Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886.Von des jungen Träumers Lippen,
Eine ganze Welt voll Jammer, Sehnsucht und Ergebung bebte Durch dies eine, kurze Wörtlein. Dann senkt' er das Haupt und schüttelt's Ernst und spricht voll tiefer Wehmuth: "Keiner, Keiner, ach, versteht mich, Als Phantast bin ich verspottet, Und die Blätter hier, die schaute Außer Dir kein Menschenauge!" "Armer Mann!" -- sprach leis die Dirne, Und sie fühlt ein schneidend Wehe Durch die Seele zieh'n, "O zeig' mir, Zeig' mir diese Blätter, Bruder!" -- Hastig thut er's, breitet selig Sie auf seiner Freundin Kniee, Und mit glückberedter Zunge Giebt er eifrig die Erklärung, Hier ein Säulenknauf, -- das Querschiff, Kreuz- und Langhaus, -- dort vom Thurme Flücht'ger Umriß, -- hier ein Bogen, Die Facade und ihr Bildwerk, Auch ein Giebel, und zum Schlusse Noch der Thurmhelm. -- Tief geneigt Das schlanke Köpfchen, und die Hände Wie in Andacht ernst gefaltet, Saß das Waldkind, schaute mit den Großen Augen wie im Traume Auf die Bilder. "Ja Du hast es Aus den Wolken abgelesen, Gerhard Rochus, solch' ein Münster Von des jungen Träumers Lippen,
Eine ganze Welt voll Jammer, Sehnſucht und Ergebung bebte Durch dies eine, kurze Wörtlein. Dann ſenkt' er das Haupt und ſchüttelt's Ernſt und ſpricht voll tiefer Wehmuth: „Keiner, Keiner, ach, verſteht mich, Als Phantaſt bin ich verſpottet, Und die Blätter hier, die ſchaute Außer Dir kein Menſchenauge!“ „Armer Mann!“ — ſprach leis die Dirne, Und ſie fühlt ein ſchneidend Wehe Durch die Seele zieh'n, „O zeig' mir, Zeig' mir dieſe Blätter, Bruder!“ — Haſtig thut er's, breitet ſelig Sie auf ſeiner Freundin Kniee, Und mit glückberedter Zunge Giebt er eifrig die Erklärung, Hier ein Säulenknauf, — das Querſchiff, Kreuz- und Langhaus, — dort vom Thurme Flücht'ger Umriß, — hier ein Bogen, Die Façade und ihr Bildwerk, Auch ein Giebel, und zum Schluſſe Noch der Thurmhelm. — Tief geneigt Das ſchlanke Köpfchen, und die Hände Wie in Andacht ernſt gefaltet, Saß das Waldkind, ſchaute mit den Großen Augen wie im Traume Auf die Bilder. „Ja Du haſt es Aus den Wolken abgeleſen, Gerhard Rochus, ſolch' ein Münſter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0093" n="79"/> <lg n="19"> <l>Von des jungen Träumers Lippen,</l><lb/> <l>Eine ganze Welt voll Jammer,</l><lb/> <l>Sehnſucht und Ergebung bebte</l><lb/> <l>Durch dies eine, kurze Wörtlein.</l><lb/> <l>Dann ſenkt' er das Haupt und ſchüttelt's</l><lb/> <l>Ernſt und ſpricht voll tiefer Wehmuth:</l><lb/> <l>„Keiner, Keiner, ach, verſteht mich,</l><lb/> <l>Als Phantaſt bin ich verſpottet,</l><lb/> <l>Und die Blätter hier, die ſchaute</l><lb/> <l>Außer Dir kein Menſchenauge!“</l><lb/> <l>„Armer Mann!“ — ſprach leis die Dirne,</l><lb/> <l>Und ſie fühlt ein ſchneidend Wehe</l><lb/> <l>Durch die Seele zieh'n, „O zeig' mir,</l><lb/> <l>Zeig' mir dieſe Blätter, Bruder!“ —</l><lb/> <l>Haſtig thut er's, breitet ſelig</l><lb/> <l>Sie auf ſeiner Freundin Kniee,</l><lb/> <l>Und mit glückberedter Zunge</l><lb/> <l>Giebt er eifrig die Erklärung,</l><lb/> <l>Hier ein Säulenknauf, — das Querſchiff,</l><lb/> <l>Kreuz- und Langhaus, — dort vom Thurme</l><lb/> <l>Flücht'ger Umriß, — hier ein Bogen,</l><lb/> <l>Die Façade und ihr Bildwerk,</l><lb/> <l>Auch ein Giebel, und zum Schluſſe</l><lb/> <l>Noch der Thurmhelm. — Tief geneigt</l><lb/> <l>Das ſchlanke Köpfchen, und die Hände</l><lb/> <l>Wie in Andacht ernſt gefaltet,</l><lb/> <l>Saß das Waldkind, ſchaute mit den</l><lb/> <l>Großen Augen wie im Traume</l><lb/> <l>Auf die Bilder. „Ja Du haſt es</l><lb/> <l>Aus den Wolken abgeleſen,</l><lb/> <l>Gerhard Rochus, ſolch' ein Münſter</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [79/0093]
Von des jungen Träumers Lippen,
Eine ganze Welt voll Jammer,
Sehnſucht und Ergebung bebte
Durch dies eine, kurze Wörtlein.
Dann ſenkt' er das Haupt und ſchüttelt's
Ernſt und ſpricht voll tiefer Wehmuth:
„Keiner, Keiner, ach, verſteht mich,
Als Phantaſt bin ich verſpottet,
Und die Blätter hier, die ſchaute
Außer Dir kein Menſchenauge!“
„Armer Mann!“ — ſprach leis die Dirne,
Und ſie fühlt ein ſchneidend Wehe
Durch die Seele zieh'n, „O zeig' mir,
Zeig' mir dieſe Blätter, Bruder!“ —
Haſtig thut er's, breitet ſelig
Sie auf ſeiner Freundin Kniee,
Und mit glückberedter Zunge
Giebt er eifrig die Erklärung,
Hier ein Säulenknauf, — das Querſchiff,
Kreuz- und Langhaus, — dort vom Thurme
Flücht'ger Umriß, — hier ein Bogen,
Die Façade und ihr Bildwerk,
Auch ein Giebel, und zum Schluſſe
Noch der Thurmhelm. — Tief geneigt
Das ſchlanke Köpfchen, und die Hände
Wie in Andacht ernſt gefaltet,
Saß das Waldkind, ſchaute mit den
Großen Augen wie im Traume
Auf die Bilder. „Ja Du haſt es
Aus den Wolken abgeleſen,
Gerhard Rochus, ſolch' ein Münſter
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |