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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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3. Die Verschmelzung der verschiedenartigen Elemente.
Paulus Diaconus vorkommt, die völlig geschlossene Hose wurde,
welche den Unterleib mit bedeckte und nur ein einziges Stück bil-
dete, ist schwer zu bestimmen, da die lange Oberkleidung uns aller
Anhaltspunkte für die Beobachtung beraubt. Uebrigens war das
Beinkleid in der Grundgestalt des unsrigen der alten Zeit keines-
wegs unbekannt; die Dacier wie die Gallier trugen sie also, weit
und faltig und über den Füßen gebunden. Einem Abkömmling
von ihr begegnen wir bei den Normannen wie bei den Angelsachsen
auf der Stickerei der Königin Mathilde in der zweiten Hälfte des
elften Jahrhunderts; bei beiden Völkerschaften werden neben den
engen und langen Strümpfen Hosen getragen, welche in luftiger
Weite nur bis zu den Knieen heruntergehen; von unter her sind
die Beine durch Schuhe und Strümpfe geschützt. Diese Form
geht auch in die Ring- und Schuppenrüstung über. Die Binden,
welche noch unter Karl dem Großen und im neunten Jahrhun-
dert die Beinbekleidung umwickelten, verschwinden im Lauf des
zehnten mehr und mehr und hören im Beginn des elften ganz auf.
Daß die weite und faltige Hose dieser Zeit nicht unbekannt war,
davon werden wir weiter unten Beweise bei der Geistlichkeit haben.

In Bezug auf die Frauenkleidung fehlen in der Zeit
Karls des Großen, soviel auch von ihrem glänzenden Putze er-
zählt wird, doch für eine nähere Bestimmung des Schnittes und
des Charakters alle Anhaltspunkte, da uns keine bildlichen Quel-
len zu Gebote stehen. Nur von den Angelsachsen gilt nicht das
Gleiche. Auf den Bildern ihrer Handschriften aus der ersten karo-
lingischen Zeit tragen die Frauen bereits die lange, weite und
faltige Tunica unter einem weiten und langen Mantel, und den
Kopf mit einem Schleier oder Tuch dicht umwunden. Locale Ein-
flüsse scheinen in dem romanisirten England rascher den altdeut-
schen Charakter überwunden zu haben. Für Deutschland geben
uns die ersten Frauenbilder eine Evangelienhandschrift auf der
Heidelberger Bibliothek aus dem neunten Jahrhundert und die
Bibel in Rom, welche wir schon bei Karl dem Kahlen erwähnten.
Es sind vornehme elegante Damen, unter welchen sich auch die
Kaiserin selber befindet. Ihre Erscheinung entspricht dem glän-

Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 5

3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente.
Paulus Diaconus vorkommt, die völlig geſchloſſene Hoſe wurde,
welche den Unterleib mit bedeckte und nur ein einziges Stück bil-
dete, iſt ſchwer zu beſtimmen, da die lange Oberkleidung uns aller
Anhaltspunkte für die Beobachtung beraubt. Uebrigens war das
Beinkleid in der Grundgeſtalt des unſrigen der alten Zeit keines-
wegs unbekannt; die Dacier wie die Gallier trugen ſie alſo, weit
und faltig und über den Füßen gebunden. Einem Abkömmling
von ihr begegnen wir bei den Normannen wie bei den Angelſachſen
auf der Stickerei der Königin Mathilde in der zweiten Hälfte des
elften Jahrhunderts; bei beiden Völkerſchaften werden neben den
engen und langen Strümpfen Hoſen getragen, welche in luftiger
Weite nur bis zu den Knieen heruntergehen; von unter her ſind
die Beine durch Schuhe und Strümpfe geſchützt. Dieſe Form
geht auch in die Ring- und Schuppenrüſtung über. Die Binden,
welche noch unter Karl dem Großen und im neunten Jahrhun-
dert die Beinbekleidung umwickelten, verſchwinden im Lauf des
zehnten mehr und mehr und hören im Beginn des elften ganz auf.
Daß die weite und faltige Hoſe dieſer Zeit nicht unbekannt war,
davon werden wir weiter unten Beweiſe bei der Geiſtlichkeit haben.

