Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. im 26. Jahre machte, hat er Jacke und Hemd weit ausgeschnit-ten, und die langen, schöngepflegten Locken, auf die er so stolz war, wallen über den freien Nacken und die blanken Schultern. Ebenso trugen sich aber auch Fürstensöhne, der junge Adel und das Patriziat der Städte. Wer ein Muster sehen will, der be- trachte das Portrait des Hieronymus Tscheckenbürlin bei Hefner II, 29. Es war ein junger und reicher Patrizier von Basel, der in Paris den Rechtsstudien obgelegen hatte. In die Heimath zu- rückgekehrt, kam ihm alsbald die Ueberzeugung von der Eitelkeit der Welt. 26 Jahre alt, entsagte er ihr und trat in den Orden der Karthäuser. Zum Andenken aber ließ er sich in der Festklei- dung portraitiren, in welcher er das Kloster betreten hatte, um sie auf immer abzulegen. Eine leichte Mütze sitzt auf dem fein ge- kräuselten Lockenhaar, das die Stirne bedeckt und in reicher Masse den nackten Hals umfließt; auf der linken Schulter liegt das kurze Mäntelchen; die ausgeschnittene Jacke ist ohne Aermel, und der des Hemdes bedeckt nur den Oberarm, der Unterarm ist bloß. Die außerordentliche Pflege, welche die Männerwelt dem II. Das Mittelalter. im 26. Jahre machte, hat er Jacke und Hemd weit ausgeſchnit-ten, und die langen, ſchöngepflegten Locken, auf die er ſo ſtolz war, wallen über den freien Nacken und die blanken Schultern. Ebenſo trugen ſich aber auch Fürſtenſöhne, der junge Adel und das Patriziat der Städte. Wer ein Muſter ſehen will, der be- trachte das Portrait des Hieronymus Tſcheckenbürlin bei Hefner II, 29. Es war ein junger und reicher Patrizier von Baſel, der in Paris den Rechtsſtudien obgelegen hatte. In die Heimath zu- rückgekehrt, kam ihm alsbald die Ueberzeugung von der Eitelkeit der Welt. 26 Jahre alt, entſagte er ihr und trat in den Orden der Karthäuſer. Zum Andenken aber ließ er ſich in der Feſtklei- dung portraitiren, in welcher er das Kloſter betreten hatte, um ſie auf immer abzulegen. Eine leichte Mütze ſitzt auf dem fein ge- kräuſelten Lockenhaar, das die Stirne bedeckt und in reicher Maſſe den nackten Hals umfließt; auf der linken Schulter liegt das kurze Mäntelchen; die ausgeſchnittene Jacke iſt ohne Aermel, und der des Hemdes bedeckt nur den Oberarm, der Unterarm iſt bloß. Die außerordentliche Pflege, welche die Männerwelt dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0304" n="286"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> im 26. 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Erſt<lb/> ſpäter beſchnitt er ſie in mäßiger Kürze, wie es auch Dürer that.<lb/> Man trug den graden Scheitel auf der Mitte des Kopfes oder<lb/> auch die vorderen Haare über die Stirn hereingeſtrichen und über<lb/> den Augen in grader Linie verſchnitten. Wer ſtutzerhaft die ganze<lb/> Maſſe in kleinen Locken kräuſelte, oder ſie in ſpiral gewundenen<lb/> Schmachtlocken um den Kopf herumhängen ließ, der kräuſelte ſie<lb/> auch über der Stirn, die er damit bedeckte. Kein Mittel dazu<lb/> war dieſen Herren unbekannt, die, wie Geiler von Kaiſersberg<lb/> klagt, ſich mit Roſenwaſſer beſtreichen und mit Balſam ſalben.<lb/> Oele, Pomade, Färbemittel, Brenneiſen, falſche Haare, alles<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [286/0304]
II. Das Mittelalter.
im 26. Jahre machte, hat er Jacke und Hemd weit ausgeſchnit-
ten, und die langen, ſchöngepflegten Locken, auf die er ſo ſtolz
war, wallen über den freien Nacken und die blanken Schultern.
Ebenſo trugen ſich aber auch Fürſtenſöhne, der junge Adel und
das Patriziat der Städte. Wer ein Muſter ſehen will, der be-
trachte das Portrait des Hieronymus Tſcheckenbürlin bei Hefner
II, 29. Es war ein junger und reicher Patrizier von Baſel, der
in Paris den Rechtsſtudien obgelegen hatte. In die Heimath zu-
rückgekehrt, kam ihm alsbald die Ueberzeugung von der Eitelkeit
der Welt. 26 Jahre alt, entſagte er ihr und trat in den Orden
der Karthäuſer. Zum Andenken aber ließ er ſich in der Feſtklei-
dung portraitiren, in welcher er das Kloſter betreten hatte, um
ſie auf immer abzulegen. Eine leichte Mütze ſitzt auf dem fein ge-
kräuſelten Lockenhaar, das die Stirne bedeckt und in reicher Maſſe
den nackten Hals umfließt; auf der linken Schulter liegt das
kurze Mäntelchen; die ausgeſchnittene Jacke iſt ohne Aermel, und
der des Hemdes bedeckt nur den Oberarm, der Unterarm iſt bloß.
Die außerordentliche Pflege, welche die Männerwelt dem
Haar angedeihen ließ, war durch alle Stände verbreitet. Man
ließ es um ſo länger wachſen, weil man noch keinen Bart trug.
Das höchſte Haupt der Chriſtenheit, Kaiſer Maximilian ſelbſt,
giebt ein glänzendes Beiſpiel. Sein jugendlicher Kopf, wie er auf
vielen Portraits erhalten iſt, kann als Muſter aufgeſtellt werden,
ſo wohlgeordnet, ſo zierlich und kokett fallen die langen, blonden
Haare in ſanften Wellenlinien herab bis auf die Schultern. Erſt
ſpäter beſchnitt er ſie in mäßiger Kürze, wie es auch Dürer that.
Man trug den graden Scheitel auf der Mitte des Kopfes oder
auch die vorderen Haare über die Stirn hereingeſtrichen und über
den Augen in grader Linie verſchnitten. Wer ſtutzerhaft die ganze
Maſſe in kleinen Locken kräuſelte, oder ſie in ſpiral gewundenen
Schmachtlocken um den Kopf herumhängen ließ, der kräuſelte ſie
auch über der Stirn, die er damit bedeckte. Kein Mittel dazu
war dieſen Herren unbekannt, die, wie Geiler von Kaiſersberg
klagt, ſich mit Roſenwaſſer beſtreichen und mit Balſam ſalben.
Oele, Pomade, Färbemittel, Brenneiſen, falſche Haare, alles
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