Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. men, tiefbeseelten Gestalten schufen, Marien mit einer Welt vonLiebe und Schmerzen und die wunderschönen heiligen Frauen mit dem gottergebenen Gesicht und den demüthig gesenkten Au- gen, mit der königlichen Haltung und den prachtvollen noblen Gewändern. Die Zeit mußte starke Gegensätze ertragen können und ertrug sie in höchst naiver Weise, wenn sie auch hart im Raum an einander stießen. So will ich hier einer Miniature ge- denken, einer für viele, denn sie steht nicht isolirt. Es ist ein Blatt eines kleinen Gebetbuches niederländischer Arbeit, dessen Hauptdarstellung die Verkündigung bildet. Sie ist mit dem feinen Pinsel und der unendlichen Geduld, mit all der innigen Liebe und der aus der Tiefe der Seele kommenden Frömmigkeit gemalt, wie sie diesen Künstlern eigenthümlich ist. Das kaum ein paar Zoll große Bildchen umgiebt eine farbige Randverzierung, in de- ren Laubgewinde sich der derbste Humor in ebenso aufrichtiger Weise ergeht. Da ist ein Affe, der als Jäger gekleidet mit der Armbrust auf einen zweiten zielt, welcher ihm das Kehrgesicht zur Zielscheibe zeigt. An absichtliche Verspottung des Heiligen ist hier nicht zu denken. Ein Gebet, die Verkündigung und dieser Hu- mor -- das vertrug sich zusammen im Gemüth des Künstlers, wahrscheinlich auch in dem der frommen Beterin, welche Besitzerin dieses Büchleins war. Wir sehen den Widerschein dieser bunten Welt in der gan- 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. men, tiefbeſeelten Geſtalten ſchufen, Marien mit einer Welt vonLiebe und Schmerzen und die wunderſchönen heiligen Frauen mit dem gottergebenen Geſicht und den demüthig geſenkten Au- gen, mit der königlichen Haltung und den prachtvollen noblen Gewändern. Die Zeit mußte ſtarke Gegenſätze ertragen können und ertrug ſie in höchſt naiver Weiſe, wenn ſie auch hart im Raum an einander ſtießen. So will ich hier einer Miniature ge- denken, einer für viele, denn ſie ſteht nicht iſolirt. Es iſt ein Blatt eines kleinen Gebetbuches niederländiſcher Arbeit, deſſen Hauptdarſtellung die Verkündigung bildet. Sie iſt mit dem feinen Pinſel und der unendlichen Geduld, mit all der innigen Liebe und der aus der Tiefe der Seele kommenden Frömmigkeit gemalt, wie ſie dieſen Künſtlern eigenthümlich iſt. Das kaum ein paar Zoll große Bildchen umgiebt eine farbige Randverzierung, in de- ren Laubgewinde ſich der derbſte Humor in ebenſo aufrichtiger Weiſe ergeht. Da iſt ein Affe, der als Jäger gekleidet mit der Armbruſt auf einen zweiten zielt, welcher ihm das Kehrgeſicht zur Zielſcheibe zeigt. An abſichtliche Verſpottung des Heiligen iſt hier nicht zu denken. Ein Gebet, die Verkündigung und dieſer Hu- mor — das vertrug ſich zuſammen im Gemüth des Künſtlers, wahrſcheinlich auch in dem der frommen Beterin, welche Beſitzerin dieſes Büchleins war. Wir ſehen den Widerſchein dieſer bunten Welt in der gan- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0297" n="279"/><fw place="top" type="header">2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.</fw><lb/> men, tiefbeſeelten Geſtalten ſchufen, Marien mit einer Welt von<lb/> Liebe und Schmerzen und die wunderſchönen heiligen Frauen<lb/> mit dem gottergebenen Geſicht und den demüthig geſenkten Au-<lb/> gen, mit der königlichen Haltung und den prachtvollen noblen<lb/> Gewändern. Die Zeit mußte ſtarke Gegenſätze ertragen können<lb/> und ertrug ſie in höchſt naiver Weiſe, wenn ſie auch hart im<lb/> Raum an einander ſtießen. So will ich hier einer Miniature ge-<lb/> denken, einer für viele, denn ſie ſteht nicht iſolirt. 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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
men, tiefbeſeelten Geſtalten ſchufen, Marien mit einer Welt von
Liebe und Schmerzen und die wunderſchönen heiligen Frauen
mit dem gottergebenen Geſicht und den demüthig geſenkten Au-
gen, mit der königlichen Haltung und den prachtvollen noblen
Gewändern. Die Zeit mußte ſtarke Gegenſätze ertragen können
und ertrug ſie in höchſt naiver Weiſe, wenn ſie auch hart im
Raum an einander ſtießen. So will ich hier einer Miniature ge-
denken, einer für viele, denn ſie ſteht nicht iſolirt. Es iſt ein
Blatt eines kleinen Gebetbuches niederländiſcher Arbeit, deſſen
Hauptdarſtellung die Verkündigung bildet. Sie iſt mit dem feinen
Pinſel und der unendlichen Geduld, mit all der innigen Liebe
und der aus der Tiefe der Seele kommenden Frömmigkeit gemalt,
wie ſie dieſen Künſtlern eigenthümlich iſt. Das kaum ein paar
Zoll große Bildchen umgiebt eine farbige Randverzierung, in de-
ren Laubgewinde ſich der derbſte Humor in ebenſo aufrichtiger
Weiſe ergeht. Da iſt ein Affe, der als Jäger gekleidet mit der
Armbruſt auf einen zweiten zielt, welcher ihm das Kehrgeſicht zur
Zielſcheibe zeigt. An abſichtliche Verſpottung des Heiligen iſt hier
nicht zu denken. Ein Gebet, die Verkündigung und dieſer Hu-
mor — das vertrug ſich zuſammen im Gemüth des Künſtlers,
wahrſcheinlich auch in dem der frommen Beterin, welche Beſitzerin
dieſes Büchleins war.
Wir ſehen den Widerſchein dieſer bunten Welt in der gan-
zen niederländiſchen Kunſt der letzten Jahrzehnte des funfzehnten
Jahrhunderts und im Anfange des ſechszehnten. Nehmen wir ſo
ein figurenreiches Bild wie die große Paſſion von Hans Mem-
ling im Dom zu Lübeck oder ſo viele andere Altarbilder dieſer
Art. Wie ſtrotzt das Alles von bunten Trachten! Hier die aben-
teuerlichen Kopfbedeckungen, die ſpitzen Mützen mit Goldquaſten
und Goldſchnüren, zerſchnitten, aufgekrämpt und niedergekrämpt,
in allen Farben, in allen Formen, ſo ſinnreich und ſinnlos zu-
gleich, daß man nicht begreift, wie man darauf verfallen konnte;
dieſe Turbane, mit Binden von Goldſtoff umwunden, mit ge-
ſpitzten Hörnern; Mützen mit herabwallendem oder umgebunde-
nem Stoff; Spitzhüte mit halber Krämpe und Kronenreif. Be-
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