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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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II. Das Mittelalter.
ging auch an, daß sich die Männer hinten, vorn und neben zu-
nestelten und gingen hart gespannt." Viel schärfer als diese
Worte der Limburger Chronik spricht sich mit hartem Vorwurf die
böhmische Chronik des Hagecius darüber aus: "Im Jahr 1367
kamen in Böhmen wieder neue Trachten auf. Manche trugen
fünf oder sechs Schock Knöpfe und die Kleider so enge angepaßt,
daß sie sich nicht bücken und bewegen konnten. Gottes Greuel
über die kurzen Röcklein und die spitzen Schnabelschuhe!" Am
allerhärtesten verdammt der österreichische Dichter Peter Suchen-
wirt diese Mode. In dem didactischen Gedicht "von der Verle-
genheit" leitet er gradezu die Ungeschicklichkeit des jungen Ritters
seiner Zeit, die Vernachlässigung der ritterlichen Tugenden und
Uebungen von der "verschamten Kleidung" her. Laufen, Sprin-
gen, Schießen und Steinwerfen, alle Uebungen der Arme und der
Beine seien unmöglich, wenn die jungen Ritter sich vorn und
hinten mit Riemen bänden, daß sie starr und steif wären wie
Holzscheite. Wenn einer mit dem andern sich in ein Kampfspiel
einlassen wolle, so heiße es gleich: "Hör auf, mir ist dahinten
ein Nestel zerrissen." So, meint er, müsse ritterliche Geschicklich-
keit schwinden vor der "lästerlichen Kleidung, die so schändlich
stehe."

Mehr von der komischen Seite faßt derselbe Dichter diese
Tracht in einem andern Gedicht auf: "von der Minne Schlaf."
Frau Minne hat einstmals eine einschläfernde Wurzel in den
Mund genommen und darüber zehn volle Jahre verschlafen, bis
ihre Dienerin, Frau Scham, die Ursache gemerkt und die Wurzel
wieder aus dem Mund genommen. Da sie erwacht ist, erkundigt
sie sich nach dem edlen Volk, das ihr früher in Zucht und Scham
gedient habe. Da bringt man ihr einen Ritter dar, der diente ihr
früher mit Treue wie ein geschworner eigener Mann.

"Die Minne sah ihn lachend an;
Der kurzen Kleider sie verdroß:
Seid willkommen, Herr Hintenbloß!
Laßt ihr euch also schauen
Vor minniglichen Frauen?

II. Das Mittelalter.
ging auch an, daß ſich die Männer hinten, vorn und neben zu-
neſtelten und gingen hart geſpannt.“ Viel ſchärfer als dieſe
Worte der Limburger Chronik ſpricht ſich mit hartem Vorwurf die
böhmiſche Chronik des Hagecius darüber aus: „Im Jahr 1367
kamen in Böhmen wieder neue Trachten auf. Manche trugen
fünf oder ſechs Schock Knöpfe und die Kleider ſo enge angepaßt,
daß ſie ſich nicht bücken und bewegen konnten. Gottes Greuel
über die kurzen Röcklein und die ſpitzen Schnabelſchuhe!“ Am
allerhärteſten verdammt der öſterreichiſche Dichter Peter Suchen-
wirt dieſe Mode. In dem didactiſchen Gedicht „von der Verle-
genheit“ leitet er gradezu die Ungeſchicklichkeit des jungen Ritters
ſeiner Zeit, die Vernachläſſigung der ritterlichen Tugenden und
Uebungen von der „verſchamten Kleidung“ her. Laufen, Sprin-
gen, Schießen und Steinwerfen, alle Uebungen der Arme und der
Beine ſeien unmöglich, wenn die jungen Ritter ſich vorn und
hinten mit Riemen bänden, daß ſie ſtarr und ſteif wären wie
Holzſcheite. Wenn einer mit dem andern ſich in ein Kampfſpiel
einlaſſen wolle, ſo heiße es gleich: „Hör auf, mir iſt dahinten
ein Neſtel zerriſſen.“ So, meint er, müſſe ritterliche Geſchicklich-
keit ſchwinden vor der „läſterlichen Kleidung, die ſo ſchändlich
ſtehe.“

Mehr von der komiſchen Seite faßt derſelbe Dichter dieſe
Tracht in einem andern Gedicht auf: „von der Minne Schlaf.“
Frau Minne hat einſtmals eine einſchläfernde Wurzel in den
Mund genommen und darüber zehn volle Jahre verſchlafen, bis
ihre Dienerin, Frau Scham, die Urſache gemerkt und die Wurzel
wieder aus dem Mund genommen. Da ſie erwacht iſt, erkundigt
ſie ſich nach dem edlen Volk, das ihr früher in Zucht und Scham
gedient habe. Da bringt man ihr einen Ritter dar, der diente ihr
früher mit Treue wie ein geſchworner eigener Mann.

„Die Minne ſah ihn lachend an;
Der kurzen Kleider ſie verdroß:
Seid willkommen, Herr Hintenbloß!
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Vor minniglichen Frauen?
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[196/0214] II. Das Mittelalter. ging auch an, daß ſich die Männer hinten, vorn und neben zu- neſtelten und gingen hart geſpannt.“ Viel ſchärfer als dieſe Worte der Limburger Chronik ſpricht ſich mit hartem Vorwurf die böhmiſche Chronik des Hagecius darüber aus: „Im Jahr 1367 kamen in Böhmen wieder neue Trachten auf. Manche trugen fünf oder ſechs Schock Knöpfe und die Kleider ſo enge angepaßt, daß ſie ſich nicht bücken und bewegen konnten. Gottes Greuel über die kurzen Röcklein und die ſpitzen Schnabelſchuhe!“ Am allerhärteſten verdammt der öſterreichiſche Dichter Peter Suchen- wirt dieſe Mode. In dem didactiſchen Gedicht „von der Verle- genheit“ leitet er gradezu die Ungeſchicklichkeit des jungen Ritters ſeiner Zeit, die Vernachläſſigung der ritterlichen Tugenden und Uebungen von der „verſchamten Kleidung“ her. Laufen, Sprin- gen, Schießen und Steinwerfen, alle Uebungen der Arme und der Beine ſeien unmöglich, wenn die jungen Ritter ſich vorn und hinten mit Riemen bänden, daß ſie ſtarr und ſteif wären wie Holzſcheite. Wenn einer mit dem andern ſich in ein Kampfſpiel einlaſſen wolle, ſo heiße es gleich: „Hör auf, mir iſt dahinten ein Neſtel zerriſſen.“ So, meint er, müſſe ritterliche Geſchicklich- keit ſchwinden vor der „läſterlichen Kleidung, die ſo ſchändlich ſtehe.“ Mehr von der komiſchen Seite faßt derſelbe Dichter dieſe Tracht in einem andern Gedicht auf: „von der Minne Schlaf.“ Frau Minne hat einſtmals eine einſchläfernde Wurzel in den Mund genommen und darüber zehn volle Jahre verſchlafen, bis ihre Dienerin, Frau Scham, die Urſache gemerkt und die Wurzel wieder aus dem Mund genommen. Da ſie erwacht iſt, erkundigt ſie ſich nach dem edlen Volk, das ihr früher in Zucht und Scham gedient habe. Da bringt man ihr einen Ritter dar, der diente ihr früher mit Treue wie ein geſchworner eigener Mann. „Die Minne ſah ihn lachend an; Der kurzen Kleider ſie verdroß: Seid willkommen, Herr Hintenbloß! Laßt ihr euch alſo ſchauen Vor minniglichen Frauen?

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 196. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/214>, abgerufen am 27.11.2024.