Auf diese einfachen und ursprünglichen Motive beschränkt sich die Anwendung der graden Linie auf die Schmucksachen der Deutschen in der Zeit vor allen christlichen und römischen Ein- flüssen. Ein völlig entsprechender Gebrauch ist von der krummen Linie gemacht. Statt des Zickzacks wird sie zur Wellenlinie, in sich zurückkehrend bildet sie den Kreis, vervielfacht sich zu concen- trischen Kreisen, windet sich um einen Cylinder in die Spirale. Diese findet auch auf der Fläche ihre Anwendung. Wenn die beiden Enden der krummen Linie nach derselben oder nach entge- gengesetzten Seiten gewunden werden, entsteht die sehr beliebte Doppelspirale. Die meiste Willkür liegt schon in der mäandern- den Bewegung.
Indem man sich mit dieser Linienverzierung begnügt, sei es, daß man sie auf ebene oder krumme Flächen einritzt, oder, worin schon ein weiterer Schritt liegt, durch Windungen von Draht herzustellen sucht, bleibt man doch auf einer untern Stufe der Verschönerungskunst stehen, indem man nirgends zum Relief, zum plastischen Ornament gelangt. Die Gegenstände aber, bei welchen sie Anwendung finden, sind sehr mannigfach, und wir erkennen daraus, wie weit die Liebhaberei zu Schmucksachen bei unsern heidnischen Vorfahren ging. Der Mantel bedurfte zum Zusammenhalten auf der Schulter oder der Brust einer Nadel, die sich mit Anwendung der Spirale in mannigfacher Weise zur Spange oder Agraffe entwickelte. So z. B. ist eine gewöhnliche Form die der entgegengesetzten, flachen Doppelspirale, bei welcher die beiden Enden des Drahtes aus der Mitte der Spiralen her- ausgehen, die eine sich zum Haken umbiegt, während die andere längere als Nadel mit federnder Kraft in jene eingreift. Bei einer andern Form bildet der Draht einen Bügel, von welchem das eine Ende einen Haken oder eine kleine Mulde bildet, in welche das zweite, nachdem es eine kleine Spirale gemacht, als Nadel elastisch sich einlegt. Oft scheinen solche Spangen der Brust vor- gesteckt gewesen zu sein, wie unsre Brochen blos zum Schmuck, ohne den Zweck, irgend etwas zu halten. Haarnadeln wurden in großer Menge getragen; als Knopf dient häufig eine Spirale,
I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Auf dieſe einfachen und urſprünglichen Motive beſchränkt ſich die Anwendung der graden Linie auf die Schmuckſachen der Deutſchen in der Zeit vor allen chriſtlichen und römiſchen Ein- flüſſen. Ein völlig entſprechender Gebrauch iſt von der krummen Linie gemacht. Statt des Zickzacks wird ſie zur Wellenlinie, in ſich zurückkehrend bildet ſie den Kreis, vervielfacht ſich zu concen- triſchen Kreiſen, windet ſich um einen Cylinder in die Spirale. Dieſe findet auch auf der Fläche ihre Anwendung. Wenn die beiden Enden der krummen Linie nach derſelben oder nach entge- gengeſetzten Seiten gewunden werden, entſteht die ſehr beliebte Doppelſpirale. Die meiſte Willkür liegt ſchon in der mäandern- den Bewegung.
