Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.

Bild:
<< vorherige Seite

und politischen reden.
die weise, so grosse redner wären, als Cicero
pro rostris.
Demnach wird man diese fähig-
keit zu gedencken, durch die regeln der vernunft-
lehre zu bessern und vernünftig einzurichten
ursach haben, wofern man in seiner bered-
samkeit das gewäsch der alten weiber über-
treffen will. Denn so wenig die kinder tantzen
lernen, ehe sie gehen können, so wenig kanman ge-
schickt reden, ehe man vernünftig dencken geler-
net. Vernünftig gedencken, erfodert, daß man
ordentlich wissen, artig erfinden, gründlich
schliessen könne. Alles wissen, ist nicht mög-
lich, viel wissen ist nicht allezeit nützlich, und
ein mit vielen wissen angefülltes gedächtniß,
ist einem redner öfters so dienlich, als ein mit
denen delicatesten speisen überladener magen.
Aber wissen, wovon man reden will, die
grund-sätze derjenigen wissenschaft inne haben,
dahin der kern unserer rede gehöret, ist schlech-
terdings nöthig, und zwar in einer solchen
ordnung, daß man auch wisse. wie und was
man wisse. Artig erfinden, heist nicht glück-
lich seyn im erfinden. Midas, ein könig in
Phrygien, erhielte durch einen glücks-fall
grossen reichthum, allein Apollo setzte ihm
nichts desto weniger esels-ohren an. Hinge-
gen Thales, erwirbt durch seine klugheit viel
vermögen, und behält doch dabey mit ver-
grösserten ruhm, den nahmen eines weisen.
Gewiß ein glücklicher einfall, kan einem red-
ner nicht schaden, aber wann ein redner sich

bloß
D d 4

und politiſchen reden.
die weiſe, ſo groſſe redner waͤren, als Cicero
pro roſtris.
Demnach wird man dieſe faͤhig-
keit zu gedencken, durch die regeln der vernunft-
lehre zu beſſern und vernuͤnftig einzurichten
urſach haben, wofern man in ſeiner bered-
ſamkeit das gewaͤſch der alten weiber uͤber-
treffen will. Denn ſo wenig die kinder tantzen
lernen, ehe ſie gehen koͤñen, ſo wenig kanman ge-
ſchickt reden, ehe man vernuͤnftig dencken geler-
net. Vernuͤnftig gedencken, erfodert, daß man
ordentlich wiſſen, artig erfinden, gruͤndlich
ſchlieſſen koͤnne. Alles wiſſen, iſt nicht moͤg-
lich, viel wiſſen iſt nicht allezeit nuͤtzlich, und
ein mit vielen wiſſen angefuͤlltes gedaͤchtniß,
iſt einem redner oͤfters ſo dienlich, als ein mit
denen delicateſten ſpeiſen uͤberladener magen.
Aber wiſſen, wovon man reden will, die
grund-ſaͤtze derjenigen wiſſenſchaft inne haben,
dahin der kern unſerer rede gehoͤret, iſt ſchlech-
terdings noͤthig, und zwar in einer ſolchen
ordnung, daß man auch wiſſe. wie und was
man wiſſe. Artig erfinden, heiſt nicht gluͤck-
lich ſeyn im erfinden. Midas, ein koͤnig in
Phrygien, erhielte durch einen gluͤcks-fall
groſſen reichthum, allein Apollo ſetzte ihm
nichts deſto weniger eſels-ohren an. Hinge-
gen Thales, erwirbt durch ſeine klugheit viel
vermoͤgen, und behaͤlt doch dabey mit ver-
groͤſſerten ruhm, den nahmen eines weiſen.
Gewiß ein gluͤcklicher einfall, kan einem red-
ner nicht ſchaden, aber wann ein redner ſich

