Fabricius, Johann Andreas: Philosophische Oratorie. Leipzig, 1724.zur beredsamkeit. c) Es wird keine sprache und keine fertigkeit zu re- den mit uns gebohren, vielweniger eine fertig- keit wohl zu reden. Diese fertigkeit kan man oh- ne regeln und übung nicht erhalten. Wer soll uns also die regeln geben, welche durch so vieler iahre abwechselndeu geschmack, dennoch regeln blieben, und durch vieler und grosser redner voll- kommene proben bewehret worden? Gewiß, weder unsere ammen noch unsere mütter kön- nen sie uns mit der milch einflöffen, vielweniger werden wir sie auf dem tantz- oder fecht-boden lernen. Wie man aber hier die füsse und den degen gebrauchen lernet, so solte man sich auch nach gelegenheit umthun, wo man die fertig- keit bekäme, wohl und geschickt zu reden. Doch ich befinne mich, bey dem tantzen braucht man die füsse, bey dem fechten die hände, hingegen bey der wohlredenheit braucht man den kopf, und da haben die meisten verächter der bered- samkeit bey ihren falschen absichten weniger verstand und geschick als in händen und füssen. d) Z. e. ein Theologus meint er müsse nicht anders als biblisch reden, und die concordantzen und postillen stehn ihm besser an, ein Juriste denckt weil die Oratorie seiner unwissenheit im jure nicht zu statten komme, sey sie wohl nichts nütze, der Medicus glaubet eben das, weil er in sei- nen recepten keine oratorische figuren braucht, andere halten es für eine schulfüchsische sache, weil sie aus der Historie noch nicht unterrichtet, daß ein grosser staats-mann und ein treflicher redner seyn, mehrentheils beysammen stehe. Kurtz: ars non habet osorem nisi ignorantem. §. 7. Wie die Oratorie zur beredsamkeit zwar A 4
zur beredſamkeit. c) Es wird keine ſprache und keine fertigkeit zu re- den mit uns gebohren, vielweniger eine fertig- keit wohl zu reden. Dieſe fertigkeit kan man oh- ne regeln und uͤbung nicht erhalten. Wer ſoll uns alſo die regeln geben, welche durch ſo vieler iahre abwechſelndeu geſchmack, dennoch regeln blieben, und durch vieler und groſſer redner voll- kommene proben bewehret worden? Gewiß, weder unſere ammen noch unſere muͤtter koͤn- nen ſie uns mit der milch einfloͤffen, vielweniger werden wir ſie auf dem tantz- oder fecht-boden lernen. Wie man aber hier die fuͤſſe und den degen gebrauchen lernet, ſo ſolte man ſich auch nach gelegenheit umthun, wo man die fertig- keit bekaͤme, wohl und geſchickt zu reden. Doch ich befinne mich, bey dem tantzen braucht man die fuͤſſe, bey dem fechten die haͤnde, hingegen bey der wohlredenheit braucht man den kopf, und da haben die meiſten veraͤchter der bered- ſamkeit bey ihren falſchen abſichten weniger verſtand und geſchick als in haͤnden und fuͤſſen. d) Z. e. ein Theologus meint er muͤſſe nicht anders als bibliſch reden, und die concordantzen und poſtillen ſtehn ihm beſſer an, ein Juriſte denckt weil die Oratorie ſeiner unwiſſenheit im jure nicht zu ſtatten komme, ſey ſie wohl nichts nuͤtze, der Medicus glaubet eben das, weil er in ſei- nen recepten keine oratoriſche figuren braucht, andere haltẽ es fuͤr eine ſchulfuͤchſiſche ſache, weil ſie aus der Hiſtorie noch nicht unterrichtet, daß ein groſſer ſtaats-mann und ein treflicher redner ſeyn, mehrentheils beyſammen ſtehe. Kurtz: ars non habet oſorem niſi ignorantem. §. 7. Wie die Oratorie zur beredſamkeit zwar A 4
