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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
1370 und 1376 gab der Herzog Otto zu Göttingen große Feste;
dabei erschienen die Ritter, die Frauen und Jungfrauen mit gro-
ßer Pracht in Purpurkleidern und "mit klingenden, silbernen und
güldenen Gürteln, mit langen Röcken und Kleidern, die gingen
alle schurr, schurr und kling, kling." So erzählt die Göttinger
Chronik, dat olde book genannt. Es existiren noch mancherlei
Standbilder und andere Abbildungen von fürstlichen Personen,
von Kaisern herab, oft von viel früher lebenden Personen, welche
Schellen in verschiedener Weise tragen, aber alle sind um das
Jahr 1400 oder nicht viel später gemacht. Man setzte damals in
der allgemeinen Volksmeinung den lärmenden Klang der Schel-
len, das Geklingel der Glocken entschieden mit Hoheit, Würde,
Ruhm und vornehmem Stand in Verbindung. Aeußerer Lärm
für das Ohr und Lärm in der Welt, als Ruf und viel Gerede,
mischten sich im Begriff mit einander. Die Ursache lag darin, daß
die Augen des Volks die Schellen zuerst bei hochgestellten oder
hochgebornen Leuten sah. "Wo die Herren sein, da klingeln die
Schellen", lautet daher das alte Sprichwort. Als einmal diese
Gedankenverbindung statt gefunden hatte, kümmerte man sich
dann wenig mehr um den Unterschied der Zeiten und um histori-
sche Wahrheit. So giebt es in Braunschweig ein Standbild
Heinrichs des Löwen aus dieser Zeit, einen mit Schellen behäng-
ten Gürtel tragend, und ein anderes seiner Gemahlin Mathilde
scheint sie an einem Reifen oder Gehenk über die Schulter zu ha-
ben. Es giebt Bilder Kaiser Heinrichs VI., Ottos IV. und seines
Bruders, des Pfalzgrafen Heinrich, und mancher Damen dieses
erlauchten Geschlechts der Welfen; es giebt eine ganze Reihe von
Abbildungen der Grafen von Holland, welche im Jahr 1586
Christoph Plantinus zu Antwerpen im Kupferstich herausgegeben
hat, und viele andere noch -- alle mit Schellen behängt: es ist
aber kein Zweifel, daß sie sämmtlich der angegebenen Zeit ent-
stammen, der Blüthezeit der Schellen, oder wenigstens einer nicht
viel späteren, als die Erinnerung noch wach und lebendig, aber
die Sache so veraltet war, daß man mit diesem Schmuck ein
gewisses Gepräge des Alters aufdrücken konnte. Zwar haben wir

II. Das Mittelalter.
1370 und 1376 gab der Herzog Otto zu Göttingen große Feſte;
dabei erſchienen die Ritter, die Frauen und Jungfrauen mit gro-
ßer Pracht in Purpurkleidern und „mit klingenden, ſilbernen und
güldenen Gürteln, mit langen Röcken und Kleidern, die gingen
alle ſchurr, ſchurr und kling, kling.“ So erzählt die Göttinger
Chronik, dat olde book genannt. Es exiſtiren noch mancherlei
Standbilder und andere Abbildungen von fürſtlichen Perſonen,
von Kaiſern herab, oft von viel früher lebenden Perſonen, welche
Schellen in verſchiedener Weiſe tragen, aber alle ſind um das
Jahr 1400 oder nicht viel ſpäter gemacht. Man ſetzte damals in
der allgemeinen Volksmeinung den lärmenden Klang der Schel-
len, das Geklingel der Glocken entſchieden mit Hoheit, Würde,
Ruhm und vornehmem Stand in Verbindung. Aeußerer Lärm
für das Ohr und Lärm in der Welt, als Ruf und viel Gerede,
miſchten ſich im Begriff mit einander. Die Urſache lag darin, daß
die Augen des Volks die Schellen zuerſt bei hochgeſtellten oder
hochgebornen Leuten ſah. „Wo die Herren ſein, da klingeln die
Schellen“, lautet daher das alte Sprichwort. Als einmal dieſe
