det bald; schon die etwas früheren, oft genannten Bilder zum Sachsenspiegel lassen nicht einmal den Kaiser bärtig sein, wohl aber den Papst und geistliche Churfürsten.
Nur scheinbar schlug das Haupthaar einen anderen Weg ein. Die römische Kürze steht keineswegs mit natürlicher Schön- heit in Einklang. Schon im elften Jahrhunderte hatte man An- griffe dagegen gemacht, und nicht ohne Erfolg; im zwölften war die Schranke durchbrochen, das Haar erhielt größere Freiheit zu wachsen, aber, das rechte Maß verfehlend, schwankte es noch hin und her. Die männlichen Personen auf den Bildern des Herrad tragen durchweg ein nicht mehr in alter Weise, doch ziemlich kur- zes Haar, welches die Ohren frei läßt. Man glaubt es den Köpfen anzusehen, daß es ihren Trägern noch nicht zum rechten Bewußt- sein gekommen, welch ein schönes Ding das menschliche Haar ist, und welche Pflege es um der ganzen übrigen Erscheinung willen verdient. Es macht den Eindruck der Vernachlässigung. Auch Friedrich Rothbart trägt sein Haar über Stirn und Ohren ziemlich kurz in grader Linie verschnitten. Gleichzeitig können wir das völlige Extrem bemerken. Auf einem schon oben erwähnten Bilde, welches Hefner (I, 69) mittheilt, tragen ein Graf Siboto und seine Söhne das Haar so lang, daß es frauenmäßig über Schultern und Nacken tief den Rücken hinabfällt. Auch bei diesem Uebermaß konnte ein Zeitalter nicht bleiben, welches, unter der Herrschaft weiblichen Geschmackes stehend, im eigenen Aeußeren nach ästhetischer Befriedigung schmachtete. Zugleich war diese Tracht bei der Art des Kettenhemdes, von dem eine Kaputze unter dem Helm das Haupt eng umschloß, unmöglich oder doch wenigstens höchst unbequem. Schon mit dem Ende des zwölften oder im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, also in der höchsten Blüthe- zeit der Dichtkunst und der Frauenherrschaft, wird das Maß ge- funden, welches von da an die ganze Periode durch sich erhielt und mit der ausgebildeten Tracht in vollem Einklang stand. Man ließ das Haar im Nacken und auf den Seiten frei wachsen, bis es über die Ohren herunter fiel und sie verdeckte, und schnitt es dann rund umher ab, in einer Höhe, daß es die Schultern nicht
II. Das Mittelalter.
det bald; ſchon die etwas früheren, oft genannten Bilder zum Sachſenſpiegel laſſen nicht einmal den Kaiſer bärtig ſein, wohl aber den Papſt und geiſtliche Churfürſten.
Nur ſcheinbar ſchlug das Haupthaar einen anderen Weg ein. Die römiſche Kürze ſteht keineswegs mit natürlicher Schön- heit in Einklang. Schon im elften Jahrhunderte hatte man An- griffe dagegen gemacht, und nicht ohne Erfolg; im zwölften war die Schranke durchbrochen, das Haar erhielt größere Freiheit zu wachſen, aber, das rechte Maß verfehlend, ſchwankte es noch hin und her. Die männlichen Perſonen auf den Bildern des Herrad tragen durchweg ein nicht mehr in alter Weiſe, doch ziemlich kur- zes Haar, welches die Ohren frei läßt. Man glaubt es den Köpfen anzuſehen, daß es ihren Trägern noch nicht zum rechten Bewußt- ſein gekommen, welch ein ſchönes Ding das menſchliche Haar iſt, und welche Pflege es um der ganzen übrigen Erſcheinung willen verdient. Es macht den Eindruck der Vernachläſſigung. Auch Friedrich Rothbart trägt ſein Haar über Stirn und Ohren ziemlich kurz in grader Linie verſchnitten. Gleichzeitig können wir das völlige Extrem bemerken. Auf einem ſchon oben erwähnten Bilde, welches Hefner (I, 69) mittheilt, tragen ein Graf Siboto und ſeine Söhne das Haar ſo lang, daß es frauenmäßig über Schultern und Nacken tief den Rücken hinabfällt. Auch bei dieſem Uebermaß konnte ein Zeitalter nicht bleiben, welches, unter der Herrſchaft weiblichen Geſchmackes ſtehend, im eigenen Aeußeren nach äſthetiſcher Befriedigung ſchmachtete. Zugleich war dieſe Tracht bei der Art des Kettenhemdes, von dem eine Kaputze unter dem Helm das Haupt eng umſchloß, unmöglich oder doch wenigſtens höchſt unbequem. Schon mit dem Ende des zwölften oder im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, alſo in der höchſten Blüthe- zeit der Dichtkunſt und der Frauenherrſchaft, wird das Maß ge- funden, welches von da an die ganze Periode durch ſich erhielt und mit der ausgebildeten Tracht in vollem Einklang ſtand. Man ließ das Haar im Nacken und auf den Seiten frei wachſen, bis es über die Ohren herunter fiel und ſie verdeckte, und ſchnitt es dann rund umher ab, in einer Höhe, daß es die Schultern nicht
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II. Das Mittelalter.
