Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.II. Das Mittelalter. günstigt wurde dieser Geschmack durch den allgemeinen Modegeist,den ganzen Charakter des damaligen Culturzustandes, namentlich der Ritterschaft, und findet in ihm seine Erklärung. Wir müssen uns hineindenken in den Geist, der die Allegorie -- das Gegen- bild der Natur -- in die Poesie und aus der Poesie in den Scherz und die Spiele des Lebens einführte; wir müssen uns hineinver- setzen in die Zeit der Galanterie und der irrenden Ritter, in die Zeit, da die Ritterschaft, arm an poetischen Großthaten, die aus- gebrannte Phantasie und die erloschene Ehrbegierde an den Hel- denbildern der Amadis aus Gallia und der Lanzelot vom See wieder zu erhitzen suchte, in die Zeit, da die Ritter Romane lasen, aber nicht mit ihren Thaten machten oder erlebten. Eine gewisse geistige Verschrobenheit klebte dazumal dem ganzen Ritterthum an, wo es nicht, wie leider so vielfach in Deutschland, seinen edlen und geistigen Inhalt durch Rauf- und Raubwesen erstickt hatte. Diese Zeit ist der Beginn der Donquichoterie. Und das ist genau derselbe Geist, der die ehrsamen Meister des Hand- werks zu ihren verkünstelten, ernst-komischen Poesieen veranlaßte, nur mußte er sich freilich beim Bürger, der Hobel, Nadel oder den Schusterpfriem handhabte, anders aussprechen als beim Rit- ter, der Schwert und Lanze führte, den Damen den Hof machte, und eine Periode der höchsten und feinsten Bildung unmittelbar hinter sich hatte. Aber grade so wie der ernsthafte Unsinn des irrenden Ritterthums gemahnt es uns, wenn wir lesen von der "überkurtz Abend-Rötweis", von der "abgeschiedenen Vielfraß- Weis", der "gestreift Safran-Blümleinweis" und den andern bit- terernst gemeinten Namen der Versarten oder Strophen des Mei- stergesangs. -- Es war schon damals, in der Mitte des vierzehnten Jahr- II. Das Mittelalter. günſtigt wurde dieſer Geſchmack durch den allgemeinen Modegeiſt,den ganzen Charakter des damaligen Culturzuſtandes, namentlich der Ritterſchaft, und findet in ihm ſeine Erklärung. Wir müſſen uns hineindenken in den Geiſt, der die Allegorie — das Gegen- bild der Natur — in die Poeſie und aus der Poeſie in den Scherz und die Spiele des Lebens einführte; wir müſſen uns hineinver- ſetzen in die Zeit der Galanterie und der irrenden Ritter, in die Zeit, da die Ritterſchaft, arm an poetiſchen Großthaten, die aus- gebrannte Phantaſie und die erloſchene Ehrbegierde an den Hel- denbildern der Amadis aus Gallia und der Lanzelot vom See wieder zu erhitzen ſuchte, in die Zeit, da die Ritter Romane laſen, aber nicht mit ihren Thaten machten oder erlebten. Eine gewiſſe geiſtige Verſchrobenheit klebte dazumal dem ganzen Ritterthum an, wo es nicht, wie leider ſo vielfach in Deutſchland, ſeinen edlen und geiſtigen Inhalt durch Rauf- und Raubweſen erſtickt hatte. Dieſe Zeit iſt der Beginn der Donquichoterie. Und das iſt genau derſelbe Geiſt, der die ehrſamen Meiſter des Hand- werks zu ihren verkünſtelten, ernſt-komiſchen Poeſieen veranlaßte, nur mußte er ſich freilich beim Bürger, der Hobel, Nadel oder den Schuſterpfriem handhabte, anders ausſprechen als beim Rit- ter, der Schwert und Lanze führte, den Damen den Hof machte, und eine Periode der höchſten und feinſten Bildung unmittelbar hinter ſich hatte. Aber grade ſo wie der ernſthafte Unſinn des irrenden Ritterthums gemahnt es uns, wenn wir leſen von der „überkurtz Abend-Rötweis“, von der „abgeſchiedenen Vielfraß- Weis“, der „geſtreift Safran-Blümleinweis“ und den andern bit- terernſt gemeinten Namen der Versarten oder Strophen des Mei- ſtergeſangs. — Es war ſchon damals, in der Mitte des vierzehnten Jahr- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0216" n="198"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">II.</hi> Das Mittelalter.</fw><lb/> günſtigt wurde dieſer Geſchmack durch den allgemeinen Modegeiſt,<lb/> den ganzen Charakter des damaligen Culturzuſtandes, namentlich<lb/> der Ritterſchaft, und findet in ihm ſeine Erklärung. Wir müſſen<lb/> uns hineindenken in den Geiſt, der die Allegorie — das Gegen-<lb/> bild der Natur — in die Poeſie und aus der Poeſie in den Scherz<lb/> und die Spiele des Lebens einführte; wir müſſen uns hineinver-<lb/> ſetzen in die Zeit der Galanterie und der irrenden Ritter, in die<lb/> Zeit, da die Ritterſchaft, arm an poetiſchen Großthaten, die aus-<lb/> gebrannte Phantaſie und die erloſchene Ehrbegierde an den Hel-<lb/> denbildern der Amadis aus Gallia und der Lanzelot vom See<lb/> wieder zu erhitzen ſuchte, in die Zeit, da die Ritter Romane<lb/><hi rendition="#g">laſen</hi>, aber nicht mit ihren Thaten <hi rendition="#g">machten</hi> oder erlebten.