Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Jahrhundert später als in Frankreich und Italien, um die Zeitund namentlich gleich nach dem schwarzen Tode. Freilich hatte das üppige Leben, das mit dem Aufhören der Pest sofort in auf- fälliger Weise sich bemerkbar macht, nicht von ihm erst seinen Ausgang genommen; es knüpft aufs bestimmteste an die vorher herrschende Richtung an. Wir finden daher auch bereits im Jahr 1343 eine Nürnberger Verordnung gegen den Schmuck der Frauen gerichtet. In den Niederlanden wurde schon länger von den Bür- gern und Bürgerinnen ein luxuriöser Gebrauch ihrer Reichthümer gemacht. Es wird erzählt, daß, als die Königin Johanna von Frankreich mit ihrem Gemahl Philipp dem Schönen auf einer Reise in die Städte Gent und Brügge kam, sie beim Anblick der reich gekleideten Bürgerinnen gesagt habe: "Ich glaubte die ein- zige Königin hier zu sein, aber ich sehe mehr als sechshundert." Dennoch gewahren wir, wenn wir die zahlreichen bildlichen Quel- len aus der ersten und zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhun- derts vergleichend zusammen stellen, seit der Mitte des Jahrhun- derts einen bedeutenden Unterschied, welcher sowohl in Bezug auf Sittlichkeit und Schicklichkeit, wie in Rücksicht auffälliger, barocker Moden die zweite Hälfte von der ersten scheidet. Wir er- innern zugleich an die oben mitgetheilten Worte des Limburger Chronisten, daß nach dem schwarzen Tode die Welt zu neuem Leben erwacht sei. Dazu mochte kommen, daß die jüngst überstan- dene Noth den ängstlichen Gemüthern ins Gewissen gepredigt hatte und ihnen Dinge, die früher für erlaubt gegolten, auf einmal im Licht der Sündhaftigkeit zeigte. So spricht es auch der Rath von Speier aus, der im Jahr 1356, nachdem ihm der Frankfurter bereits vorausgegangen war, eine ausführliche Klei- derordnung erließ, welche diese Zustände allseitig erfaßte und zu heilen meinte. In der Einleitung derselben heißt es: "Wir, der Rath zu Speier, bekennen an diesem Briefe, daß wir großen Bresten gemerket haben, der jetzt ist, in Städten und auf dem Lande, an Uebermuth und Hoffart, die auch die Todsünde gewe- sen ist, die je beschah, und aus welcher alle Sünden gewurzelt sind, wie diese Sünde auch wider Gott und den Leuten schädlich 2. Die Zeit des Luxus und der Entartung. Jahrhundert ſpäter als in Frankreich und Italien, um die Zeitund namentlich gleich nach dem ſchwarzen Tode. Freilich hatte das üppige Leben, das mit dem Aufhören der Peſt ſofort in auf- fälliger Weiſe ſich bemerkbar macht, nicht von ihm erſt ſeinen Ausgang genommen; es knüpft aufs beſtimmteſte an die vorher herrſchende Richtung an. Wir finden daher auch bereits im Jahr 1343 eine Nürnberger Verordnung gegen den Schmuck der Frauen gerichtet. In den Niederlanden wurde ſchon länger von den Bür- gern und Bürgerinnen ein luxuriöſer Gebrauch ihrer Reichthümer gemacht. Es wird erzählt, daß, als die Königin Johanna von Frankreich mit ihrem Gemahl Philipp dem Schönen auf einer Reiſe in die Städte Gent und Brügge kam, ſie beim Anblick der reich gekleideten Bürgerinnen geſagt habe: „Ich glaubte die ein- zige Königin hier zu ſein, aber ich ſehe mehr als ſechshundert.