det bald; ſchon die etwas früheren, oft genannten Bilder zum
Sachſenſpiegel laſſen nicht einmal den Kaiſer bärtig ſein, wohl
aber den Papſt und geiſtliche Churfürſten.
Nur ſcheinbar ſchlug das Haupthaar einen anderen Weg
ein. Die römiſche Kürze ſteht keineswegs mit natürlicher Schön-
heit in Einklang. Schon im elften Jahrhunderte hatte man An-
griffe dagegen gemacht, und nicht ohne Erfolg; im zwölften war
die Schranke durchbrochen, das Haar erhielt größere Freiheit zu
wachſen, aber, das rechte Maß verfehlend, ſchwankte es noch hin
und her. Die männlichen Perſonen auf den Bildern des Herrad
tragen durchweg ein nicht mehr in alter Weiſe, doch ziemlich kur-
zes Haar, welches die Ohren frei läßt. Man glaubt es den Köpfen
anzuſehen, daß es ihren Trägern noch nicht zum rechten Bewußt-
ſein gekommen, welch ein ſchönes Ding das menſchliche Haar
iſt, und welche Pflege es um der ganzen übrigen Erſcheinung
willen verdient. Es macht den Eindruck der Vernachläſſigung.
Auch Friedrich Rothbart trägt ſein Haar über Stirn und Ohren
ziemlich kurz in grader Linie verſchnitten. Gleichzeitig können wir
das völlige Extrem bemerken. Auf einem ſchon oben erwähnten
Bilde, welches Hefner (I, 69) mittheilt, tragen ein Graf Siboto
und ſeine Söhne das Haar ſo lang, daß es frauenmäßig über
Schultern und Nacken tief den Rücken hinabfällt. Auch bei dieſem
Uebermaß konnte ein Zeitalter nicht bleiben, welches, unter der
Herrſchaft weiblichen Geſchmackes ſtehend, im eigenen Aeußeren
nach äſthetiſcher Befriedigung ſchmachtete. Zugleich war dieſe Tracht
bei der Art des Kettenhemdes, von dem eine Kaputze unter dem
Helm das Haupt eng umſchloß, unmöglich oder doch wenigſtens
höchſt unbequem. Schon mit dem Ende des zwölften oder im
Anfang des dreizehnten Jahrhunderts, alſo in der höchſten Blüthe-
zeit der Dichtkunſt und der Frauenherrſchaft, wird das Maß ge-
funden, welches von da an die ganze Periode durch ſich erhielt
und mit der ausgebildeten Tracht in vollem Einklang ſtand. Man
ließ das Haar im Nacken und auf den Seiten frei wachſen, bis
es über die Ohren herunter fiel und ſie verdeckte, und ſchnitt es
dann rund umher ab, in einer Höhe, daß es die Schultern nicht
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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/158>, abgerufen am 16.02.2025.
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