<lb/> Eine gewiſſe geiſtige Verſchrobenheit klebte dazumal dem ganzen<lb/> Ritterthum an, wo es nicht, wie leider ſo vielfach in Deutſchland,<lb/> ſeinen edlen und geiſtigen Inhalt durch Rauf- und Raubweſen<lb/> erſtickt hatte. Dieſe Zeit iſt der Beginn der Donquichoterie. Und<lb/> das iſt genau derſelbe Geiſt, der die ehrſamen Meiſter des Hand-<lb/> werks zu ihren verkünſtelten, ernſt-komiſchen Poeſieen veranlaßte,<lb/> nur mußte er ſich freilich beim Bürger, der Hobel, Nadel oder<lb/> den Schuſterpfriem handhabte, anders ausſprechen als beim Rit-<lb/> ter, der Schwert und Lanze führte, den Damen den Hof machte,<lb/> und eine Periode der höchſten und feinſten Bildung unmittelbar<lb/> hinter ſich hatte. Aber grade ſo wie der ernſthafte Unſinn des<lb/> irrenden Ritterthums gemahnt es uns, wenn wir leſen von der<lb/> „überkurtz Abend-Rötweis“, von der „abgeſchiedenen Vielfraß-<lb/> Weis“, der „geſtreift Safran-Blümleinweis“ und den andern bit-<lb/> terernſt gemeinten Namen der Versarten oder Strophen des Mei-<lb/> ſtergeſangs. —</p><lb/> <p>Es war ſchon damals, in der Mitte des vierzehnten Jahr-<lb/> hunderts, als für den kurzen und engen Rock ein Name aufkam,<lb/> der ſich ſeitdem in ähnlicher Bedeutung erhalten hat, nämlich<lb/><hi rendition="#g">Jacke</hi>. Nach der Meinung jener Zeiten war zwar nicht das<lb/> Wort, wohl aber die Sache <hi rendition="#g">deutſchen</hi> Urſprungs, obwohl ſich<lb/> die Ausbildung der kurzen Tracht bei allen abendländiſchen Völ-<lb/> kern, Deutſchen, Franzoſen, Italienern, Engländern, Spaniern,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [198/0216]
II. Das Mittelalter.
günſtigt wurde dieſer Geſchmack durch den allgemeinen Modegeiſt,
den ganzen Charakter des damaligen Culturzuſtandes, namentlich
der Ritterſchaft, und findet in ihm ſeine Erklärung. Wir müſſen
uns hineindenken in den Geiſt, der die Allegorie — das Gegen-
bild der Natur — in die Poeſie und aus der Poeſie in den Scherz
und die Spiele des Lebens einführte; wir müſſen uns hineinver-
ſetzen in die Zeit der Galanterie und der irrenden Ritter, in die
Zeit, da die Ritterſchaft, arm an poetiſchen Großthaten, die aus-
gebrannte Phantaſie und die erloſchene Ehrbegierde an den Hel-
denbildern der Amadis aus Gallia und der Lanzelot vom See
wieder zu erhitzen ſuchte, in die Zeit, da die Ritter Romane
laſen, aber nicht mit ihren Thaten machten oder erlebten.
Eine gewiſſe geiſtige Verſchrobenheit klebte dazumal dem ganzen
Ritterthum an, wo es nicht, wie leider ſo vielfach in Deutſchland,
ſeinen edlen und geiſtigen Inhalt durch Rauf- und Raubweſen
erſtickt hatte. Dieſe Zeit iſt der Beginn der Donquichoterie. Und
das iſt genau derſelbe Geiſt, der die ehrſamen Meiſter des Hand-
werks zu ihren verkünſtelten, ernſt-komiſchen Poeſieen veranlaßte,
nur mußte er ſich freilich beim Bürger, der Hobel, Nadel oder
den Schuſterpfriem handhabte, anders ausſprechen als beim Rit-
ter, der Schwert und Lanze führte, den Damen den Hof machte,
und eine Periode der höchſten und feinſten Bildung unmittelbar
hinter ſich hatte. Aber grade ſo wie der ernſthafte Unſinn des
irrenden Ritterthums gemahnt es uns, wenn wir leſen von der
„überkurtz Abend-Rötweis“, von der „abgeſchiedenen Vielfraß-
Weis“, der „geſtreift Safran-Blümleinweis“ und den andern bit-
terernſt gemeinten Namen der Versarten oder Strophen des Mei-
ſtergeſangs. —
Es war ſchon damals, in der Mitte des vierzehnten Jahr-
hunderts, als für den kurzen und engen Rock ein Name aufkam,
der ſich ſeitdem in ähnlicher Bedeutung erhalten hat, nämlich
Jacke. Nach der Meinung jener Zeiten war zwar nicht das
Wort, wohl aber die Sache deutſchen Urſprungs, obwohl ſich
die Ausbildung der kurzen Tracht bei allen abendländiſchen Völ-
kern, Deutſchen, Franzoſen, Italienern, Engländern, Spaniern,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |