Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886.

Bild:
<< vorherige Seite
Doch seid ohne Sorge, ich hol' Euch im Nu,
Trug oft doch die Katz' schon ein Mäuslein herzu!"
Und neben ihr steht er und neigt sich aufs Knie:
"Ich trag' Euch!" -- Er, dem sie doch niemals verzieh,
Der Mann, den sie hasset, sie schrecket zurück:
"Nein, nein! ich versuch's, ich geh' über die Brück'."
Und sie probet aufs Neu', beißt die Zähne zusamm',
Es knirscht auf den Steinen der lockere Stamm,
Sie blickt in die Tiefe, sie schwindelt, sie schwankt
Und flüchtet zurück sich: "Es hält nicht, es wankt!"
Stumm steht er, als ging' ihn das garnichts mehr an,
Gekreuzet die Arme, der trotzige Mann,
Er sieht ihre Angst, ihrer Blicke Fleh'n,
Noch will er die Bitte jetzt nicht mehr versteh'n;
Ein Hornstoß klingt fern von des Berges Firn,
Da kehrt er zum Steg sich mit finsterer Stirn,
Will scheiden von ihr. Das wäre ihr Tod!
Geängstigt, gedrängt von der bittersten Noth,
Faßt jäh seinen Arm sie, umklammert ihn fest,
Wie der Epheu, der niemals vom Eichenbaum läßt,
"O geh' nicht -- o rette mich ... nimm mich mit Dir,
Ich muß ja versinken im Abgrunde hier!"
Da trifft sie sein Auge, hellstrahlend in Lust,
Er neigt sich, er hebet sie schnell an die Brust,
So sicher gefasset, bang an ihn geschmiegt,
Leicht wie eine Feder sein Arm sie wiegt,
Und stumm betritt er die ächzende Brück'
Und trägt sie zum sicheren Jenseits zurück.
Noch hält sie sein Arm. "Jungfräulein, ei sprecht,
Des Lohnes ist werth doch ein jeglicher Knecht,
Gar tief steht zum dritten Mal heut' Ihr in Schuld,
Doch ſeid ohne Sorge, ich hol' Euch im Nu,
Trug oft doch die Katz' ſchon ein Mäuslein herzu!“
Und neben ihr ſteht er und neigt ſich aufs Knie:
„Ich trag' Euch!“ — Er, dem ſie doch niemals verzieh,
Der Mann, den ſie haſſet, ſie ſchrecket zurück:
„Nein, nein! ich verſuch's, ich geh' über die Brück'.“
Und ſie probet aufs Neu', beißt die Zähne zuſamm',
Es knirſcht auf den Steinen der lockere Stamm,
Sie blickt in die Tiefe, ſie ſchwindelt, ſie ſchwankt
Und flüchtet zurück ſich: „Es hält nicht, es wankt!“
Stumm ſteht er, als ging' ihn das garnichts mehr an,
Gekreuzet die Arme, der trotzige Mann,
Er ſieht ihre Angſt, ihrer Blicke Fleh'n,
Noch will er die Bitte jetzt nicht mehr verſteh'n;
Ein Hornſtoß klingt fern von des Berges Firn,
Da kehrt er zum Steg ſich mit finſterer Stirn,
Will ſcheiden von ihr. Das wäre ihr Tod!
Geängſtigt, gedrängt von der bitterſten Noth,
Faßt jäh ſeinen Arm ſie, umklammert ihn feſt,
Wie der Epheu, der niemals vom Eichenbaum läßt,
„O geh' nicht — o rette mich ... nimm mich mit Dir,
Ich muß ja verſinken im Abgrunde hier!“
Da trifft ſie ſein Auge, hellſtrahlend in Luſt,
Er neigt ſich, er hebet ſie ſchnell an die Bruſt,
So ſicher gefaſſet, bang an ihn geſchmiegt,
Leicht wie eine Feder ſein Arm ſie wiegt,
Und ſtumm betritt er die ächzende Brück'
Und trägt ſie zum ſicheren Jenſeits zurück.
