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Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.

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von denen unterschiedenen arten
meinung nach verachteten prediger-stand mit
einer rathsbestallung aus lauterm hochmuth.
Jetzo umfasset er seine verehrer mit der grösten
liebe, und ein einziges wort, welches seine ehre
zu rühren scheinet, ist gnug, alle zornige fluthen
und rache auch auf den unschuldigsten auszu-
schütten. Ein alberner Carneades disputiret
heute öffentlich, daß die gerechtigkeit ein gedich-
te müßiger leute sey, und morgen ist er beschäff-
tiget das gegentheil zu behaupten, seine gelehr-
samkeit zu zeigen. Was für andächtige ge-
berden zeiget nicht der ehrgeitz in dem gesichte
eines selbst erwehlten heiligen, welcher doch
wohl nicht nur in dem innersten seines hertzens,
sondern auch seines hauses denen lastern, sanf-
te küssen unterleget. Mancher verfluchet die
fehler geringer leute ohn aufhören, und hinge-
gen die laster erhabner und geehrter leute, wol-
te er lieber vor tugenden halten, da doch der
koth heßlich bleibt, ob er schon in chrystallinen
gefässen aufgehoben wird, und die laster gar-
stig zu nennen sind, wenn sie schon in sammt
und güldene stücken eingehüllet werden. Das
mächtigste, so unsern fuß von den wege der be-
ständigkeit verrücket ist die wollust, und die ein-
bildung eines vergnügens in verbotener belu-
stigung der sinne. Diese ist die zauberische
Circe, welche den menschen bald in schweins-
bald in pfauen-gestalt verändert, bald mit af-
fen-bald mit hunde-gesichte fürstellet. Wie
wechselt nicht ein verliebter narre die kleider

da-

von denen unterſchiedenen arten
meinung nach verachteten prediger-ſtand mit
einer rathsbeſtallung aus lauterm hochmuth.
Jetzo umfaſſet er ſeine verehrer mit der groͤſten
liebe, und ein einziges wort, welches ſeine ehre
zu ruͤhren ſcheinet, iſt gnug, alle zornige fluthen
und rache auch auf den unſchuldigſten auszu-
ſchuͤtten. Ein alberner Carneades diſputiret
heute oͤffentlich, daß die gerechtigkeit ein gedich-
te muͤßiger leute ſey, und morgen iſt er beſchaͤff-
tiget das gegentheil zu behaupten, ſeine gelehr-
ſamkeit zu zeigen. Was fuͤr andaͤchtige ge-
berden zeiget nicht der ehrgeitz in dem geſichte
eines ſelbſt erwehlten heiligen, welcher doch
wohl nicht nur in dem innerſten ſeines hertzens,
ſondern auch ſeines hauſes denen laſtern, ſanf-
te kuͤſſen unterleget. Mancher verfluchet die
fehler geringer leute ohn aufhoͤren, und hinge-
gen die laſter erhabner und geehrter leute, wol-
te er lieber vor tugenden halten, da doch der
koth heßlich bleibt, ob er ſchon in chryſtallinen
gefaͤſſen aufgehoben wird, und die laſter gar-
ſtig zu nennen ſind, wenn ſie ſchon in ſammt
und guͤldene ſtuͤcken eingehuͤllet werden. Das
maͤchtigſte, ſo unſern fuß von den wege der be-
ſtaͤndigkeit verruͤcket iſt die wolluſt, und die ein-
bildung eines vergnuͤgens in verbotener belu-
ſtigung der ſinne. Dieſe iſt die zauberiſche
Circe, welche den menſchen bald in ſchweins-
bald in pfauen-geſtalt veraͤndert, bald mit af-
fen-bald mit hunde-geſichte fuͤrſtellet. Wie
wechſelt nicht ein verliebter narre die kleider

da-
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[272/0290] von denen unterſchiedenen arten meinung nach verachteten prediger-ſtand mit einer rathsbeſtallung aus lauterm hochmuth. Jetzo umfaſſet er ſeine verehrer mit der groͤſten liebe, und ein einziges wort, welches ſeine ehre zu ruͤhren ſcheinet, iſt gnug, alle zornige fluthen und rache auch auf den unſchuldigſten auszu- ſchuͤtten. Ein alberner Carneades diſputiret heute oͤffentlich, daß die gerechtigkeit ein gedich- te muͤßiger leute ſey, und morgen iſt er beſchaͤff- tiget das gegentheil zu behaupten, ſeine gelehr- ſamkeit zu zeigen. Was fuͤr andaͤchtige ge- berden zeiget nicht der ehrgeitz in dem geſichte eines ſelbſt erwehlten heiligen, welcher doch wohl nicht nur in dem innerſten ſeines hertzens, ſondern auch ſeines hauſes denen laſtern, ſanf- te kuͤſſen unterleget. Mancher verfluchet die fehler geringer leute ohn aufhoͤren, und hinge- gen die laſter erhabner und geehrter leute, wol- te er lieber vor tugenden halten, da doch der koth heßlich bleibt, ob er ſchon in chryſtallinen gefaͤſſen aufgehoben wird, und die laſter gar- ſtig zu nennen ſind, wenn ſie ſchon in ſammt und guͤldene ſtuͤcken eingehuͤllet werden. Das maͤchtigſte, ſo unſern fuß von den wege der be- ſtaͤndigkeit verruͤcket iſt die wolluſt, und die ein- bildung eines vergnuͤgens in verbotener belu- ſtigung der ſinne. Dieſe iſt die zauberiſche Circe, welche den menſchen bald in ſchweins- bald in pfauen-geſtalt veraͤndert, bald mit af- fen-bald mit hunde-geſichte fuͤrſtellet. Wie wechſelt nicht ein verliebter narre die kleider da-

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Zitationshilfe: Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724, S. 272. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fabricius_oratorie_1724/290>, abgerufen am 22.11.2024.