“ Dennoch gewahren wir, wenn wir die zahlreichen bildlichen Quel- len aus der erſten und zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhun- derts vergleichend zuſammen ſtellen, ſeit der Mitte des Jahrhun- derts einen bedeutenden Unterſchied, welcher ſowohl in Bezug auf Sittlichkeit und Schicklichkeit, wie in Rückſicht auffälliger, barocker Moden die zweite Hälfte von der erſten ſcheidet. Wir er- innern zugleich an die oben mitgetheilten Worte des Limburger Chroniſten, daß nach dem ſchwarzen Tode die Welt zu neuem Leben erwacht ſei. Dazu mochte kommen, daß die jüngſt überſtan- dene Noth den ängſtlichen Gemüthern ins Gewiſſen gepredigt hatte und ihnen Dinge, die früher für erlaubt gegolten, auf einmal im Licht der Sündhaftigkeit zeigte. So ſpricht es auch der Rath von Speier aus, der im Jahr 1356, nachdem ihm der Frankfurter bereits vorausgegangen war, eine ausführliche Klei- derordnung erließ, welche dieſe Zuſtände allſeitig erfaßte und zu heilen meinte. In der Einleitung derſelben heißt es: „Wir, der Rath zu Speier, bekennen an dieſem Briefe, daß wir großen Breſten gemerket haben, der jetzt iſt, in Städten und auf dem Lande, an Uebermuth und Hoffart, die auch die Todſünde gewe- ſen iſt, die je beſchah, und aus welcher alle Sünden gewurzelt ſind, wie dieſe Sünde auch wider Gott und den Leuten ſchädlich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0199" n="181"/><fw place="top" type="header">2. 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2. Die Zeit des Luxus und der Entartung.
Jahrhundert ſpäter als in Frankreich und Italien, um die Zeit
und namentlich gleich nach dem ſchwarzen Tode. Freilich hatte
das üppige Leben, das mit dem Aufhören der Peſt ſofort in auf-
fälliger Weiſe ſich bemerkbar macht, nicht von ihm erſt ſeinen
Ausgang genommen; es knüpft aufs beſtimmteſte an die vorher
herrſchende Richtung an. Wir finden daher auch bereits im Jahr
1343 eine Nürnberger Verordnung gegen den Schmuck der Frauen
gerichtet. In den Niederlanden wurde ſchon länger von den Bür-
gern und Bürgerinnen ein luxuriöſer Gebrauch ihrer Reichthümer
gemacht. Es wird erzählt, daß, als die Königin Johanna von
Frankreich mit ihrem Gemahl Philipp dem Schönen auf einer
Reiſe in die Städte Gent und Brügge kam, ſie beim Anblick der
reich gekleideten Bürgerinnen geſagt habe: „Ich glaubte die ein-
zige Königin hier zu ſein, aber ich ſehe mehr als ſechshundert.“
Dennoch gewahren wir, wenn wir die zahlreichen bildlichen Quel-
len aus der erſten und zweiten Hälfte des vierzehnten Jahrhun-
derts vergleichend zuſammen ſtellen, ſeit der Mitte des Jahrhun-
derts einen bedeutenden Unterſchied, welcher ſowohl in Bezug
auf Sittlichkeit und Schicklichkeit, wie in Rückſicht auffälliger,
barocker Moden die zweite Hälfte von der erſten ſcheidet. Wir er-
innern zugleich an die oben mitgetheilten Worte des Limburger
Chroniſten, daß nach dem ſchwarzen Tode die Welt zu neuem
Leben erwacht ſei. Dazu mochte kommen, daß die jüngſt überſtan-
dene Noth den ängſtlichen Gemüthern ins Gewiſſen gepredigt
hatte und ihnen Dinge, die früher für erlaubt gegolten, auf
einmal im Licht der Sündhaftigkeit zeigte. So ſpricht es auch der
Rath von Speier aus, der im Jahr 1356, nachdem ihm der
Frankfurter bereits vorausgegangen war, eine ausführliche Klei-
derordnung erließ, welche dieſe Zuſtände allſeitig erfaßte und zu
heilen meinte. In der Einleitung derſelben heißt es: „Wir, der
Rath zu Speier, bekennen an dieſem Briefe, daß wir großen
Breſten gemerket haben, der jetzt iſt, in Städten und auf dem
Lande, an Uebermuth und Hoffart, die auch die Todſünde gewe-
ſen iſt, die je beſchah, und aus welcher alle Sünden gewurzelt
ſind, wie dieſe Sünde auch wider Gott und den Leuten ſchädlich
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