§. 16. Die wahrscheinliche meinung eines redenden oder scribenten, beweiset man aus seinen vorhergehenden und nachfolgenden sä- tzen und worten, dabey man die sprache, die umstände der zeit und des orts, die kräfte des verstandes und willens, desienigen der da re- det oder schreibet, untersuchet, und aus deren übereinstimmung untereinander die wahr- scheinliche meinung darthut.
Z. e. Jch wolte beweisen, daß Hiob 19. v. 25. 26. 27. von der auffer stehung der todten rede: daß Virgilius in seiner vierdten ecloga nicht die menschwerdung Christi und in der achten nicht die h. Dreyfaltigkeit besingen wollen.
§. 17. Will man nun wahrscheinliche argu- menta zum beweiß einer sache finden, so muß man sich die sache nach allen ihren umständen fürstellen, alle dabey befindliche sinnlichkeiten und zufälle in erwegung ziehen, hernach mög- liche hypotheses formiren, aus diesen möglichen hypothesibus dieienige aussuchen, welche mit allen umständen genau überein kommt. Bey der ausführung setzt man zuföderst die hypothe- sin deutlich für augen, hernach führet man alle umstände nacheinander an, zeiget wie sie in der hypothesi zusammenhängen, und nachdem der auditor beschaffen, trägt man dieienigen phaenomena zuerst oder zuletzt für, welche am genauesten mit der hypothesi connectiren, da- bey man sorgfältig möglichkeiten, unstreitige und wahrscheinliche wahrheiten auseinander setzen muß.
Die
und derſelben erfindung.
§. 16. Die wahrſcheinliche meinung eines redenden oder ſcribenten, beweiſet man aus ſeinen vorhergehenden und nachfolgenden ſaͤ- tzen und worten, dabey man die ſprache, die umſtaͤnde der zeit und des orts, die kraͤfte des verſtandes und willens, desienigen der da re- det oder ſchreibet, unterſuchet, und aus deren uͤbereinſtimmung untereinander die wahr- ſcheinliche meinung darthut.
Z. e. Jch wolte beweiſen, daß Hiob 19. v. 25. 26. 27. von der auffer ſtehung der todten rede: daß Virgilius in ſeiner vierdten ecloga nicht die menſchwerdung Chriſti und in der achten nicht die h. Dreyfaltigkeit beſingen wollen.
§. 17. Will man nun wahrſcheinliche argu- menta zum beweiß einer ſache finden, ſo muß man ſich die ſache nach allen ihren umſtaͤnden fuͤrſtellen, alle dabey befindliche ſinnlichkeiten und zufaͤlle in erwegung ziehen, hernach moͤg- liche hypotheſes formiren, aus dieſen moͤglichen hypotheſibus dieienige ausſuchen, welche mit allen umſtaͤnden genau uͤberein kommt. Bey der ausfuͤhrung ſetzt man zufoͤderſt die hypothe- ſin deutlich fuͤr augen, hernach fuͤhret man alle umſtaͤnde nacheinander an, zeiget wie ſie in der hypotheſi zuſammenhaͤngen, und nachdem der auditor beſchaffen, traͤgt man dieienigen phaenomena zuerſt oder zuletzt fuͤr, welche am genaueſten mit der hypotheſi connectiren, da- bey man ſorgfaͤltig moͤglichkeiten, unſtreitige und wahrſcheinliche wahrheiten auseinander ſetzen muß.
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und derſelben erfindung.
§. 16. Die wahrſcheinliche meinung eines
redenden oder ſcribenten, beweiſet man aus
ſeinen vorhergehenden und nachfolgenden ſaͤ-
tzen und worten, dabey man die ſprache, die
umſtaͤnde der zeit und des orts, die kraͤfte des
verſtandes und willens, desienigen der da re-
det oder ſchreibet, unterſuchet, und aus deren
uͤbereinſtimmung untereinander die wahr-
ſcheinliche meinung darthut.
Z. e. Jch wolte beweiſen, daß Hiob 19. v. 25. 26.
27. von der auffer ſtehung der todten rede:
daß Virgilius in ſeiner vierdten ecloga nicht
die menſchwerdung Chriſti und in der achten
nicht die h. Dreyfaltigkeit beſingen wollen.
§. 17. Will man nun wahrſcheinliche argu-
menta zum beweiß einer ſache finden, ſo muß
man ſich die ſache nach allen ihren umſtaͤnden
fuͤrſtellen, alle dabey befindliche ſinnlichkeiten
und zufaͤlle in erwegung ziehen, hernach moͤg-
liche hypotheſes formiren, aus dieſen moͤglichen
hypotheſibus dieienige ausſuchen, welche mit
allen umſtaͤnden genau uͤberein kommt. Bey
der ausfuͤhrung ſetzt man zufoͤderſt die hypothe-
ſin deutlich fuͤr augen, hernach fuͤhret man alle
umſtaͤnde nacheinander an, zeiget wie ſie in
der hypotheſi zuſammenhaͤngen, und nachdem
der auditor beſchaffen, traͤgt man dieienigen
phaenomena zuerſt oder zuletzt fuͤr, welche am
genaueſten mit der hypotheſi connectiren, da-
bey man ſorgfaͤltig moͤglichkeiten, unſtreitige
und wahrſcheinliche wahrheiten auseinander
ſetzen muß.
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Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/93>, abgerufen am 27.11.2024.
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