Stauchen oder Steuchlein, womit schon früher die Hängeärmel bezeichnet worden.
Die Entblößung der Arme und die Aufschlitzung der Aermel haben wir bereits bei den Männern beschrieben; diese an sich schon der weiblichen Natur mehr gemäße Mode herrscht auch bei den Frauen ganz in derselben Weise. Wie wir schon beim Brust- hemd gesehen haben, ist ein merkwürdiger Parallelismus in der männlichen und weiblichen Kleidung des Oberkörpers zu bemer- ken. Auch bei den Frauen weicht der Aermel zurück bis zum Ell- bogen, und wird endlich so verschnitten, daß nur ein schmaler Bandstreif übrig bleibt, von der Schulter bis zur Beugung, wel- cher durch einige Bänder gehalten wird. Nicht immer tritt dann das Hemd vor die Oeffnung, sondern oft ist auch dieses ärmellos, und somit fast der ganze Arm entblößt. Auch die übrigen Moden der Männerärmel treten hier ein, der Schnitt um den Ellbogen, und der Längenschnitt den ganzen Arm herunter mit dem aus den Schlitzen faltig herausbauschenden Hemd.
Nur eine Veränderung, die in der zweiten Hälfte des funf- zehnten Jahrhunderts an der weiblichen Kleidung eintrat, blieb für alle Zeiten, die kurze Existenz einer Mode überdauernd. Bis- her bestanden die vordere und die hintere Seite eines Kleides von oben bis unten jede für sich insofern aus einem Stück, als sie nicht in der Taille zusammengesetzt waren. Das blieb auch noch eine Zeitlang, aber daneben trat auch die Trennung des Kleides in Leibchen oder Obermieder und den Rock ein, sodaß jedes selbst- ständig von verschiedenem Stoff und verschiedener Farbe sein konnte, oder es wurde der Rock an das Leibchen angenäht. Es ist bekannt, wie diese Umänderung zur herrschenden Form gewor- den ist. Sie erst ersetzte den Gürtel völlig, ermöglichte die Wes- pentaille -- nicht zum Vortheil weder der Gesundheit noch der Schönheit -- und führte im Laufe der Zeiten die falschen culs, die Reifröcke und Schnürbrüste und in neuester Zeit die Crino- lines als parasitisches Gefolge mit sich. Erst seit dieser Verän- derung geschieht der Mieder und Leibchen in Deutschland eine selbstständige Erwähnung; sie sind aber wohl zu unterscheiden
20*
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Stauchen oder Steuchlein, womit ſchon früher die Hängeärmel bezeichnet worden.
Die Entblößung der Arme und die Aufſchlitzung der Aermel haben wir bereits bei den Männern beſchrieben; dieſe an ſich ſchon der weiblichen Natur mehr gemäße Mode herrſcht auch bei den Frauen ganz in derſelben Weiſe. Wie wir ſchon beim Bruſt- hemd geſehen haben, iſt ein merkwürdiger Parallelismus in der männlichen und weiblichen Kleidung des Oberkörpers zu bemer- ken. Auch bei den Frauen weicht der Aermel zurück bis zum Ell- bogen, und wird endlich ſo verſchnitten, daß nur ein ſchmaler Bandſtreif übrig bleibt, von der Schulter bis zur Beugung, wel- cher durch einige Bänder gehalten wird. Nicht immer tritt dann das Hemd vor die Oeffnung, ſondern oft iſt auch dieſes ärmellos, und ſomit faſt der ganze Arm entblößt. Auch die übrigen Moden der Männerärmel treten hier ein, der Schnitt um den Ellbogen, und der Längenſchnitt den ganzen Arm herunter mit dem aus den Schlitzen faltig herausbauſchenden Hemd.
Nur eine Veränderung, die in der zweiten Hälfte des funf- zehnten Jahrhunderts an der weiblichen Kleidung eintrat, blieb für alle Zeiten, die kurze Exiſtenz einer Mode überdauernd. Bis- her beſtanden die vordere und die hintere Seite eines Kleides von oben bis unten jede für ſich inſofern aus einem Stück, als ſie nicht in der Taille zuſammengeſetzt waren. Das blieb auch noch eine Zeitlang, aber daneben trat auch die Trennung des Kleides in Leibchen oder Obermieder und den Rock ein, ſodaß jedes ſelbſt- ſtändig von verſchiedenem Stoff und verſchiedener Farbe ſein konnte, oder es wurde der Rock an das Leibchen angenäht. Es iſt bekannt, wie dieſe Umänderung zur herrſchenden Form gewor- den iſt. Sie erſt erſetzte den Gürtel völlig, ermöglichte die Wes- pentaille — nicht zum Vortheil weder der Geſundheit noch der Schönheit — und führte im Laufe der Zeiten die falſchen culs, die Reifröcke und Schnürbrüſte und in neueſter Zeit die Crino- lines als paraſitiſches Gefolge mit ſich. Erſt ſeit dieſer Verän- derung geſchieht der Mieder und Leibchen in Deutſchland eine ſelbſtſtändige Erwähnung; ſie ſind aber wohl zu unterſcheiden
20*
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0325"n="307"/><fwplace="top"type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/><hirendition="#g">Stauchen</hi> oder Steuchlein, womit ſchon früher die Hängeärmel<lb/>
bezeichnet worden.</p><lb/><p>Die Entblößung der Arme und die Aufſchlitzung der Aermel<lb/>
haben wir bereits bei den Männern beſchrieben; dieſe an ſich<lb/>ſchon der weiblichen Natur mehr gemäße Mode herrſcht auch bei<lb/>
den Frauen ganz in derſelben Weiſe. Wie wir ſchon beim Bruſt-<lb/>
hemd geſehen haben, iſt ein merkwürdiger Parallelismus in der<lb/>
männlichen und weiblichen Kleidung des Oberkörpers zu bemer-<lb/>
ken. Auch bei den Frauen weicht der Aermel zurück bis zum Ell-<lb/>
bogen, und wird endlich ſo verſchnitten, daß nur ein ſchmaler<lb/>
Bandſtreif übrig bleibt, von der Schulter bis zur Beugung, wel-<lb/>
cher durch einige Bänder gehalten wird. Nicht immer tritt dann<lb/>
das Hemd vor die Oeffnung, ſondern oft iſt auch dieſes ärmellos,<lb/>
und ſomit faſt der ganze Arm entblößt. Auch die übrigen Moden<lb/>
der Männerärmel treten hier ein, der Schnitt um den Ellbogen,<lb/>
und der Längenſchnitt den ganzen Arm herunter mit dem aus den<lb/>
Schlitzen faltig herausbauſchenden Hemd.</p><lb/><p>Nur <hirendition="#g">eine</hi> Veränderung, die in der zweiten Hälfte des funf-<lb/>
zehnten Jahrhunderts an der weiblichen Kleidung eintrat, blieb<lb/>
für alle Zeiten, die kurze Exiſtenz einer Mode überdauernd. Bis-<lb/>
her beſtanden die vordere und die hintere Seite eines Kleides von<lb/>
oben bis unten jede für ſich inſofern aus einem Stück, als ſie<lb/>
nicht in der Taille zuſammengeſetzt waren. Das blieb auch noch<lb/>
eine Zeitlang, aber daneben trat auch die Trennung des Kleides<lb/>
in Leibchen oder Obermieder und den Rock ein, ſodaß jedes ſelbſt-<lb/>ſtändig von verſchiedenem Stoff und verſchiedener Farbe ſein<lb/>
konnte, oder es wurde der Rock an das Leibchen angenäht. Es<lb/>
iſt bekannt, wie dieſe Umänderung zur herrſchenden Form gewor-<lb/>
den iſt. Sie erſt erſetzte den Gürtel völlig, ermöglichte die Wes-<lb/>
pentaille — nicht zum Vortheil weder der Geſundheit noch der<lb/>
Schönheit — und führte im Laufe der Zeiten die falſchen <hirendition="#aq">culs,</hi><lb/>
die Reifröcke und Schnürbrüſte und in neueſter Zeit die Crino-<lb/>
lines als paraſitiſches Gefolge mit ſich. Erſt ſeit dieſer Verän-<lb/>
derung geſchieht der Mieder und Leibchen in Deutſchland eine<lb/>ſelbſtſtändige Erwähnung; ſie ſind aber wohl zu unterſcheiden<lb/><fwplace="bottom"type="sig">20*</fw><lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[307/0325]
2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Stauchen oder Steuchlein, womit ſchon früher die Hängeärmel
bezeichnet worden.
Die Entblößung der Arme und die Aufſchlitzung der Aermel
haben wir bereits bei den Männern beſchrieben; dieſe an ſich
ſchon der weiblichen Natur mehr gemäße Mode herrſcht auch bei
den Frauen ganz in derſelben Weiſe. Wie wir ſchon beim Bruſt-
hemd geſehen haben, iſt ein merkwürdiger Parallelismus in der
männlichen und weiblichen Kleidung des Oberkörpers zu bemer-
ken. Auch bei den Frauen weicht der Aermel zurück bis zum Ell-
bogen, und wird endlich ſo verſchnitten, daß nur ein ſchmaler
Bandſtreif übrig bleibt, von der Schulter bis zur Beugung, wel-
cher durch einige Bänder gehalten wird. Nicht immer tritt dann
das Hemd vor die Oeffnung, ſondern oft iſt auch dieſes ärmellos,
und ſomit faſt der ganze Arm entblößt. Auch die übrigen Moden
der Männerärmel treten hier ein, der Schnitt um den Ellbogen,
und der Längenſchnitt den ganzen Arm herunter mit dem aus den
Schlitzen faltig herausbauſchenden Hemd.
Nur eine Veränderung, die in der zweiten Hälfte des funf-
zehnten Jahrhunderts an der weiblichen Kleidung eintrat, blieb
für alle Zeiten, die kurze Exiſtenz einer Mode überdauernd. Bis-
her beſtanden die vordere und die hintere Seite eines Kleides von
oben bis unten jede für ſich inſofern aus einem Stück, als ſie
nicht in der Taille zuſammengeſetzt waren. Das blieb auch noch
eine Zeitlang, aber daneben trat auch die Trennung des Kleides
in Leibchen oder Obermieder und den Rock ein, ſodaß jedes ſelbſt-
ſtändig von verſchiedenem Stoff und verſchiedener Farbe ſein
konnte, oder es wurde der Rock an das Leibchen angenäht. Es
iſt bekannt, wie dieſe Umänderung zur herrſchenden Form gewor-
den iſt. Sie erſt erſetzte den Gürtel völlig, ermöglichte die Wes-
pentaille — nicht zum Vortheil weder der Geſundheit noch der
Schönheit — und führte im Laufe der Zeiten die falſchen culs,
die Reifröcke und Schnürbrüſte und in neueſter Zeit die Crino-
lines als paraſitiſches Gefolge mit ſich. Erſt ſeit dieſer Verän-
derung geſchieht der Mieder und Leibchen in Deutſchland eine
ſelbſtſtändige Erwähnung; ſie ſind aber wohl zu unterſcheiden
20*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 307. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/325>, abgerufen am 01.08.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.