Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Liebe zu empfinden, als jene entsetzliche Leidenschaft gewesen war, die mit Heftigkeit in mir gewüthet hatte, ohne mich zu beglücken. Anton war lange nicht zu finden, endlich hörte ich, er sei bei einem großen Mitagessen im Prater, und fuhr eilig dorthin.

Eine zahlreiche Gesellschaft von lauter Herren war fröhlich versammelt und feierte den Namenstag eines ihrer Mitglieder. Viele meiner Bekannten riefen mich sogleich an, ich wurde mit lautem Beifall bewillkommt und zum Niedersetzen gezwungen, ehe ich mich noch nach Anton umgesehn hatte; er saß am andern Ende des Tisches und winkte mir vergnügt zu. Der rauschende Lärm machte jeden Gedanken an vertrauliche Mittheilung unmöglich. Ich mußte wider Willen an dem Feste Theil nehmen, man zwang mir Gesundheiten auf, es wurde ein schallendes Lebehoch nach dem andern ausgebracht, es galt der Armee, dem tapfern Erzherzoge, und solch aus dem Herzen dringenden Ruf hätte ich nicht mögen vorbeigehn lassen, ohne Bescheid zu thun, selbst wenn es schicklich gewesen wäre. Der Wein, der ans diese Weise nicht gespart wurde, erregte uns immer mehr, und wie es zu geschehen pflegt, wenn junge Leute ohne irgend einen Zwang zu empfinden versammelt sind, man fing an auf ziemlich freie Weise von seinen Abenteuern und Liebschaften zu sprechen, wobei Jeder sein Glück und sein Unglück rücksichtslos offenbarte.

Ich hatte eine Weile ohne sonderliches Vergnügen diesen meist gemeinen Erzählungen zugehört, als ein

Liebe zu empfinden, als jene entsetzliche Leidenschaft gewesen war, die mit Heftigkeit in mir gewüthet hatte, ohne mich zu beglücken. Anton war lange nicht zu finden, endlich hörte ich, er sei bei einem großen Mitagessen im Prater, und fuhr eilig dorthin.

Eine zahlreiche Gesellschaft von lauter Herren war fröhlich versammelt und feierte den Namenstag eines ihrer Mitglieder. Viele meiner Bekannten riefen mich sogleich an, ich wurde mit lautem Beifall bewillkommt und zum Niedersetzen gezwungen, ehe ich mich noch nach Anton umgesehn hatte; er saß am andern Ende des Tisches und winkte mir vergnügt zu. Der rauschende Lärm machte jeden Gedanken an vertrauliche Mittheilung unmöglich. Ich mußte wider Willen an dem Feste Theil nehmen, man zwang mir Gesundheiten auf, es wurde ein schallendes Lebehoch nach dem andern ausgebracht, es galt der Armee, dem tapfern Erzherzoge, und solch aus dem Herzen dringenden Ruf hätte ich nicht mögen vorbeigehn lassen, ohne Bescheid zu thun, selbst wenn es schicklich gewesen wäre. Der Wein, der ans diese Weise nicht gespart wurde, erregte uns immer mehr, und wie es zu geschehen pflegt, wenn junge Leute ohne irgend einen Zwang zu empfinden versammelt sind, man fing an auf ziemlich freie Weise von seinen Abenteuern und Liebschaften zu sprechen, wobei Jeder sein Glück und sein Unglück rücksichtslos offenbarte.

Ich hatte eine Weile ohne sonderliches Vergnügen diesen meist gemeinen Erzählungen zugehört, als ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0070"/>
Liebe zu empfinden,                als jene entsetzliche Leidenschaft gewesen war, die mit Heftigkeit in mir gewüthet                hatte, ohne mich zu beglücken. Anton war lange nicht zu finden, endlich hörte ich, er                sei bei einem großen Mitagessen im Prater, und fuhr eilig dorthin.</p><lb/>
        <p>Eine zahlreiche Gesellschaft von lauter Herren war fröhlich versammelt und feierte                den Namenstag eines ihrer Mitglieder. Viele meiner Bekannten riefen mich sogleich an,                ich wurde mit lautem Beifall bewillkommt und zum Niedersetzen gezwungen, ehe ich mich                noch nach Anton umgesehn hatte; er saß am andern Ende des Tisches und winkte mir                vergnügt zu. Der rauschende Lärm machte jeden Gedanken an vertrauliche Mittheilung                unmöglich. Ich mußte wider Willen an dem Feste Theil nehmen, man zwang mir                Gesundheiten auf, es wurde ein schallendes Lebehoch nach dem andern ausgebracht, es                galt der Armee, dem tapfern Erzherzoge, und solch aus dem Herzen dringenden Ruf hätte                ich nicht mögen vorbeigehn lassen, ohne Bescheid zu thun, selbst wenn es schicklich                gewesen wäre. Der Wein, der ans diese Weise nicht gespart wurde, erregte uns immer                mehr, und wie es zu geschehen pflegt, wenn junge Leute ohne irgend einen Zwang zu                empfinden versammelt sind, man fing an auf ziemlich freie Weise von seinen Abenteuern                und Liebschaften zu sprechen, wobei Jeder sein Glück und sein Unglück rücksichtslos                offenbarte.</p><lb/>
        <p>Ich hatte eine Weile ohne sonderliches Vergnügen diesen meist gemeinen Erzählungen                zugehört, als ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] Liebe zu empfinden, als jene entsetzliche Leidenschaft gewesen war, die mit Heftigkeit in mir gewüthet hatte, ohne mich zu beglücken. Anton war lange nicht zu finden, endlich hörte ich, er sei bei einem großen Mitagessen im Prater, und fuhr eilig dorthin. Eine zahlreiche Gesellschaft von lauter Herren war fröhlich versammelt und feierte den Namenstag eines ihrer Mitglieder. Viele meiner Bekannten riefen mich sogleich an, ich wurde mit lautem Beifall bewillkommt und zum Niedersetzen gezwungen, ehe ich mich noch nach Anton umgesehn hatte; er saß am andern Ende des Tisches und winkte mir vergnügt zu. Der rauschende Lärm machte jeden Gedanken an vertrauliche Mittheilung unmöglich. Ich mußte wider Willen an dem Feste Theil nehmen, man zwang mir Gesundheiten auf, es wurde ein schallendes Lebehoch nach dem andern ausgebracht, es galt der Armee, dem tapfern Erzherzoge, und solch aus dem Herzen dringenden Ruf hätte ich nicht mögen vorbeigehn lassen, ohne Bescheid zu thun, selbst wenn es schicklich gewesen wäre. Der Wein, der ans diese Weise nicht gespart wurde, erregte uns immer mehr, und wie es zu geschehen pflegt, wenn junge Leute ohne irgend einen Zwang zu empfinden versammelt sind, man fing an auf ziemlich freie Weise von seinen Abenteuern und Liebschaften zu sprechen, wobei Jeder sein Glück und sein Unglück rücksichtslos offenbarte. Ich hatte eine Weile ohne sonderliches Vergnügen diesen meist gemeinen Erzählungen zugehört, als ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:43:47Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/70
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/70>, abgerufen am 30.11.2024.