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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
da strahlt sie wie eine irdische in großgemustertem Goldbrokat
und Hermelin, mit den zarten spitzen Schuhen und pantoffelarti-
gen Unterschuhen, und auf dem lichtumflossenen, langwallenden
Haar ruht die goldene, mit Edelsteinen und Perlen verzierte
Krone. Immer so reich ist Magdalena geputzt, mag sie das Kreuz
umfassen oder der Beerdigung beiwohnen, mag sie mit der Sal-
benbüchse am leeren Grabe stehen oder ihr Christus im Garten
erscheinen. Erst die Künstler des sechszehnten Jahrhunderts und
namentlich die späteren, welche es lieben, sie in der Wüste büßen
zu lassen, hingesunken auf die Erde über dem Buch, entkleiden sie
ihrer Eitelkeit, was Dürer und die Deutschen schon früher thaten.
Neben der Magdalena erscheinen alle die andern heiligen Frauen
in der niederländischen Prachtkleidung, und sie wissen sich darin
zu tragen mit königlichem Anstand, mit Haltung und Würde wie
die stolzesten Damen der Zeit. Auch von den Männern gilt viel-
fach dasselbe, namentlich von St. Mauritius und St. Hubertus
wegen ihres ursprünglichen Standes, vor allen von den heiligen
drei Königen, die immer in dem größten Glanz und mit königli-
chem Gefolge kommen. Bei der Krönung Mariä erscheinen selbst
Gott und Christus in höchster weltlicher Pracht, der eine mit der
päpstlichen, der andere mit der kaiserlichen Krone, in Brokatge-
wändern und Hermelinmänteln. --

Treffender noch als die Bilder zeigen uns Sitte und Tracht
die Kupferstiche der alten niederländischen Meister mit ihren freie-
ren und mehr genrehaften Gegenständen. Freilich der bunte Reiz
der Farben geht verloren; wir müssen ihn mitbringen und hinzu-
denken, wenn wir z. B. den großen Kupferstich des Israel von
Mecken "das Fest des Herodes" von diesem Standpunkt aus be-
trachten. Der Titel führt uns zwar anderthalb Jahrtausende zu-
rück in die jüdische Welt, aber was wir sehen, ist genau ein nie-
derländisches Tanzfest vom Ende des funfzehnten Jahrhunderts
mit all der Ueppigkeit und der widerspruchsvollen Mannigfaltig-
keit der Trachten. In der Mitte auf breitem, pfeilerartigem Po-
stament stehen die Musikanten und blasen, und herum bewegen
sich tanzend die Paare. Aber welch einen Tanz mögen wir uns

2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
da ſtrahlt ſie wie eine irdiſche in großgemuſtertem Goldbrokat
und Hermelin, mit den zarten ſpitzen Schuhen und pantoffelarti-
gen Unterſchuhen, und auf dem lichtumfloſſenen, langwallenden
Haar ruht die goldene, mit Edelſteinen und Perlen verzierte
Krone. Immer ſo reich iſt Magdalena geputzt, mag ſie das Kreuz
umfaſſen oder der Beerdigung beiwohnen, mag ſie mit der Sal-
benbüchſe am leeren Grabe ſtehen oder ihr Chriſtus im Garten
erſcheinen. Erſt die Künſtler des ſechszehnten Jahrhunderts und
namentlich die ſpäteren, welche es lieben, ſie in der Wüſte büßen
zu laſſen, hingeſunken auf die Erde über dem Buch, entkleiden ſie
ihrer Eitelkeit, was Dürer und die Deutſchen ſchon früher thaten.
Neben der Magdalena erſcheinen alle die andern heiligen Frauen
in der niederländiſchen Prachtkleidung, und ſie wiſſen ſich darin
zu tragen mit königlichem Anſtand, mit Haltung und Würde wie
die ſtolzeſten Damen der Zeit. Auch von den Männern gilt viel-
fach daſſelbe, namentlich von St. Mauritius und St. Hubertus
wegen ihres urſprünglichen Standes, vor allen von den heiligen
drei Königen, die immer in dem größten Glanz und mit königli-
chem Gefolge kommen. Bei der Krönung Mariä erſcheinen ſelbſt
Gott und Chriſtus in höchſter weltlicher Pracht, der eine mit der
päpſtlichen, der andere mit der kaiſerlichen Krone, in Brokatge-
wändern und Hermelinmänteln. —

Treffender noch als die Bilder zeigen uns Sitte und Tracht
die Kupferſtiche der alten niederländiſchen Meiſter mit ihren freie-
ren und mehr genrehaften Gegenſtänden. Freilich der bunte Reiz
der Farben geht verloren; wir müſſen ihn mitbringen und hinzu-
denken, wenn wir z. B. den großen Kupferſtich des Israel von
Mecken „das Feſt des Herodes“ von dieſem Standpunkt aus be-
trachten. Der Titel führt uns zwar anderthalb Jahrtauſende zu-
rück in die jüdiſche Welt, aber was wir ſehen, iſt genau ein nie-
derländiſches Tanzfeſt vom Ende des funfzehnten Jahrhunderts
mit all der Ueppigkeit und der widerſpruchsvollen Mannigfaltig-
keit der Trachten. In der Mitte auf breitem, pfeilerartigem Po-
ſtament ſtehen die Muſikanten und blaſen, und herum bewegen
ſich tanzend die Paare. Aber welch einen Tanz mögen wir uns

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[281/0299] 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. da ſtrahlt ſie wie eine irdiſche in großgemuſtertem Goldbrokat und Hermelin, mit den zarten ſpitzen Schuhen und pantoffelarti- gen Unterſchuhen, und auf dem lichtumfloſſenen, langwallenden Haar ruht die goldene, mit Edelſteinen und Perlen verzierte Krone. Immer ſo reich iſt Magdalena geputzt, mag ſie das Kreuz umfaſſen oder der Beerdigung beiwohnen, mag ſie mit der Sal- benbüchſe am leeren Grabe ſtehen oder ihr Chriſtus im Garten erſcheinen. Erſt die Künſtler des ſechszehnten Jahrhunderts und namentlich die ſpäteren, welche es lieben, ſie in der Wüſte büßen zu laſſen, hingeſunken auf die Erde über dem Buch, entkleiden ſie ihrer Eitelkeit, was Dürer und die Deutſchen ſchon früher thaten. Neben der Magdalena erſcheinen alle die andern heiligen Frauen in der niederländiſchen Prachtkleidung, und ſie wiſſen ſich darin zu tragen mit königlichem Anſtand, mit Haltung und Würde wie die ſtolzeſten Damen der Zeit. Auch von den Männern gilt viel- fach daſſelbe, namentlich von St. Mauritius und St. Hubertus wegen ihres urſprünglichen Standes, vor allen von den heiligen drei Königen, die immer in dem größten Glanz und mit königli- chem Gefolge kommen. Bei der Krönung Mariä erſcheinen ſelbſt Gott und Chriſtus in höchſter weltlicher Pracht, der eine mit der päpſtlichen, der andere mit der kaiſerlichen Krone, in Brokatge- wändern und Hermelinmänteln. — Treffender noch als die Bilder zeigen uns Sitte und Tracht die Kupferſtiche der alten niederländiſchen Meiſter mit ihren freie- ren und mehr genrehaften Gegenſtänden. Freilich der bunte Reiz der Farben geht verloren; wir müſſen ihn mitbringen und hinzu- denken, wenn wir z. B. den großen Kupferſtich des Israel von Mecken „das Feſt des Herodes“ von dieſem Standpunkt aus be- trachten. Der Titel führt uns zwar anderthalb Jahrtauſende zu- rück in die jüdiſche Welt, aber was wir ſehen, iſt genau ein nie- derländiſches Tanzfeſt vom Ende des funfzehnten Jahrhunderts mit all der Ueppigkeit und der widerſpruchsvollen Mannigfaltig- keit der Trachten. In der Mitte auf breitem, pfeilerartigem Po- ſtament ſtehen die Muſikanten und blaſen, und herum bewegen ſich tanzend die Paare. Aber welch einen Tanz mögen wir uns

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/299>, abgerufen am 22.11.2024.