bloß
D d 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0441" n="423"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">und politi&#x017F;chen                                 reden.</hi></fw><lb/>
die wei&#x017F;e, &#x017F;o                         gro&#x017F;&#x017F;e redner wa&#x0364;ren, als <hi rendition="#aq">Cicero<lb/>
pro ro&#x017F;tris.</hi> Demnach wird man die&#x017F;e                         fa&#x0364;hig-<lb/>
keit zu gedencken, durch die regeln der vernunft-<lb/>
lehre zu be&#x017F;&#x017F;ern und vernu&#x0364;nftig einzurichten<lb/>
ur&#x017F;ach haben, wofern man in &#x017F;einer bered-<lb/>
&#x017F;amkeit                         das gewa&#x0364;&#x017F;ch der alten weiber u&#x0364;ber-<lb/>
treffen will.                         Denn &#x017F;o wenig die kinder tantzen<lb/>
lernen, ehe &#x017F;ie gehen                         ko&#x0364;n&#x0303;en, &#x017F;o wenig kanman ge-<lb/>
&#x017F;chickt reden,                         ehe man vernu&#x0364;nftig dencken geler-<lb/>
net. Vernu&#x0364;nftig                         gedencken, erfodert, daß man<lb/>
ordentlich wi&#x017F;&#x017F;en, artig                         erfinden, gru&#x0364;ndlich<lb/>
&#x017F;chlie&#x017F;&#x017F;en                         ko&#x0364;nne. Alles wi&#x017F;&#x017F;en, i&#x017F;t nicht                         mo&#x0364;g-<lb/>
lich, viel wi&#x017F;&#x017F;en i&#x017F;t nicht allezeit                         nu&#x0364;tzlich, und<lb/>
ein mit vielen wi&#x017F;&#x017F;en                         angefu&#x0364;lltes geda&#x0364;chtniß,<lb/>
i&#x017F;t einem redner                         o&#x0364;fters &#x017F;o dienlich, als ein mit<lb/>
denen                         delicate&#x017F;ten &#x017F;pei&#x017F;en u&#x0364;berladener magen.<lb/>
Aber wi&#x017F;&#x017F;en, wovon man reden will, die<lb/>
grund-&#x017F;a&#x0364;tze derjenigen wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft inne                         haben,<lb/>
dahin der kern un&#x017F;erer rede geho&#x0364;ret, i&#x017F;t                         &#x017F;chlech-<lb/>
terdings no&#x0364;thig, und zwar in einer                         &#x017F;olchen<lb/>
ordnung, daß man auch wi&#x017F;&#x017F;e. wie und                         was<lb/>
man wi&#x017F;&#x017F;e. Artig erfinden, hei&#x017F;t nicht                         glu&#x0364;ck-<lb/>
lich &#x017F;eyn im erfinden. Midas, ein ko&#x0364;nig                         in<lb/>
Phrygien, erhielte durch einen glu&#x0364;cks-fall<lb/>
gro&#x017F;&#x017F;en reichthum, allein Apollo &#x017F;etzte ihm<lb/>
nichts                         de&#x017F;to weniger e&#x017F;els-ohren an. Hinge-<lb/>
gen Thales, erwirbt                         durch &#x017F;eine klugheit viel<lb/>
vermo&#x0364;gen, und beha&#x0364;lt                         doch dabey mit ver-<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;erten ruhm, den nahmen                         eines wei&#x017F;en.<lb/>
Gewiß ein glu&#x0364;cklicher einfall, kan einem                         red-<lb/>
ner nicht &#x017F;chaden, aber wann ein redner &#x017F;ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D d 4</fw><fw place="bottom" type="catch">bloß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[423/0441] und politiſchen reden. die weiſe, ſo groſſe redner waͤren, als Cicero pro roſtris. Demnach wird man dieſe faͤhig- keit zu gedencken, durch die regeln der vernunft- lehre zu beſſern und vernuͤnftig einzurichten urſach haben, wofern man in ſeiner bered- ſamkeit das gewaͤſch der alten weiber uͤber- treffen will. Denn ſo wenig die kinder tantzen lernen, ehe ſie gehen koͤñen, ſo wenig kanman ge- ſchickt reden, ehe man vernuͤnftig dencken geler- net. Vernuͤnftig gedencken, erfodert, daß man ordentlich wiſſen, artig erfinden, gruͤndlich ſchlieſſen koͤnne. Alles wiſſen, iſt nicht moͤg- lich, viel wiſſen iſt nicht allezeit nuͤtzlich, und ein mit vielen wiſſen angefuͤlltes gedaͤchtniß, iſt einem redner oͤfters ſo dienlich, als ein mit denen delicateſten ſpeiſen uͤberladener magen. Aber wiſſen, wovon man reden will, die grund-ſaͤtze derjenigen wiſſenſchaft inne haben, dahin der kern unſerer rede gehoͤret, iſt ſchlech- terdings noͤthig, und zwar in einer ſolchen ordnung, daß man auch wiſſe. wie und was man wiſſe. Artig erfinden, heiſt nicht gluͤck- lich ſeyn im erfinden. Midas, ein koͤnig in Phrygien, erhielte durch einen gluͤcks-fall groſſen reichthum, allein Apollo ſetzte ihm nichts deſto weniger eſels-ohren an. Hinge- gen Thales, erwirbt durch ſeine klugheit viel vermoͤgen, und behaͤlt doch dabey mit ver- groͤſſerten ruhm, den nahmen eines weiſen. Gewiß ein gluͤcklicher einfall, kan einem red- ner nicht ſchaden, aber wann ein redner ſich bloß D d 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/441
Zitationshilfe: Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/441>, abgerufen am 24.11.2024.