Noch hält ſie ſein Arm. „Jungfräulein, ei ſprecht,
Des Lohnes iſt werth doch ein jeglicher Knecht,
Gar tief ſteht zum dritten Mal heut' Ihr in Schuld,
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <lg type="poem">
          <pb facs="#f0140" n="126"/>
          <lg n="8">
            <l>Doch &#x017F;eid ohne Sorge, ich hol' Euch im Nu,</l><lb/>
            <l>Trug oft doch die Katz' &#x017F;chon ein Mäuslein herzu!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Und neben ihr &#x017F;teht er und neigt &#x017F;ich aufs Knie:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Ich trag' Euch!&#x201C; &#x2014; Er, dem &#x017F;ie doch niemals verzieh,</l><lb/>
            <l>Der Mann, den &#x017F;ie ha&#x017F;&#x017F;et, &#x017F;ie &#x017F;chrecket zurück:</l><lb/>
            <l>&#x201E;Nein, nein! ich ver&#x017F;uch's, ich geh' über die Brück'.&#x201C;</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;ie probet aufs Neu', beißt die Zähne zu&#x017F;amm',</l><lb/>
            <l>Es knir&#x017F;cht auf den Steinen der lockere Stamm,</l><lb/>
            <l>Sie blickt in die Tiefe, &#x017F;ie &#x017F;chwindelt, &#x017F;ie &#x017F;chwankt</l><lb/>
            <l>Und flüchtet zurück &#x017F;ich: &#x201E;Es hält nicht, es wankt!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Stumm &#x017F;teht er, als ging' ihn das garnichts mehr an,</l><lb/>
            <l>Gekreuzet die Arme, der trotzige Mann,</l><lb/>
            <l>Er &#x017F;ieht ihre Ang&#x017F;t, ihrer Blicke Fleh'n,</l><lb/>
            <l>Noch will er die Bitte jetzt nicht mehr ver&#x017F;teh'n;</l><lb/>
            <l>Ein Horn&#x017F;toß klingt fern von des Berges Firn,</l><lb/>
            <l>Da kehrt er zum Steg &#x017F;ich mit fin&#x017F;terer Stirn,</l><lb/>
            <l>Will &#x017F;cheiden von ihr. Das wäre ihr Tod!</l><lb/>
            <l>Geäng&#x017F;tigt, gedrängt von der bitter&#x017F;ten Noth,</l><lb/>
            <l>Faßt jäh &#x017F;einen Arm &#x017F;ie, umklammert ihn fe&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Wie der Epheu, der niemals vom Eichenbaum läßt,</l><lb/>
            <l>&#x201E;O geh' nicht &#x2014; o rette mich ... nimm mich mit Dir,</l><lb/>
            <l>Ich muß ja ver&#x017F;inken im Abgrunde hier!&#x201C;</l><lb/>
            <l>Da trifft &#x017F;ie &#x017F;ein Auge, hell&#x017F;trahlend in Lu&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>Er neigt &#x017F;ich, er hebet &#x017F;ie &#x017F;chnell an die Bru&#x017F;t,</l><lb/>
            <l>So &#x017F;icher gefa&#x017F;&#x017F;et, bang an ihn ge&#x017F;chmiegt,</l><lb/>
            <l>Leicht wie eine Feder &#x017F;ein Arm &#x017F;ie wiegt,</l><lb/>
            <l>Und &#x017F;tumm betritt er die ächzende Brück'</l><lb/>
            <l>Und trägt &#x017F;ie zum &#x017F;icheren Jen&#x017F;eits zurück.</l><lb/>
            <l>Noch hält &#x017F;ie &#x017F;ein Arm. &#x201E;Jungfräulein, ei &#x017F;precht,</l><lb/>
            <l>Des Lohnes i&#x017F;t werth doch ein jeglicher Knecht,</l><lb/>
            <l>Gar tief &#x017F;teht zum dritten Mal heut' Ihr in Schuld,</l><lb/>
          </lg>
        </lg>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[126/0140] Doch ſeid ohne Sorge, ich hol' Euch im Nu, Trug oft doch die Katz' ſchon ein Mäuslein herzu!“ Und neben ihr ſteht er und neigt ſich aufs Knie: „Ich trag' Euch!“ — Er, dem ſie doch niemals verzieh, Der Mann, den ſie haſſet, ſie ſchrecket zurück: „Nein, nein! ich verſuch's, ich geh' über die Brück'.“ Und ſie probet aufs Neu', beißt die Zähne zuſamm', Es knirſcht auf den Steinen der lockere Stamm, Sie blickt in die Tiefe, ſie ſchwindelt, ſie ſchwankt Und flüchtet zurück ſich: „Es hält nicht, es wankt!“ Stumm ſteht er, als ging' ihn das garnichts mehr an, Gekreuzet die Arme, der trotzige Mann, Er ſieht ihre Angſt, ihrer Blicke Fleh'n, Noch will er die Bitte jetzt nicht mehr verſteh'n; Ein Hornſtoß klingt fern von des Berges Firn, Da kehrt er zum Steg ſich mit finſterer Stirn, Will ſcheiden von ihr. Das wäre ihr Tod! Geängſtigt, gedrängt von der bitterſten Noth, Faßt jäh ſeinen Arm ſie, umklammert ihn feſt, Wie der Epheu, der niemals vom Eichenbaum läßt, „O geh' nicht — o rette mich ... nimm mich mit Dir, Ich muß ja verſinken im Abgrunde hier!“ Da trifft ſie ſein Auge, hellſtrahlend in Luſt, Er neigt ſich, er hebet ſie ſchnell an die Bruſt, So ſicher gefaſſet, bang an ihn geſchmiegt, Leicht wie eine Feder ſein Arm ſie wiegt, Und ſtumm betritt er die ächzende Brück' Und trägt ſie zum ſicheren Jenſeits zurück. Noch hält ſie ſein Arm. „Jungfräulein, ei ſprecht, Des Lohnes iſt werth doch ein jeglicher Knecht, Gar tief ſteht zum dritten Mal heut' Ihr in Schuld,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/140
Zitationshilfe: Eschstruth, Nataly von: Katz' und Maus. Berlin, 1886, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eschstruth_katz_1886/140>, abgerufen am 25.11.2024.