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Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
webt. Doch nicht ausschließlich war Seide der Stoff, denn als
Brunhilde zu Bette geht, trägt sie "ein sabenweißes Hemde", Sa-
ben ist aber die schon in früheren Zeiten berühmte und damals
viel mehr gebrauchte feine Leinwand. Vielleicht gehört auch dieser
Ausdruck noch der ältern Form des Nibelungenliedes an. Spä-
ter wird die Seide wieder vom Linnen ersetzt. Ums Jahr 1300
wird des Hemdes gedacht aus gesponnenem Flachs, der an der
Sonne gebleicht worden. Schwerlich wurde das Hemd irgendwo
sichtbar, wenigstens haben wir es auf Abbildungen nicht erkennen
können. Nur bei den englischen Königinnen dieser Zeit, bei Eleo-
nore von Guienne, der Gemahlin Heinrichs II., und Isabella,
Gemahlin des Königs Johann ohne Land, zeigt sich auf den
Bildern ihrer Grabmonumente am Halse unter dem Kleid ein
weißer Stoff, der dem Hemd angehören dürfte. Doch möchte ich
diese englischen Königinnen nicht ohne Weiteres als für Deutsch-
land maßgebend betrachten, zumal sie noch die weite gegürtete
Tunica tragen. --

So gewiß wie das Hemd als selbstständiges Kleidungsstück
vorkommt in ähnlicher Bedeutung, wie wir sie noch heute mit
diesem Ausdruck verbinden, ebenso gewiß ist es auch, daß es die
Rolle des Rockes übernimmt und anstatt seiner getragen wird,
oder diesen gradezu bezeichnet. Als Ulrich von Liechtenstein von
seiner Frau, der verehrten Dame seines Herzens, empfangen wird,
da hatte sie angelegt ein weißes Hemde und darüber die Su-
kenie, das ist das Oberkleid, und über diese den Mantel. Es ist
nicht selten, daß in dieser Weise in den Beschreibungen der Dich-
ter nur die drei Stücke, Hemd, Kleid -- in diesem Falle auch
Rock genannt -- und Mantel erwähnt werden. Nur wenn das
Hemd auch als Rock gedacht wird, ist die Beschreibung einer edlen
Jungfrau im Wigalois erklärlich, wo das feine Hemd von wei-
ßer Seide mit goldener Naht geschildert wird, lichter denn ein
Spiegelglas. Darüber trägt sie den Rock als Oberkleid und über
diesem den Mantel. Auf diese Weise ist es auch erklärlich, wie
der Waffenrock, welchen die Ritter über dem Kettenpanzer trugen,
ein Waffen hemd genannt werden kann. So läßt das Nibelun-

1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht.
webt. Doch nicht ausſchließlich war Seide der Stoff, denn als
Brunhilde zu Bette geht, trägt ſie „ein ſabenweißes Hemde“, Sa-
ben iſt aber die ſchon in früheren Zeiten berühmte und damals
viel mehr gebrauchte feine Leinwand. Vielleicht gehört auch dieſer
Ausdruck noch der ältern Form des Nibelungenliedes an. Spä-
ter wird die Seide wieder vom Linnen erſetzt. Ums Jahr 1300
wird des Hemdes gedacht aus geſponnenem Flachs, der an der
Sonne gebleicht worden. Schwerlich wurde das Hemd irgendwo
ſichtbar, wenigſtens haben wir es auf Abbildungen nicht erkennen
können. Nur bei den engliſchen Königinnen dieſer Zeit, bei Eleo-
nore von Guienne, der Gemahlin Heinrichs II., und Iſabella,
Gemahlin des Königs Johann ohne Land, zeigt ſich auf den
Bildern ihrer Grabmonumente am Halſe unter dem Kleid ein
weißer Stoff, der dem Hemd angehören dürfte. Doch möchte ich
dieſe engliſchen Königinnen nicht ohne Weiteres als für Deutſch-
land maßgebend betrachten, zumal ſie noch die weite gegürtete
Tunica tragen. —

