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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
sich die verhüllende Gugel, früher eine Tracht der Knappen und
niederen Leute, aller Köpfe. Schon um das Jahr 1320 etwa
tragen sie edle Jäger und Jägerinnen auf der Hirschjagd, und
beim Waidmann überhaupt hat sie sich zuletzt noch lange erhal-
ten, als sie bereits aus dem gewöhnlichen Leben verschwunden
war. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zeigt sie sich in
allen Lebensverhältnissen in bestimmt ausgeprägter Form. Vom
lateinischen cucullus, welches ebenfalls schon eine verhüllende
Kopfbedeckung ist, kommt das Wort Gugel mit allen seinen Ne-
benformen her, als: Kugel, Kogel, Gogel, Gugler,
Kugelhut
und daraus zusammengezogen Kulhut. Unsern
Begriff von Hut müssen wir davon fern halten, denn die Gugel,
wie wir schon im vorigen Abschnitt ausgeführt haben, ist nichts
als die bekannte Kaputze, an einen Kragen desselben Stoffes, Goller,
befestigt, welcher Schultern und Hals rings umschließt. Sie
mußte entweder über den Kopf gezogen werden, oder sie war vom
Kinn herab aufgeschnitten und durch eine Reihe Knöpfe zusam-
mengehalten. Wenn die Kaputze übergezogen war, so blieb vom
ganzen Kopf nichts zu sehen als das rings umrahmte Gesicht:
Haar, Hals, Ohren und selbst das Kinn waren völlig verhüllt.
In Böhmen trieb man die Vermummung noch weiter, indem
man die Gugel vor dem ganzen Gesicht zuknöpfte, und nur die
Augen sahen aus Löchern heraus; zum Gespräch, zum Essen und
Trinken mußte das Gesicht aufgeknöpft werden.

Dadurch, so scheint es, hätte die ganze äußere Erscheinung
des Menschen einen finstern, mönchischen Charakter erhalten müs-
sen -- und es war auch die Zeit des Mysticismus, da man sich
scheu vor den Sünden der Welt in sich selbst zurückzog --, allein
dieser Charakter verschwindet wieder, indem wir wahrnehmen,
wie zu der Gugel immer die hellsten oder am kräftigsten wirken-
den Farben gewählt werden. Wir sehen Gelb, Hellgrün, Rosa
und alle Nüancen von Purpur und leuchtendem Hochroth, weiß
mit Gold, oder auch den farbigen Stoff am Gesicht von weißem
Rauchwerk umfaßt. Wenn wir dazu noch einen langen, gleich-
farbigen oder buntgedrehten Schwanz von der Spitze der Kaputze

II. Das Mittelalter.
ſich die verhüllende Gugel, früher eine Tracht der Knappen und
niederen Leute, aller Köpfe. Schon um das Jahr 1320 etwa
tragen ſie edle Jäger und Jägerinnen auf der Hirſchjagd, und
beim Waidmann überhaupt hat ſie ſich zuletzt noch lange erhal-
ten, als ſie bereits aus dem gewöhnlichen Leben verſchwunden
war. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zeigt ſie ſich in
allen Lebensverhältniſſen in beſtimmt ausgeprägter Form. Vom
lateiniſchen cucullus, welches ebenfalls ſchon eine verhüllende
Kopfbedeckung iſt, kommt das Wort Gugel mit allen ſeinen Ne-
benformen her, als: Kugel, Kogel, Gogel, Gugler,
Kugelhut
und daraus zuſammengezogen Kulhut. Unſern
Begriff von Hut müſſen wir davon fern halten, denn die Gugel,
wie wir ſchon im vorigen Abſchnitt ausgeführt haben, iſt nichts
als die bekannte Kaputze, an einen Kragen deſſelben Stoffes, Goller,
befeſtigt, welcher Schultern und Hals rings umſchließt. Sie
mußte entweder über den Kopf gezogen werden, oder ſie war vom
Kinn herab aufgeſchnitten und durch eine Reihe Knöpfe zuſam-
mengehalten. Wenn die Kaputze übergezogen war, ſo blieb vom
ganzen Kopf nichts zu ſehen als das rings umrahmte Geſicht:
Haar, Hals, Ohren und ſelbſt das Kinn waren völlig verhüllt.
In Böhmen trieb man die Vermummung noch weiter, indem
man die Gugel vor dem ganzen Geſicht zuknöpfte, und nur die
Augen ſahen aus Löchern heraus; zum Geſpräch, zum Eſſen und
Trinken mußte das Geſicht aufgeknöpft werden.

