Heidniſches
in leidenſchaftlichem Kampfe lagen, wie das Nibelungenlied und
dann beſonders das ritterliche Epos und der Minnegeſang zur
Edda; ſie verhalten ſich wie die Freude und die Klage des Lebens,
der Liebe Leid und Luſt zu jenem Weltuntergang, in welchem Sonne
und Mond von Wölfen verſchlungen und die Götter des Himmels
und der Erde von den Ungeheuern der Tiefe zerfleiſcht werden. Die
Barbarei iſt vom Throne geſtürzt, die ungefüge, elementariſche
Kraft gebrochen, die wilden Leidenſchaften mit ihren gewaltſamen
Ausbrüchen und ihrem verzehrenden Feuer haben ausgetobt, und
die Liebe und die Schönheit ſtrecken mit ſanfter Zaubergewalt ihr
ſittigendes Scepter über das ganze Zeitalter.
Man kann die Veränderungen, welche im Völker- und Men-
ſchenleben zur Zeit der Kreuzzüge eintraten, theils durch ſie, theils
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. [74]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/92>, abgerufen am 08.07.2024.
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