Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886.Wär' es auch im fernen, fernen
Heil'gen Land beim Grab des Herren, Ach, ich wollte sonder Ruhe Tag und Nacht voll Sehnsucht wandern, Bis ich's schaute, -- -- und dann sterben!" Auf der bleichen Stirn des Mönches Brennt es jetzt wie dunkler Purpur, Ueberirdisch Strahlen flammet Aus den Augen, und es zittern Wie im Fieber ihm die Lippen. "Dirnlein!" ruft er, "mög' der Himmel Dich für diese Worte segnen, Mög' er's tausendfach vergelten, Wie Du mich so hoch entzückest! Schau, dies Bild hab' ich gezeichnet Mit armseligem Verstande, Ach, so wie mein Geist mir's malet, Kann kein Griffel es beschreiben, Kann kein Menschenwitz es fassen, Keine Kunst es je vollenden! Ich jedoch, ich seh's im Traume Wunderherrlich sich gestalten, Sehe es mit wachem Auge, Wo ich wandle, wo ich gehe, Wie ein Blendwerk sich erheben Aus dem Dunst der matten Sinne! Wenn der Sonne Abschiedsglühen Noch die Wolkenwand vergoldet, Die am Himmel hochgethürmet Ernst und majestätisch raget, Ja, dann seh' ich's plötzlich zaub'risch, Wär' es auch im fernen, fernen
Heil'gen Land beim Grab des Herren, Ach, ich wollte ſonder Ruhe Tag und Nacht voll Sehnſucht wandern, Bis ich's ſchaute, — — und dann ſterben!“ Auf der bleichen Stirn des Mönches Brennt es jetzt wie dunkler Purpur, Ueberirdiſch Strahlen flammet Aus den Augen, und es zittern Wie im Fieber ihm die Lippen. „Dirnlein!“ ruft er, „mög' der Himmel Dich für dieſe Worte ſegnen, Mög' er's tauſendfach vergelten, Wie Du mich ſo hoch entzückeſt! Schau, dies Bild hab' ich gezeichnet Mit armſeligem Verſtande, Ach, ſo wie mein Geiſt mir's malet, Kann kein Griffel es beſchreiben, Kann kein Menſchenwitz es faſſen, Keine Kunſt es je vollenden! Ich jedoch, ich ſeh's im Traume Wunderherrlich ſich geſtalten, Sehe es mit wachem Auge, Wo ich wandle, wo ich gehe, Wie ein Blendwerk ſich erheben Aus dem Dunſt der matten Sinne! Wenn der Sonne Abſchiedsglühen Noch die Wolkenwand vergoldet, Die am Himmel hochgethürmet Ernſt und majeſtätiſch raget, Ja, dann ſeh' ich's plötzlich zaub'riſch, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0089" n="75"/> <lg n="15"> <l>Wär' es auch im fernen, fernen</l><lb/> <l>Heil'gen Land beim Grab des Herren,</l><lb/> <l>Ach, ich wollte ſonder Ruhe</l><lb/> <l>Tag und Nacht voll Sehnſucht wandern,</l><lb/> <l>Bis ich's ſchaute, — — und dann ſterben!“</l><lb/> <l>Auf der bleichen Stirn des Mönches</l><lb/> <l>Brennt es jetzt wie dunkler Purpur,</l><lb/> <l>Ueberirdiſch Strahlen flammet</l><lb/> <l>Aus den Augen, und es zittern</l><lb/> <l>Wie im Fieber ihm die Lippen.</l><lb/> <l>„Dirnlein!“ ruft er, „mög' der Himmel</l><lb/> <l>Dich für dieſe Worte ſegnen,</l><lb/> <l>Mög' er's tauſendfach vergelten,</l><lb/> <l>Wie Du mich ſo hoch entzückeſt!</l><lb/> <l>Schau, dies Bild hab' ich gezeichnet</l><lb/> <l>Mit armſeligem Verſtande,</l><lb/> <l>Ach, ſo wie mein Geiſt mir's malet,</l><lb/> <l>Kann kein Griffel es beſchreiben,</l><lb/> <l>Kann kein Menſchenwitz es faſſen,</l><lb/> <l>Keine Kunſt es je vollenden!</l><lb/> <l>Ich jedoch, ich ſeh's im Traume</l><lb/> <l>Wunderherrlich ſich geſtalten,</l><lb/> <l>Sehe es mit wachem Auge,</l><lb/> <l>Wo ich wandle, wo ich gehe,</l><lb/> <l>Wie ein Blendwerk ſich erheben</l><lb/> <l>Aus dem Dunſt der matten Sinne!</l><lb/> <l>Wenn der Sonne Abſchiedsglühen</l><lb/> <l>Noch die Wolkenwand vergoldet,</l><lb/> <l>Die am Himmel hochgethürmet</l><lb/> <l>Ernſt und majeſtätiſch raget,</l><lb/> <l>Ja, dann ſeh' ich's plötzlich zaub'riſch,</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [75/0089]
Wär' es auch im fernen, fernen
Heil'gen Land beim Grab des Herren,
Ach, ich wollte ſonder Ruhe
Tag und Nacht voll Sehnſucht wandern,
Bis ich's ſchaute, — — und dann ſterben!“
Auf der bleichen Stirn des Mönches
Brennt es jetzt wie dunkler Purpur,
Ueberirdiſch Strahlen flammet
Aus den Augen, und es zittern
Wie im Fieber ihm die Lippen.
„Dirnlein!“ ruft er, „mög' der Himmel
Dich für dieſe Worte ſegnen,
Mög' er's tauſendfach vergelten,
Wie Du mich ſo hoch entzückeſt!
Schau, dies Bild hab' ich gezeichnet
Mit armſeligem Verſtande,
Ach, ſo wie mein Geiſt mir's malet,
Kann kein Griffel es beſchreiben,
Kann kein Menſchenwitz es faſſen,
Keine Kunſt es je vollenden!
Ich jedoch, ich ſeh's im Traume
Wunderherrlich ſich geſtalten,
Sehe es mit wachem Auge,
Wo ich wandle, wo ich gehe,
Wie ein Blendwerk ſich erheben
Aus dem Dunſt der matten Sinne!
Wenn der Sonne Abſchiedsglühen
Noch die Wolkenwand vergoldet,
Die am Himmel hochgethürmet
Ernſt und majeſtätiſch raget,
Ja, dann ſeh' ich's plötzlich zaub'riſch,
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Zitationshilfe: | Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/89>, abgerufen am 16.02.2025. |