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0025" n="7"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">zur beredſamkeit.</hi> </fw><lb/> <note xml:id="note-c-2" prev="#notefn-c-2" place="end" n="c)">Es wird keine ſprache und keine fertigkeit zu re-<lb/> den mit uns gebohren, vielweniger eine fertig-<lb/> keit wohl zu reden. Dieſe fertigkeit kan man oh-<lb/> ne regeln und uͤbung nicht erhalten. Wer ſoll<lb/> uns alſo die regeln geben, welche durch ſo vieler<lb/> iahre abwechſelndeu geſchmack, dennoch regeln<lb/> blieben, und durch vieler und groſſer redner voll-<lb/> kommene proben bewehret worden? Gewiß,<lb/> weder unſere ammen noch unſere muͤtter koͤn-<lb/> nen ſie uns mit der milch einfloͤffen, vielweniger<lb/> werden wir ſie auf dem tantz- oder fecht-boden<lb/> lernen. Wie man aber hier die fuͤſſe und den<lb/> degen gebrauchen lernet, ſo ſolte man ſich auch<lb/> nach gelegenheit umthun, wo man die fertig-<lb/> keit bekaͤme, wohl und geſchickt zu reden. Doch<lb/> ich befinne mich, bey dem tantzen braucht man<lb/> die fuͤſſe, bey dem fechten die haͤnde, hingegen<lb/> bey der wohlredenheit braucht man den kopf,<lb/> und da haben die meiſten veraͤchter der bered-<lb/> ſamkeit bey ihren falſchen abſichten weniger<lb/> verſtand und geſchick als in haͤnden und fuͤſſen.<lb/></note> <note xml:id="note-d-2" prev="#notefn-d-2" place="end" n="d)">Z. e. ein Theologus meint er muͤſſe nicht anders<lb/> als bibliſch reden, und die concordantzen und<lb/> poſtillen ſtehn ihm beſſer an, ein Juriſte denckt<lb/> weil die Oratorie ſeiner unwiſſenheit im jure<lb/> nicht zu ſtatten komme, ſey ſie wohl nichts nuͤtze,<lb/> der Medicus glaubet eben das, weil er in ſei-<lb/> nen recepten keine oratoriſche figuren braucht,<lb/> andere haltẽ es fuͤr eine ſchulfuͤchſiſche ſache, weil<lb/> ſie aus der Hiſtorie noch nicht unterrichtet, daß<lb/> ein groſſer ſtaats-mann und ein treflicher redner<lb/> ſeyn, mehrentheils beyſammen ſtehe. Kurtz:<lb/><hi rendition="#aq">ars non habet oſorem niſi ignorantem.</hi><lb/></note><lb/> <p>§. 7. Wie die Oratorie zur beredſamkeit<lb/> anfuͤhret, alſo muß hingegen die Logick zum<lb/> vernuͤnftigen dencken anweiſung geben. Und<lb/> <fw place="bottom" type="sig">A 4</fw><fw place="bottom" type="catch">zwar</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [7/0025]
zur beredſamkeit.
c⁾ Es wird keine ſprache und keine fertigkeit zu re-
den mit uns gebohren, vielweniger eine fertig-
keit wohl zu reden. Dieſe fertigkeit kan man oh-
ne regeln und uͤbung nicht erhalten. Wer ſoll
uns alſo die regeln geben, welche durch ſo vieler
iahre abwechſelndeu geſchmack, dennoch regeln
blieben, und durch vieler und groſſer redner voll-
kommene proben bewehret worden? Gewiß,
weder unſere ammen noch unſere muͤtter koͤn-
nen ſie uns mit der milch einfloͤffen, vielweniger
werden wir ſie auf dem tantz- oder fecht-boden
lernen. Wie man aber hier die fuͤſſe und den
degen gebrauchen lernet, ſo ſolte man ſich auch
nach gelegenheit umthun, wo man die fertig-
keit bekaͤme, wohl und geſchickt zu reden. Doch
ich befinne mich, bey dem tantzen braucht man
die fuͤſſe, bey dem fechten die haͤnde, hingegen
bey der wohlredenheit braucht man den kopf,
und da haben die meiſten veraͤchter der bered-
ſamkeit bey ihren falſchen abſichten weniger
verſtand und geſchick als in haͤnden und fuͤſſen.
d⁾ Z. e. ein Theologus meint er muͤſſe nicht anders
als bibliſch reden, und die concordantzen und
poſtillen ſtehn ihm beſſer an, ein Juriſte denckt
weil die Oratorie ſeiner unwiſſenheit im jure
nicht zu ſtatten komme, ſey ſie wohl nichts nuͤtze,
der Medicus glaubet eben das, weil er in ſei-
nen recepten keine oratoriſche figuren braucht,
andere haltẽ es fuͤr eine ſchulfuͤchſiſche ſache, weil
ſie aus der Hiſtorie noch nicht unterrichtet, daß
ein groſſer ſtaats-mann und ein treflicher redner
ſeyn, mehrentheils beyſammen ſtehe. Kurtz:
ars non habet oſorem niſi ignorantem.
§. 7. Wie die Oratorie zur beredſamkeit
anfuͤhret, alſo muß hingegen die Logick zum
vernuͤnftigen dencken anweiſung geben. Und
zwar
A 4
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |