des Mundes in möglichster Länge herabfallen. Diesen behielten sie noch längere Zeit, während sie den Schopf bald aufgegeben zu haben scheinen, da sie nicht lange nach dem Auftreten Chlod- wigs kurz gehaltnes Haupthaar tragen.
Wir verzeihen aber diese Eitelkeit und lernen sie verstehen aus der höhern Bedeutung, welche der Germane mit dem Haupt- haar verknüpfte. Dasselbe war unter den germanischen Stämmen, zusammt dem Bart, durchweg das Zeichen des freien Mannes; dieser ließ es überall wenigstens bis zu gewisser Länge und unter gewissen Bedingungen wachsen, während es der Sklave kurz ge- schoren trug. Zugleich war es ein Unterscheidungszeichen von den Römern wie von andern umwohnenden Völkerschaften. Auch die Gallier, die sonst am meisten ihren östlichen Nachbarn glichen, trugen es kurz, denn als der ruhmeseitle Kaiser Caligula einst über die unbesiegten Germanen einen Triumph halten wollte, und er dazu der Gefangenen bedurfte, die er nicht hatte, so suchte er sich aus den Galliern die größten Leute heraus, über die zu triumphiren es sich der Mühe zu lohnen schien, und zwang sie das Haar wachsen zu lassen; bis dahin mußte freilich das schau- lustige Rom des Triumphes warten. Ein freier Mann, der als Kriegsgefangener oder durch gerichtliches Urtheil oder als Einsatz des Spiels, denn bis soweit herrschte diese Leidenschaft im alten Germanien, seine Freiheit verlor, büßte zunächst Haar und Bart durch das Scheermesser ein. Die Handlung selbst hatte symboli- sche und rechtskräftige Bedeutung. Wer sich Haar und Bart ab- schneiden ließ, gab sich damit in die Gewalt desjenigen, der es abschnitt.
Nur scheinbar macht der freie Franke eine Ausnahme. Er trug später namentlich im Nacken das Haar weit kürzer als die übrigen Germanen, wenn auch nicht dem Sklaven gleich, und den Bart bis auf den langen Schnurrbart geschoren, nicht aber, weil bei ihm dieser Schmuck weniger Ehre genoß, sondern weil sich seine Bedeutung auf die höchsten Freien, den König und sein Geschlecht, concentrirte. Darum führen schon früh die Merovin- ger den Namen der gelockten Könige. In der Schlacht waren sie
I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
des Mundes in möglichſter Länge herabfallen. Dieſen behielten ſie noch längere Zeit, während ſie den Schopf bald aufgegeben zu haben ſcheinen, da ſie nicht lange nach dem Auftreten Chlod- wigs kurz gehaltnes Haupthaar tragen.
Wir verzeihen aber dieſe Eitelkeit und lernen ſie verſtehen aus der höhern Bedeutung, welche der Germane mit dem Haupt- haar verknüpfte. Daſſelbe war unter den germaniſchen Stämmen, zuſammt dem Bart, durchweg das Zeichen des freien Mannes; dieſer ließ es überall wenigſtens bis zu gewiſſer Länge und unter gewiſſen Bedingungen wachſen, während es der Sklave kurz ge- ſchoren trug. Zugleich war es ein Unterſcheidungszeichen von den Römern wie von andern umwohnenden Völkerſchaften. Auch die Gallier, die ſonſt am meiſten ihren öſtlichen Nachbarn glichen, trugen es kurz, denn als der ruhmeseitle Kaiſer Caligula einſt über die unbeſiegten Germanen einen Triumph halten wollte, und er dazu der Gefangenen bedurfte, die er nicht hatte, ſo ſuchte er ſich aus den Galliern die größten Leute heraus, über die zu triumphiren es ſich der Mühe zu lohnen ſchien, und zwang ſie das Haar wachſen zu laſſen; bis dahin mußte freilich das ſchau- luſtige Rom des Triumphes warten. Ein freier Mann, der als Kriegsgefangener oder durch gerichtliches Urtheil oder als Einſatz des Spiels, denn bis ſoweit herrſchte dieſe Leidenſchaft im alten Germanien, ſeine Freiheit verlor, büßte zunächſt Haar und Bart durch das Scheermeſſer ein. Die Handlung ſelbſt hatte ſymboli- ſche und rechtskräftige Bedeutung. Wer ſich Haar und Bart ab- ſchneiden ließ, gab ſich damit in die Gewalt desjenigen, der es abſchnitt.
Nur ſcheinbar macht der freie Franke eine Ausnahme. Er trug ſpäter namentlich im Nacken das Haar weit kürzer als die übrigen Germanen, wenn auch nicht dem Sklaven gleich, und den Bart bis auf den langen Schnurrbart geſchoren, nicht aber, weil bei ihm dieſer Schmuck weniger Ehre genoß, ſondern weil ſich ſeine Bedeutung auf die höchſten Freien, den König und ſein Geſchlecht, concentrirte. Darum führen ſchon früh die Merovin- ger den Namen der gelockten Könige. In der Schlacht waren ſie
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I. Aelteſte Zeit bis zu den Kreuzzügen.
des Mundes in möglichſter Länge herabfallen. Dieſen behielten
ſie noch längere Zeit, während ſie den Schopf bald aufgegeben
zu haben ſcheinen, da ſie nicht lange nach dem Auftreten Chlod-
wigs kurz gehaltnes Haupthaar tragen.
Wir verzeihen aber dieſe Eitelkeit und lernen ſie verſtehen
aus der höhern Bedeutung, welche der Germane mit dem Haupt-
haar verknüpfte. Daſſelbe war unter den germaniſchen Stämmen,
zuſammt dem Bart, durchweg das Zeichen des freien Mannes;
dieſer ließ es überall wenigſtens bis zu gewiſſer Länge und unter
gewiſſen Bedingungen wachſen, während es der Sklave kurz ge-
ſchoren trug. Zugleich war es ein Unterſcheidungszeichen von
den Römern wie von andern umwohnenden Völkerſchaften. Auch
die Gallier, die ſonſt am meiſten ihren öſtlichen Nachbarn glichen,
trugen es kurz, denn als der ruhmeseitle Kaiſer Caligula einſt
über die unbeſiegten Germanen einen Triumph halten wollte,
und er dazu der Gefangenen bedurfte, die er nicht hatte, ſo ſuchte
er ſich aus den Galliern die größten Leute heraus, über die zu
triumphiren es ſich der Mühe zu lohnen ſchien, und zwang ſie
das Haar wachſen zu laſſen; bis dahin mußte freilich das ſchau-
luſtige Rom des Triumphes warten. Ein freier Mann, der als
Kriegsgefangener oder durch gerichtliches Urtheil oder als Einſatz
des Spiels, denn bis ſoweit herrſchte dieſe Leidenſchaft im alten
Germanien, ſeine Freiheit verlor, büßte zunächſt Haar und Bart
durch das Scheermeſſer ein. Die Handlung ſelbſt hatte ſymboli-
ſche und rechtskräftige Bedeutung. Wer ſich Haar und Bart ab-
ſchneiden ließ, gab ſich damit in die Gewalt desjenigen, der es
abſchnitt.
Nur ſcheinbar macht der freie Franke eine Ausnahme. Er
trug ſpäter namentlich im Nacken das Haar weit kürzer als die
übrigen Germanen, wenn auch nicht dem Sklaven gleich, und
den Bart bis auf den langen Schnurrbart geſchoren, nicht aber,
weil bei ihm dieſer Schmuck weniger Ehre genoß, ſondern weil
ſich ſeine Bedeutung auf die höchſten Freien, den König und ſein
Geſchlecht, concentrirte. Darum führen ſchon früh die Merovin-
ger den Namen der gelockten Könige. In der Schlacht waren ſie
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/28>, abgerufen am 08.07.2024.
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