Dadurch, ſo ſcheint es, hätte die ganze äußere Erſcheinung
des Menſchen einen finſtern, mönchiſchen Charakter erhalten müſ-
ſen — und es war auch die Zeit des Myſticismus, da man ſich
ſcheu vor den Sünden der Welt in ſich ſelbſt zurückzog —, allein
dieſer Charakter verſchwindet wieder, indem wir wahrnehmen,
wie zu der Gugel immer die hellſten oder am kräftigſten wirken-
den Farben gewählt werden. Wir ſehen Gelb, Hellgrün, Roſa
und alle Nüancen von Purpur und leuchtendem Hochroth, weiß
mit Gold, oder auch den farbigen Stoff am Geſicht von weißem
Rauchwerk umfaßt. Wenn wir dazu noch einen langen, gleich-
farbigen oder buntgedrehten Schwanz von der Spitze der Kaputze

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[204/0222] II. Das Mittelalter. ſich die verhüllende Gugel, früher eine Tracht der Knappen und niederen Leute, aller Köpfe. Schon um das Jahr 1320 etwa tragen ſie edle Jäger und Jägerinnen auf der Hirſchjagd, und beim Waidmann überhaupt hat ſie ſich zuletzt noch lange erhal- ten, als ſie bereits aus dem gewöhnlichen Leben verſchwunden war. In der Mitte des vierzehnten Jahrhunderts zeigt ſie ſich in allen Lebensverhältniſſen in beſtimmt ausgeprägter Form. Vom lateiniſchen cucullus, welches ebenfalls ſchon eine verhüllende Kopfbedeckung iſt, kommt das Wort Gugel mit allen ſeinen Ne- benformen her, als: Kugel, Kogel, Gogel, Gugler, Kugelhut und daraus zuſammengezogen Kulhut. Unſern Begriff von Hut müſſen wir davon fern halten, denn die Gugel, wie wir ſchon im vorigen Abſchnitt ausgeführt haben, iſt nichts als die bekannte Kaputze, an einen Kragen deſſelben Stoffes, Goller, befeſtigt, welcher Schultern und Hals rings umſchließt. Sie mußte entweder über den Kopf gezogen werden, oder ſie war vom Kinn herab aufgeſchnitten und durch eine Reihe Knöpfe zuſam- mengehalten. Wenn die Kaputze übergezogen war, ſo blieb vom ganzen Kopf nichts zu ſehen als das rings umrahmte Geſicht: Haar, Hals, Ohren und ſelbſt das Kinn waren völlig verhüllt. In Böhmen trieb man die Vermummung noch weiter, indem man die Gugel vor dem ganzen Geſicht zuknöpfte, und nur die Augen ſahen aus Löchern heraus; zum Geſpräch, zum Eſſen und Trinken mußte das Geſicht aufgeknöpft werden. Dadurch, ſo ſcheint es, hätte die ganze äußere Erſcheinung des Menſchen einen finſtern, mönchiſchen Charakter erhalten müſ- ſen — und es war auch die Zeit des Myſticismus, da man ſich ſcheu vor den Sünden der Welt in ſich ſelbſt zurückzog —, allein dieſer Charakter verſchwindet wieder, indem wir wahrnehmen, wie zu der Gugel immer die hellſten oder am kräftigſten wirken- den Farben gewählt werden. Wir ſehen Gelb, Hellgrün, Roſa und alle Nüancen von Purpur und leuchtendem Hochroth, weiß mit Gold, oder auch den farbigen Stoff am Geſicht von weißem Rauchwerk umfaßt. Wenn wir dazu noch einen langen, gleich- farbigen oder buntgedrehten Schwanz von der Spitze der Kaputze

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/222>, abgerufen am 24.11.2024.