Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

Bild:
<< vorherige Seite

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Die Trachten des funfzehnten Jahrhunderts in ihrem ewigen
Fluß vermochten noch nicht so tief zu dringen. Es war daher der
Bauer und der Arbeitsmann dieser Zeit in seiner Kleidung so
einfach wie früher, und häufig grade wie heut in den Gegenden,
wo er eine Volkstracht nicht angenommen oder schon wieder ab-
gestreift hat. Die Glasmalereien, die mit Vorliebe genrehafte
Gegenstände behandeln, geben uns der Beispiele genug. Diese
Leute tragen einen kurzen, zur Arbeit bequemen Rock in Blousen-
form -- die alte Tunica und das linnene Polhemd --, engere
oder weitere Beinkleider, welche in kurzen oder längeren Stiefeln
oder in Schuhen stecken, oder wie heute darüber hängen; andere
haben nach alter Weise die kurze Hose in die langen Strümpfe
gesteckt, welche bis ans Knie reichen; wieder andere sind noch
ohne Hosen und zeigen die nackten Beine. Den Kopf mit kurzem
Haar bedeckt eine einfache niedere Mütze oder ein gewöhnlicher
Filzhut, mit der alten Gugel oder häufiger ohne dieselbe. Am
Gürtel vor dem Leib hängt eine breite Ledertasche. Was sie aber
in ihrem Aeußern des modernen Eindrucks beraubt und sie als
der lustigen Zeit des funfzehnten Jahrhunderts angehörend cha-
rakterisirt, das sind die Farben. Während in den frühern Zeiten
des Mittelalters dem niedern Volk die gleichgültigen, in Grau
gebrochenen, unscheinbaren Farben zufallen, die wir wieder in
der heutigen Männerwelt herrschend finden, kleidet es sich im
funfzehnten Jahrhundert in die lebhaftesten Farben. Wenn uns
einmal in seltnen Fällen eine Miniature oder eine Glasmalerei
einen Blick gestattet in eine Straße oder auf einen städtischen
Wochenmarkt dieser Zeit, so sehen wir z. B. den Steinmetz oder
den Zimmermann arbeiten in rothen Röcken mit blauen Mützen
und Beinkleidern, einen andern im gelben Rock mit rother Mütze
und rother Hose, ein dritter ist in Hellblau und Grün mit Gelb
und Roth gekleidet. In denselben lebhaften Farben stehen die
Verkäufer hinter dem Ladentisch; ein Bauer, der sein Schwein
auf den Markt bringt, trägt wohl einen grünen Rock, rothen Hut
und braune Hose; ein Kärner oder ein Weinbauer, der ein Faß
auf der Karre vor sich herschiebt, erscheint im rothen Rock mit

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Die Trachten des funfzehnten Jahrhunderts in ihrem ewigen
Fluß vermochten noch nicht ſo tief zu dringen. Es war daher der
Bauer und der Arbeitsmann dieſer Zeit in ſeiner Kleidung ſo
einfach wie früher, und häufig grade wie heut in den Gegenden,
wo er eine Volkstracht nicht angenommen oder ſchon wieder ab-
geſtreift hat. Die Glasmalereien, die mit Vorliebe genrehafte
Gegenſtände behandeln, geben uns der Beiſpiele genug. Dieſe
Leute tragen einen kurzen, zur Arbeit bequemen Rock in Blouſen-
form — die alte Tunica und das linnene Polhemd —, engere
oder weitere Beinkleider, welche in kurzen oder längeren Stiefeln
oder in Schuhen ſtecken, oder wie heute darüber hängen; andere
haben nach alter Weiſe die kurze Hoſe in die langen Strümpfe
geſteckt, welche bis ans Knie reichen; wieder andere ſind noch
ohne Hoſen und zeigen die nackten Beine. Den Kopf mit kurzem
