1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Die auffallendste Beschreibung wird in der schon öfter erwähnten Erzählung vom eitlen Bauersohn Helmbrecht gemacht. Derselbe trug ein Haar, gelockt und gelb, das hing über die Achseln herab. Er fing es in einer Haube, die mit schönen Bildern in Seide durchnäht war; darunter waren Papageien, Tauben und anderes Gevögel, als wenn es aus dem Spessart käme, mitten auf dem Kopfe, hinten und oben. Am rechten Ohr hinab sah man die Be- lagerung und Zerstörung Trojas mit der Flucht des Aeneas; an der linken Seite waren König Karl, Roland, Turpin und Olivier im Kampf mit den Heiden in der Provence, Arles und Galizien. Hinten zwischen den Ohren sah man, wie die beiden Söhne der Frau Helke und Diether von Bern durch Wittich vor Ravenna erschlagen wurden. Vorn war ein Kranz, genäht mit glänzender Seide; zwischen zwei Frauen stand, wie sie auch beim Tanze thun, ein Ritter an ihren Händen, und ihnen gegenüber am an- dern Ende zwischen zwei Mädchen je ein Knappe, der ihre Hände hielt; dabei standen Fideler. Eine Nonne, die ihrer Zelle ent- nommen war, hatte dieses Wunderwerk der Stickerei genäht, wo- für ihr Helmbrechts Schwester ein Rind und die Mutter Käse und Eier gegeben. --
Wenn an dieser Beschreibung auch die Phantasie des Dich- ters den weitaus größten Antheil haben mag, so darf doch der Schluß gestattet sein, daß ähnliche Stickereien auf Kleidungs- stücken öfter vorgekommen sind. Es ist zudem nicht das einzige Mal, daß freie figurative Gegenstände auf Gewändern wirklich erwähnt werden. Doch sind es auch hier viel seltner menschliche als Thiergestalten, zu denen die Phantasie mehr Nei- gung und die Kunst mehr Geschick zeigte. Die bildlichen Quellen zwar lassen nichts von dieser Sitte erkennen, mit Ausnahme des Ritters, wenn er in vollständigem ritterlichen Schmuck in die Schranken des Turniers ritt. Dann zeigten nicht bloß Schild und Helm seine Farben, auch die wehende Pferdedecke und sein langer Waffenrock, den er über dem Panzerhemd trug, waren mit dem Zeichen seines Wappens, mochte es ein Thier oder was sonst vorstellen, in seinen Farben mannigfach verziert. Auch seine Devise
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 10
1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Die auffallendſte Beſchreibung wird in der ſchon öfter erwähnten Erzählung vom eitlen Bauerſohn Helmbrecht gemacht. Derſelbe trug ein Haar, gelockt und gelb, das hing über die Achſeln herab. Er fing es in einer Haube, die mit ſchönen Bildern in Seide durchnäht war; darunter waren Papageien, Tauben und anderes Gevögel, als wenn es aus dem Speſſart käme, mitten auf dem Kopfe, hinten und oben. Am rechten Ohr hinab ſah man die Be- lagerung und Zerſtörung Trojas mit der Flucht des Aeneas; an der linken Seite waren König Karl, Roland, Turpin und Olivier im Kampf mit den Heiden in der Provence, Arles und Galizien. Hinten zwiſchen den Ohren ſah man, wie die beiden Söhne der Frau Helke und Diether von Bern durch Wittich vor Ravenna erſchlagen wurden. Vorn war ein Kranz, genäht mit glänzender Seide; zwiſchen zwei Frauen ſtand, wie ſie auch beim Tanze thun, ein Ritter an ihren Händen, und ihnen gegenüber am an- dern Ende zwiſchen zwei Mädchen je ein Knappe, der ihre Hände hielt; dabei ſtanden Fideler. Eine Nonne, die ihrer Zelle ent- nommen war, hatte dieſes Wunderwerk der Stickerei genäht, wo- für ihr Helmbrechts Schweſter ein Rind und die Mutter Käſe und Eier gegeben. —