In Bezug auf die Frauenkleidung fehlen in der Zeit
Karls des Großen, ſoviel auch von ihrem glänzenden Putze er-
zählt wird, doch für eine nähere Beſtimmung des Schnittes und
des Charakters alle Anhaltspunkte, da uns keine bildlichen Quel-
len zu Gebote ſtehen. Nur von den Angelſachſen gilt nicht das
Gleiche. Auf den Bildern ihrer Handſchriften aus der erſten karo-
lingiſchen Zeit tragen die Frauen bereits die lange, weite und
faltige Tunica unter einem weiten und langen Mantel, und den
Kopf mit einem Schleier oder Tuch dicht umwunden. Locale Ein-
flüſſe ſcheinen in dem romaniſirten England raſcher den altdeut-
ſchen Charakter überwunden zu haben. Für Deutſchland geben
uns die erſten Frauenbilder eine Evangelienhandſchrift auf der
Heidelberger Bibliothek aus dem neunten Jahrhundert und die
Bibel in Rom, welche wir ſchon bei Karl dem Kahlen erwähnten.
Es ſind vornehme elegante Damen, unter welchen ſich auch die
Kaiſerin ſelber befindet. Ihre Erſcheinung entſpricht dem glän-

Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 5
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[65/0083] 3. Die Verſchmelzung der verſchiedenartigen Elemente. Paulus Diaconus vorkommt, die völlig geſchloſſene Hoſe wurde, welche den Unterleib mit bedeckte und nur ein einziges Stück bil- dete, iſt ſchwer zu beſtimmen, da die lange Oberkleidung uns aller Anhaltspunkte für die Beobachtung beraubt. Uebrigens war das Beinkleid in der Grundgeſtalt des unſrigen der alten Zeit keines- wegs unbekannt; die Dacier wie die Gallier trugen ſie alſo, weit und faltig und über den Füßen gebunden. Einem Abkömmling von ihr begegnen wir bei den Normannen wie bei den Angelſachſen auf der Stickerei der Königin Mathilde in der zweiten Hälfte des elften Jahrhunderts; bei beiden Völkerſchaften werden neben den engen und langen Strümpfen Hoſen getragen, welche in luftiger Weite nur bis zu den Knieen heruntergehen; von unter her ſind die Beine durch Schuhe und Strümpfe geſchützt. Dieſe Form geht auch in die Ring- und Schuppenrüſtung über. Die Binden, welche noch unter Karl dem Großen und im neunten Jahrhun- dert die Beinbekleidung umwickelten, verſchwinden im Lauf des zehnten mehr und mehr und hören im Beginn des elften ganz auf. Daß die weite und faltige Hoſe dieſer Zeit nicht unbekannt war, davon werden wir weiter unten Beweiſe bei der Geiſtlichkeit haben. In Bezug auf die Frauenkleidung fehlen in der Zeit Karls des Großen, ſoviel auch von ihrem glänzenden Putze er- zählt wird, doch für eine nähere Beſtimmung des Schnittes und des Charakters alle Anhaltspunkte, da uns keine bildlichen Quel- len zu Gebote ſtehen. Nur von den Angelſachſen gilt nicht das Gleiche. Auf den Bildern ihrer Handſchriften aus der erſten karo- lingiſchen Zeit tragen die Frauen bereits die lange, weite und faltige Tunica unter einem weiten und langen Mantel, und den Kopf mit einem Schleier oder Tuch dicht umwunden. Locale Ein- flüſſe ſcheinen in dem romaniſirten England raſcher den altdeut- ſchen Charakter überwunden zu haben. Für Deutſchland geben uns die erſten Frauenbilder eine Evangelienhandſchrift auf der Heidelberger Bibliothek aus dem neunten Jahrhundert und die Bibel in Rom, welche wir ſchon bei Karl dem Kahlen erwähnten. Es ſind vornehme elegante Damen, unter welchen ſich auch die Kaiſerin ſelber befindet. Ihre Erſcheinung entſpricht dem glän- Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 5

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/83>, abgerufen am 26.11.2024.