So gewiß wie das Hemd als ſelbſtſtändiges Kleidungsſtück
vorkommt in ähnlicher Bedeutung, wie wir ſie noch heute mit
dieſem Ausdruck verbinden, ebenſo gewiß iſt es auch, daß es die
Rolle des Rockes übernimmt und anſtatt ſeiner getragen wird,
oder dieſen gradezu bezeichnet. Als Ulrich von Liechtenſtein von
ſeiner Frau, der verehrten Dame ſeines Herzens, empfangen wird,
da hatte ſie angelegt ein weißes Hemde und darüber die Su-
kenie, das iſt das Oberkleid, und über dieſe den Mantel. Es iſt
nicht ſelten, daß in dieſer Weiſe in den Beſchreibungen der Dich-
ter nur die drei Stücke, Hemd, Kleid — in dieſem Falle auch
Rock genannt — und Mantel erwähnt werden. Nur wenn das
Hemd auch als Rock gedacht wird, iſt die Beſchreibung einer edlen
Jungfrau im Wigalois erklärlich, wo das feine Hemd von wei-
ßer Seide mit goldener Naht geſchildert wird, lichter denn ein
Spiegelglas. Darüber trägt ſie den Rock als Oberkleid und über
dieſem den Mantel. Auf dieſe Weiſe iſt es auch erklärlich, wie
der Waffenrock, welchen die Ritter über dem Kettenpanzer trugen,
ein Waffen hemd genannt werden kann. So läßt das Nibelun-

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[103/0121] 1. Entwicklung einer originalen mittelalterlichen Tracht. webt. Doch nicht ausſchließlich war Seide der Stoff, denn als Brunhilde zu Bette geht, trägt ſie „ein ſabenweißes Hemde“, Sa- ben iſt aber die ſchon in früheren Zeiten berühmte und damals viel mehr gebrauchte feine Leinwand. Vielleicht gehört auch dieſer Ausdruck noch der ältern Form des Nibelungenliedes an. Spä- ter wird die Seide wieder vom Linnen erſetzt. Ums Jahr 1300 wird des Hemdes gedacht aus geſponnenem Flachs, der an der Sonne gebleicht worden. Schwerlich wurde das Hemd irgendwo ſichtbar, wenigſtens haben wir es auf Abbildungen nicht erkennen können. Nur bei den engliſchen Königinnen dieſer Zeit, bei Eleo- nore von Guienne, der Gemahlin Heinrichs II., und Iſabella, Gemahlin des Königs Johann ohne Land, zeigt ſich auf den Bildern ihrer Grabmonumente am Halſe unter dem Kleid ein weißer Stoff, der dem Hemd angehören dürfte. Doch möchte ich dieſe engliſchen Königinnen nicht ohne Weiteres als für Deutſch- land maßgebend betrachten, zumal ſie noch die weite gegürtete Tunica tragen. — So gewiß wie das Hemd als ſelbſtſtändiges Kleidungsſtück vorkommt in ähnlicher Bedeutung, wie wir ſie noch heute mit dieſem Ausdruck verbinden, ebenſo gewiß iſt es auch, daß es die Rolle des Rockes übernimmt und anſtatt ſeiner getragen wird, oder dieſen gradezu bezeichnet. Als Ulrich von Liechtenſtein von ſeiner Frau, der verehrten Dame ſeines Herzens, empfangen wird, da hatte ſie angelegt ein weißes Hemde und darüber die Su- kenie, das iſt das Oberkleid, und über dieſe den Mantel. Es iſt nicht ſelten, daß in dieſer Weiſe in den Beſchreibungen der Dich- ter nur die drei Stücke, Hemd, Kleid — in dieſem Falle auch Rock genannt — und Mantel erwähnt werden. Nur wenn das Hemd auch als Rock gedacht wird, iſt die Beſchreibung einer edlen Jungfrau im Wigalois erklärlich, wo das feine Hemd von wei- ßer Seide mit goldener Naht geſchildert wird, lichter denn ein Spiegelglas. Darüber trägt ſie den Rock als Oberkleid und über dieſem den Mantel. Auf dieſe Weiſe iſt es auch erklärlich, wie der Waffenrock, welchen die Ritter über dem Kettenpanzer trugen, ein Waffen hemd genannt werden kann. So läßt das Nibelun-

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Zitationshilfe: Falke, Jakob von: Die deutsche Trachten- und Modenwelt. Ein Beitrag zur deutschen Culturgeschichte. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 103. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/falke_trachten01_1858/121>, abgerufen am 25.11.2024.