Wenn an dieſer Beſchreibung auch die Phantaſie des Dich- ters den weitaus größten Antheil haben mag, ſo darf doch der Schluß geſtattet ſein, daß ähnliche Stickereien auf Kleidungs- ſtücken öfter vorgekommen ſind. Es iſt zudem nicht das einzige Mal, daß freie figurative Gegenſtände auf Gewändern wirklich erwähnt werden. Doch ſind es auch hier viel ſeltner menſchliche als Thiergeſtalten, zu denen die Phantaſie mehr Nei- gung und die Kunſt mehr Geſchick zeigte. Die bildlichen Quellen zwar laſſen nichts von dieſer Sitte erkennen, mit Ausnahme des Ritters, wenn er in vollſtändigem ritterlichen Schmuck in die Schranken des Turniers ritt. Dann zeigten nicht bloß Schild und Helm ſeine Farben, auch die wehende Pferdedecke und ſein langer Waffenrock, den er über dem Panzerhemd trug, waren mit dem Zeichen ſeines Wappens, mochte es ein Thier oder was ſonſt vorſtellen, in ſeinen Farben mannigfach verziert. Auch ſeine Deviſe
Falke, Trachten- und Modenwelt. I. 10
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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
Die auffallendſte Beſchreibung wird in der ſchon öfter erwähnten
Erzählung vom eitlen Bauerſohn Helmbrecht gemacht. Derſelbe
trug ein Haar, gelockt und gelb, das hing über die Achſeln herab.
Er fing es in einer Haube, die mit ſchönen Bildern in Seide
durchnäht war; darunter waren Papageien, Tauben und anderes
Gevögel, als wenn es aus dem Speſſart käme, mitten auf dem
Kopfe, hinten und oben. Am rechten Ohr hinab ſah man die Be-
lagerung und Zerſtörung Trojas mit der Flucht des Aeneas; an
der linken Seite waren König Karl, Roland, Turpin und Olivier
im Kampf mit den Heiden in der Provence, Arles und Galizien.
Hinten zwiſchen den Ohren ſah man, wie die beiden Söhne der
Frau Helke und Diether von Bern durch Wittich vor Ravenna
erſchlagen wurden. Vorn war ein Kranz, genäht mit glänzender
Seide; zwiſchen zwei Frauen ſtand, wie ſie auch beim Tanze
thun, ein Ritter an ihren Händen, und ihnen gegenüber am an-
dern Ende zwiſchen zwei Mädchen je ein Knappe, der ihre Hände
hielt; dabei ſtanden Fideler. Eine Nonne, die ihrer Zelle ent-
nommen war, hatte dieſes Wunderwerk der Stickerei genäht, wo-
für ihr Helmbrechts Schweſter ein Rind und die Mutter Käſe und
Eier gegeben. —
Wenn an dieſer Beſchreibung auch die Phantaſie des Dich-
ters den weitaus größten Antheil haben mag, ſo darf doch der
Schluß geſtattet ſein, daß ähnliche Stickereien auf Kleidungs-
ſtücken öfter vorgekommen ſind. Es iſt zudem nicht das einzige
Mal, daß freie figurative Gegenſtände auf Gewändern
wirklich erwähnt werden. Doch ſind es auch hier viel ſeltner
menſchliche als Thiergeſtalten, zu denen die Phantaſie mehr Nei-
gung und die Kunſt mehr Geſchick zeigte. Die bildlichen Quellen
zwar laſſen nichts von dieſer Sitte erkennen, mit Ausnahme des
Ritters, wenn er in vollſtändigem ritterlichen Schmuck in die
Schranken des Turniers ritt. Dann zeigten nicht bloß Schild
und Helm ſeine Farben, auch die wehende Pferdedecke und ſein
langer Waffenrock, den er über dem Panzerhemd trug, waren mit
dem Zeichen ſeines Wappens, mochte es ein Thier oder was ſonſt
vorſtellen, in ſeinen Farben mannigfach verziert. Auch ſeine Deviſe
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/163>, abgerufen am 08.07.2024.
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