Haar bedeckt eine einfache niedere Mütze oder ein gewöhnlicher
Filzhut, mit der alten Gugel oder häufiger ohne dieſelbe. Am
Gürtel vor dem Leib hängt eine breite Ledertaſche. Was ſie aber
in ihrem Aeußern des modernen Eindrucks beraubt und ſie als
der luſtigen Zeit des funfzehnten Jahrhunderts angehörend cha-
rakteriſirt, das ſind die Farben. Während in den frühern Zeiten
des Mittelalters dem niedern Volk die gleichgültigen, in Grau
gebrochenen, unſcheinbaren Farben zufallen, die wir wieder in
der heutigen Männerwelt herrſchend finden, kleidet es ſich im
funfzehnten Jahrhundert in die lebhafteſten Farben. Wenn uns
einmal in ſeltnen Fällen eine Miniature oder eine Glasmalerei
einen Blick geſtattet in eine Straße oder auf einen ſtädtiſchen
Wochenmarkt dieſer Zeit, ſo ſehen wir z. B. den Steinmetz oder
den Zimmermann arbeiten in rothen Röcken mit blauen Mützen
und Beinkleidern, einen andern im gelben Rock mit rother Mütze
und rother Hoſe, ein dritter iſt in Hellblau und Grün mit Gelb
und Roth gekleidet. In denſelben lebhaften Farben ſtehen die
Verkäufer hinter dem Ladentiſch; ein Bauer, der ſein Schwein
auf den Markt bringt, trägt wohl einen grünen Rock, rothen Hut
und braune Hoſe; ein Kärner oder ein Weinbauer, der ein Faß
auf der Karre vor ſich herſchiebt, erſcheint im rothen Rock mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0329" n="311"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/>
Die Trachten des funfzehnten Jahrhunderts in ihrem ewigen<lb/>
Fluß vermochten noch nicht &#x017F;o tief zu dringen. Es war daher der<lb/>
Bauer und der Arbeitsmann die&#x017F;er Zeit in &#x017F;einer Kleidung &#x017F;o<lb/>
einfach wie früher, und häufig grade wie heut in den Gegenden,<lb/>
wo er eine Volkstracht nicht angenommen oder &#x017F;chon wieder ab-<lb/>
ge&#x017F;treift hat. Die Glasmalereien, die mit Vorliebe genrehafte<lb/>
Gegen&#x017F;tände behandeln, geben uns der Bei&#x017F;piele genug. Die&#x017F;e<lb/>
Leute tragen einen kurzen, zur Arbeit bequemen Rock in Blou&#x017F;en-<lb/>
form &#x2014; die alte Tunica und das linnene Polhemd &#x2014;, engere<lb/>
oder weitere Beinkleider, welche in kurzen oder längeren Stiefeln<lb/>
oder in Schuhen &#x017F;tecken, oder wie heute darüber hängen; andere<lb/>
haben nach alter Wei&#x017F;e die kurze Ho&#x017F;e in die langen Strümpfe<lb/>
ge&#x017F;teckt, welche bis ans Knie reichen; wieder andere &#x017F;ind noch<lb/>
ohne Ho&#x017F;en und zeigen die nackten Beine. Den Kopf mit kurzem<lb/>
Haar bedeckt eine einfache niedere Mütze oder ein gewöhnlicher<lb/>
Filzhut, mit der alten Gugel oder häufiger ohne die&#x017F;elbe. Am<lb/>
Gürtel vor dem Leib hängt eine breite Lederta&#x017F;che. Was &#x017F;ie aber<lb/>
in ihrem Aeußern des modernen Eindrucks beraubt und &#x017F;ie als<lb/>
der lu&#x017F;tigen Zeit des funfzehnten Jahrhunderts angehörend cha-<lb/>
rakteri&#x017F;irt, das &#x017F;ind die Farben. Während in den frühern Zeiten<lb/>
des Mittelalters dem niedern Volk die gleichgültigen, in Grau<lb/>
gebrochenen, un&#x017F;cheinbaren Farben zufallen, die wir wieder in<lb/>
der heutigen Männerwelt herr&#x017F;chend finden, kleidet es &#x017F;ich im<lb/>
funfzehnten Jahrhundert in die lebhafte&#x017F;ten Farben. Wenn uns<lb/>
einmal in &#x017F;eltnen Fällen eine Miniature oder eine Glasmalerei<lb/>
einen Blick ge&#x017F;tattet in eine Straße oder auf einen &#x017F;tädti&#x017F;chen<lb/>
Wochenmarkt die&#x017F;er Zeit, &#x017F;o &#x017F;ehen wir z. B. den Steinmetz oder<lb/>
den Zimmermann arbeiten in rothen Röcken mit blauen Mützen<lb/>
und Beinkleidern, einen andern im gelben Rock mit rother Mütze<lb/>
und rother Ho&#x017F;e, ein dritter i&#x017F;t in Hellblau und Grün mit Gelb<lb/>
und Roth gekleidet. In den&#x017F;elben lebhaften Farben &#x017F;tehen die<lb/>
Verkäufer hinter dem Ladenti&#x017F;ch; ein Bauer, der &#x017F;ein Schwein<lb/>
auf den Markt bringt, trägt wohl einen grünen Rock, rothen Hut<lb/>
und braune Ho&#x017F;e; ein Kärner oder ein Weinbauer, der ein Faß<lb/>
auf der Karre vor &#x017F;ich her&#x017F;chiebt, er&#x017F;cheint im rothen Rock mit<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[311/0329] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Die Trachten des funfzehnten Jahrhunderts in ihrem ewigen Fluß vermochten noch nicht ſo tief zu dringen. Es war daher der Bauer und der Arbeitsmann dieſer Zeit in ſeiner Kleidung ſo einfach wie früher, und häufig grade wie heut in den Gegenden, wo er eine Volkstracht nicht angenommen oder ſchon wieder ab- geſtreift hat. Die Glasmalereien, die mit Vorliebe genrehafte Gegenſtände behandeln, geben uns der Beiſpiele genug. Dieſe Leute tragen einen kurzen, zur Arbeit bequemen Rock in Blouſen- form — die alte Tunica und das linnene Polhemd —, engere oder weitere Beinkleider, welche in kurzen oder längeren Stiefeln oder in Schuhen ſtecken, oder wie heute darüber hängen; andere haben nach alter Weiſe die kurze Hoſe in die langen Strümpfe geſteckt, welche bis ans Knie reichen; wieder andere ſind noch ohne Hoſen und zeigen die nackten Beine. Den Kopf mit kurzem Haar bedeckt eine einfache niedere Mütze oder ein gewöhnlicher Filzhut, mit der alten Gugel oder häufiger ohne dieſelbe. Am Gürtel vor dem Leib hängt eine breite Ledertaſche. Was ſie aber in ihrem Aeußern des modernen Eindrucks beraubt und ſie als der luſtigen Zeit des funfzehnten Jahrhunderts angehörend cha- rakteriſirt, das ſind die Farben. Während in den frühern Zeiten des Mittelalters dem niedern Volk die gleichgültigen, in Grau gebrochenen, unſcheinbaren Farben zufallen, die wir wieder in der heutigen Männerwelt herrſchend finden, kleidet es ſich im funfzehnten Jahrhundert in die lebhafteſten Farben. Wenn uns einmal in ſeltnen Fällen eine Miniature oder eine Glasmalerei einen Blick geſtattet in eine Straße oder auf einen ſtädtiſchen Wochenmarkt dieſer Zeit, ſo ſehen wir z. B. den Steinmetz oder den Zimmermann arbeiten in rothen Röcken mit blauen Mützen und Beinkleidern, einen andern im gelben Rock mit rother Mütze und rother Hoſe, ein dritter iſt in Hellblau und Grün mit Gelb und Roth gekleidet. In denſelben lebhaften Farben ſtehen die Verkäufer hinter dem Ladentiſch; ein Bauer, der ſein Schwein auf den Markt bringt, trägt wohl einen grünen Rock, rothen Hut und braune Hoſe; ein Kärner oder ein Weinbauer, der ein Faß auf der Karre vor ſich herſchiebt, erſcheint im rothen Rock mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/329
Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/329>, abgerufen am 24.11.2024.