Indem man ſich mit dieſer Linienverzierung begnügt, ſei es, daß man ſie auf ebene oder krumme Flächen einritzt, oder, worin ſchon ein weiterer Schritt liegt, durch Windungen von Draht herzuſtellen ſucht, bleibt man doch auf einer untern Stufe der Verſchönerungskunſt ſtehen, indem man nirgends zum Relief, zum plaſtiſchen Ornament gelangt. Die Gegenſtände aber, bei welchen ſie Anwendung finden, ſind ſehr mannigfach, und wir erkennen daraus, wie weit die Liebhaberei zu Schmuckſachen bei unſern heidniſchen Vorfahren ging. Der Mantel bedurfte zum Zuſammenhalten auf der Schulter oder der Bruſt einer Nadel, die ſich mit Anwendung der Spirale in mannigfacher Weiſe zur Spange oder Agraffe entwickelte. So z. B. iſt eine gewöhnliche Form die der entgegengeſetzten, flachen Doppelſpirale, bei welcher die beiden Enden des Drahtes aus der Mitte der Spiralen her- ausgehen, die eine ſich zum Haken umbiegt, während die andere längere als Nadel mit federnder Kraft in jene eingreift. Bei einer andern Form bildet der Draht einen Bügel, von welchem das eine Ende einen Haken oder eine kleine Mulde bildet, in welche das zweite, nachdem es eine kleine Spirale gemacht, als Nadel elaſtiſch ſich einlegt. Oft ſcheinen ſolche Spangen der Bruſt vor- geſteckt geweſen zu ſein, wie unſre Brochen blos zum Schmuck, ohne den Zweck, irgend etwas zu halten. Haarnadeln wurden in großer Menge getragen; als Knopf dient häufig eine Spirale,
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I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
Auf dieſe einfachen und urſprünglichen Motive beſchränkt
ſich die Anwendung der graden Linie auf die Schmuckſachen der
Deutſchen in der Zeit vor allen chriſtlichen und römiſchen Ein-
flüſſen. Ein völlig entſprechender Gebrauch iſt von der krummen
Linie gemacht. Statt des Zickzacks wird ſie zur Wellenlinie, in
ſich zurückkehrend bildet ſie den Kreis, vervielfacht ſich zu concen-
triſchen Kreiſen, windet ſich um einen Cylinder in die Spirale.
Dieſe findet auch auf der Fläche ihre Anwendung. Wenn die
beiden Enden der krummen Linie nach derſelben oder nach entge-
gengeſetzten Seiten gewunden werden, entſteht die ſehr beliebte
Doppelſpirale. Die meiſte Willkür liegt ſchon in der mäandern-
den Bewegung.
Indem man ſich mit dieſer Linienverzierung begnügt, ſei es,
daß man ſie auf ebene oder krumme Flächen einritzt, oder, worin
ſchon ein weiterer Schritt liegt, durch Windungen von Draht
herzuſtellen ſucht, bleibt man doch auf einer untern Stufe der
Verſchönerungskunſt ſtehen, indem man nirgends zum Relief,
zum plaſtiſchen Ornament gelangt. Die Gegenſtände aber, bei
welchen ſie Anwendung finden, ſind ſehr mannigfach, und wir
erkennen daraus, wie weit die Liebhaberei zu Schmuckſachen bei
unſern heidniſchen Vorfahren ging. Der Mantel bedurfte zum
Zuſammenhalten auf der Schulter oder der Bruſt einer Nadel,
die ſich mit Anwendung der Spirale in mannigfacher Weiſe zur
Spange oder Agraffe entwickelte. So z. B. iſt eine gewöhnliche
Form die der entgegengeſetzten, flachen Doppelſpirale, bei welcher
die beiden Enden des Drahtes aus der Mitte der Spiralen her-
ausgehen, die eine ſich zum Haken umbiegt, während die andere
längere als Nadel mit federnder Kraft in jene eingreift. Bei einer
andern Form bildet der Draht einen Bügel, von welchem das
eine Ende einen Haken oder eine kleine Mulde bildet, in welche
das zweite, nachdem es eine kleine Spirale gemacht, als Nadel
elaſtiſch ſich einlegt. Oft ſcheinen ſolche Spangen der Bruſt vor-
geſteckt geweſen zu ſein, wie unſre Brochen blos zum Schmuck,
ohne den Zweck, irgend etwas zu halten. Haarnadeln wurden in
großer Menge getragen; als Knopf dient häufig eine Spirale,
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/32>, abgerufen am 16.02.2025.
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