Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886.Am liebsten aus den Fingern
Den Brocken schon stiebitzt, Der, wenn die Maid dem Freßsack Zuruft: "Nun abmarschirt!" Sich spielt auf den Gekränkten Und furchtbar raisonnirt! Das war ein reizend Bildniß: Im hellen Sonnenschein, Inmitten des Gezwitschers Die beiden Jungfräulein, Umrahmt vom Fensterbogen, Umschlungen traut und dicht, Bei Gudas Rosenwangen Ein Lilienangesicht! Was klopft allda am Thore Und rührt die Glocke hell; Kehrt ein zu unserm Schlößlein Ein fahrender Gesell? "Heut' kommt mir Glück und Freude!" Ruft Guda schnell erregt, "Ich hab' heut' Nacht im Traume Ein welkes Reis gepflegt, Das unter meinen Händen Urplötzlich keimt und blüht Und schnell in rothen Rosen Mir hold entgegen glüht!" "Heil Dir," sagt Nella bangend, "Auch ich hatt' seltnen Traum, Ich stand und hielt umschlungen Schneeweißen Blüthenbaum; Doch alle Blätter sanken Am liebſten aus den Fingern
Den Brocken ſchon ſtiebitzt, Der, wenn die Maid dem Freßſack Zuruft: „Nun abmarſchirt!“ Sich ſpielt auf den Gekränkten Und furchtbar raiſonnirt! Das war ein reizend Bildniß: Im hellen Sonnenſchein, Inmitten des Gezwitſchers Die beiden Jungfräulein, Umrahmt vom Fenſterbogen, Umſchlungen traut und dicht, Bei Gudas Roſenwangen Ein Lilienangeſicht! Was klopft allda am Thore Und rührt die Glocke hell; Kehrt ein zu unſerm Schlößlein Ein fahrender Geſell? „Heut' kommt mir Glück und Freude!“ Ruft Guda ſchnell erregt, „Ich hab' heut' Nacht im Traume Ein welkes Reis gepflegt, Das unter meinen Händen Urplötzlich keimt und blüht Und ſchnell in rothen Roſen Mir hold entgegen glüht!“ „Heil Dir,“ ſagt Nella bangend, „Auch ich hatt' ſeltnen Traum, Ich ſtand und hielt umſchlungen Schneeweißen Blüthenbaum; Doch alle Blätter ſanken <TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0197" n="183"/> <lg n="3"> <l>Am liebſten aus den Fingern</l><lb/> <l>Den Brocken ſchon ſtiebitzt,</l><lb/> <l>Der, wenn die Maid dem Freßſack</l><lb/> <l>Zuruft: „Nun abmarſchirt!“</l><lb/> <l>Sich ſpielt auf den Gekränkten</l><lb/> <l>Und furchtbar raiſonnirt!</l><lb/> <l>Das war ein reizend Bildniß:</l><lb/> <l>Im hellen Sonnenſchein,</l><lb/> <l>Inmitten des Gezwitſchers</l><lb/> <l>Die beiden Jungfräulein,</l><lb/> <l>Umrahmt vom Fenſterbogen,</l><lb/> <l>Umſchlungen traut und dicht,</l><lb/> <l>Bei Gudas Roſenwangen</l><lb/> <l>Ein Lilienangeſicht!</l><lb/> <l>Was klopft allda am Thore</l><lb/> <l>Und rührt die Glocke hell;</l><lb/> <l>Kehrt ein zu unſerm Schlößlein</l><lb/> <l>Ein fahrender Geſell?</l><lb/> <l>„Heut' kommt mir Glück und Freude!“</l><lb/> <l>Ruft Guda ſchnell erregt,</l><lb/> <l>„Ich hab' heut' Nacht im Traume</l><lb/> <l>Ein welkes Reis gepflegt,</l><lb/> <l>Das unter meinen Händen</l><lb/> <l>Urplötzlich keimt und blüht</l><lb/> <l>Und ſchnell in rothen Roſen</l><lb/> <l>Mir hold entgegen glüht!“</l><lb/> <l>„Heil Dir,“ ſagt Nella bangend,</l><lb/> <l>„Auch ich hatt' ſeltnen Traum,</l><lb/> <l>Ich ſtand und hielt umſchlungen</l><lb/> <l>Schneeweißen Blüthenbaum;</l><lb/> <l>Doch alle Blätter ſanken</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [183/0197]
Am liebſten aus den Fingern
Den Brocken ſchon ſtiebitzt,
Der, wenn die Maid dem Freßſack
Zuruft: „Nun abmarſchirt!“
Sich ſpielt auf den Gekränkten
Und furchtbar raiſonnirt!
Das war ein reizend Bildniß:
Im hellen Sonnenſchein,
Inmitten des Gezwitſchers
Die beiden Jungfräulein,
Umrahmt vom Fenſterbogen,
Umſchlungen traut und dicht,
Bei Gudas Roſenwangen
Ein Lilienangeſicht!
Was klopft allda am Thore
Und rührt die Glocke hell;
Kehrt ein zu unſerm Schlößlein
Ein fahrender Geſell?
„Heut' kommt mir Glück und Freude!“
Ruft Guda ſchnell erregt,
„Ich hab' heut' Nacht im Traume
Ein welkes Reis gepflegt,
Das unter meinen Händen
Urplötzlich keimt und blüht
Und ſchnell in rothen Roſen
Mir hold entgegen glüht!“
„Heil Dir,“ ſagt Nella bangend,
„Auch ich hatt' ſeltnen Traum,
Ich ſtand und hielt umſchlungen
Schneeweißen Blüthenbaum;
Doch alle Blätter ſanken
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Zitationshilfe: | Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/197>, abgerufen am 22.07.2024. |