Gedankenverbindung ſtatt gefunden hatte, kümmerte man ſich
dann wenig mehr um den Unterſchied der Zeiten und um hiſtori-
ſche Wahrheit. So giebt es in Braunſchweig ein Standbild
Heinrichs des Löwen aus dieſer Zeit, einen mit Schellen behäng-
ten Gürtel tragend, und ein anderes ſeiner Gemahlin Mathilde
ſcheint ſie an einem Reifen oder Gehenk über die Schulter zu ha-
ben. Es giebt Bilder Kaiſer Heinrichs VI., Ottos IV. und ſeines
Bruders, des Pfalzgrafen Heinrich, und mancher Damen dieſes
erlauchten Geſchlechts der Welfen; es giebt eine ganze Reihe von
Abbildungen der Grafen von Holland, welche im Jahr 1586
Chriſtoph Plantinus zu Antwerpen im Kupferſtich herausgegeben
hat, und viele andere noch — alle mit Schellen behängt: es iſt
aber kein Zweifel, daß ſie ſämmtlich der angegebenen Zeit ent-
ſtammen, der Blüthezeit der Schellen, oder wenigſtens einer nicht
viel ſpäteren, als die Erinnerung noch wach und lebendig, aber
die Sache ſo veraltet war, daß man mit dieſem Schmuck ein
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[238/0256] II. Das Mittelalter. 1370 und 1376 gab der Herzog Otto zu Göttingen große Feſte; dabei erſchienen die Ritter, die Frauen und Jungfrauen mit gro- ßer Pracht in Purpurkleidern und „mit klingenden, ſilbernen und güldenen Gürteln, mit langen Röcken und Kleidern, die gingen alle ſchurr, ſchurr und kling, kling.“ So erzählt die Göttinger Chronik, dat olde book genannt. Es exiſtiren noch mancherlei Standbilder und andere Abbildungen von fürſtlichen Perſonen, von Kaiſern herab, oft von viel früher lebenden Perſonen, welche Schellen in verſchiedener Weiſe tragen, aber alle ſind um das Jahr 1400 oder nicht viel ſpäter gemacht. Man ſetzte damals in der allgemeinen Volksmeinung den lärmenden Klang der Schel- len, das Geklingel der Glocken entſchieden mit Hoheit, Würde, Ruhm und vornehmem Stand in Verbindung. Aeußerer Lärm für das Ohr und Lärm in der Welt, als Ruf und viel Gerede, miſchten ſich im Begriff mit einander. Die Urſache lag darin, daß die Augen des Volks die Schellen zuerſt bei hochgeſtellten oder hochgebornen Leuten ſah. „Wo die Herren ſein, da klingeln die Schellen“, lautet daher das alte Sprichwort. Als einmal dieſe Gedankenverbindung ſtatt gefunden hatte, kümmerte man ſich dann wenig mehr um den Unterſchied der Zeiten und um hiſtori- ſche Wahrheit. So giebt es in Braunſchweig ein Standbild Heinrichs des Löwen aus dieſer Zeit, einen mit Schellen behäng- ten Gürtel tragend, und ein anderes ſeiner Gemahlin Mathilde ſcheint ſie an einem Reifen oder Gehenk über die Schulter zu ha- ben. Es giebt Bilder Kaiſer Heinrichs VI., Ottos IV. und ſeines Bruders, des Pfalzgrafen Heinrich, und mancher Damen dieſes erlauchten Geſchlechts der Welfen; es giebt eine ganze Reihe von Abbildungen der Grafen von Holland, welche im Jahr 1586 Chriſtoph Plantinus zu Antwerpen im Kupferſtich herausgegeben hat, und viele andere noch — alle mit Schellen behängt: es iſt aber kein Zweifel, daß ſie ſämmtlich der angegebenen Zeit ent- ſtammen, der Blüthezeit der Schellen, oder wenigſtens einer nicht viel ſpäteren, als die Erinnerung noch wach und lebendig, aber die Sache ſo veraltet war, daß man mit dieſem Schmuck ein gewiſſes Gepräge des Alters aufdrücken konnte. Zwar haben wir

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 238. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/256>, abgerufen am 25.11.2024.