Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.näckigkeit zunahm und mir die Frucht der siegenden Berichtigung zu sein schien, da es doch nur aus Ueberdruß und Gleichgültigkeit geschah und weil er einsah, wie sehr es mir darum zu thun war. Wenn ich dir erzählte, dachte ich bei mir selbst, was Alles ich von ihr weiß! wenn ich dir es sagen dürfte, sagen könnte! Aber es wäre ja ein Verrath, wenn ich die schönsten Heimlichkeiten ihrer Seele dem Schlechtgesinnten mittheilte ! Nein, selbst um den Preis, dich ganz für sie zu gewinnen, soll es nicht geschehen! -- Ich hielt Wort, und ungeachtet Anton, der jeden neuen Menschen als eine, zu lösende Aufgabe betrachtete, mich oft über Eugenien näher befragte, so erfuhr er doch Nichts mehr durch mich. Eine warme Theilnahme hätte mich zu jedem Vertrauen gebracht, seiner kalten Neugier blieb ich verschlossen! Ungeachtet der zahlreichen Zerstreuungen, welche die große Stadt Anton darbot, und der freundschaftlichen Ansprüche, die man von allen Seiten an ihn machte, wußte er seine Zeit doch meistens so einzurichten, daß er einen Theil des Abends mit mir bei Eugenien zubrachte und, wenn er anderswo festgehalten war, noch spät mich wenigstens abzuholen kam. Sie fuhr fort, sehr gütig gegen ihn zu sein, und verhehlte mir nicht, was sie zuweilen sogar ihn selbst merken ließ, daß es vorzüglich meinetwegen geschah. Da er eben so heiter und vergnügt war, als geschickt die Andern zu vergnügen, wozu seine vielen Erfahrungen, Kenntnisse und Gesichts- näckigkeit zunahm und mir die Frucht der siegenden Berichtigung zu sein schien, da es doch nur aus Ueberdruß und Gleichgültigkeit geschah und weil er einsah, wie sehr es mir darum zu thun war. Wenn ich dir erzählte, dachte ich bei mir selbst, was Alles ich von ihr weiß! wenn ich dir es sagen dürfte, sagen könnte! Aber es wäre ja ein Verrath, wenn ich die schönsten Heimlichkeiten ihrer Seele dem Schlechtgesinnten mittheilte ! Nein, selbst um den Preis, dich ganz für sie zu gewinnen, soll es nicht geschehen! — Ich hielt Wort, und ungeachtet Anton, der jeden neuen Menschen als eine, zu lösende Aufgabe betrachtete, mich oft über Eugenien näher befragte, so erfuhr er doch Nichts mehr durch mich. Eine warme Theilnahme hätte mich zu jedem Vertrauen gebracht, seiner kalten Neugier blieb ich verschlossen! Ungeachtet der zahlreichen Zerstreuungen, welche die große Stadt Anton darbot, und der freundschaftlichen Ansprüche, die man von allen Seiten an ihn machte, wußte er seine Zeit doch meistens so einzurichten, daß er einen Theil des Abends mit mir bei Eugenien zubrachte und, wenn er anderswo festgehalten war, noch spät mich wenigstens abzuholen kam. Sie fuhr fort, sehr gütig gegen ihn zu sein, und verhehlte mir nicht, was sie zuweilen sogar ihn selbst merken ließ, daß es vorzüglich meinetwegen geschah. Da er eben so heiter und vergnügt war, als geschickt die Andern zu vergnügen, wozu seine vielen Erfahrungen, Kenntnisse und Gesichts- <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0063"/> näckigkeit zunahm und mir die Frucht der siegenden Berichtigung zu sein schien, da es doch nur aus Ueberdruß und Gleichgültigkeit geschah und weil er einsah, wie sehr es mir darum zu thun war. Wenn ich dir erzählte, dachte ich bei mir selbst, was Alles ich von ihr weiß! wenn ich dir es sagen dürfte, sagen könnte! Aber es wäre ja ein Verrath, wenn ich die schönsten Heimlichkeiten ihrer Seele dem Schlechtgesinnten mittheilte ! Nein, selbst um den Preis, dich ganz für sie zu gewinnen, soll es nicht geschehen! — Ich hielt Wort, und ungeachtet Anton, der jeden neuen Menschen als eine, zu lösende Aufgabe betrachtete, mich oft über Eugenien näher befragte, so erfuhr er doch Nichts mehr durch mich. Eine warme Theilnahme hätte mich zu jedem Vertrauen gebracht, seiner kalten Neugier blieb ich verschlossen!</p><lb/> <p>Ungeachtet der zahlreichen Zerstreuungen, welche die große Stadt Anton darbot, und der freundschaftlichen Ansprüche, die man von allen Seiten an ihn machte, wußte er seine Zeit doch meistens so einzurichten, daß er einen Theil des Abends mit mir bei Eugenien zubrachte und, wenn er anderswo festgehalten war, noch spät mich wenigstens abzuholen kam. Sie fuhr fort, sehr gütig gegen ihn zu sein, und verhehlte mir nicht, was sie zuweilen sogar ihn selbst merken ließ, daß es vorzüglich meinetwegen geschah. Da er eben so heiter und vergnügt war, als geschickt die Andern zu vergnügen, wozu seine vielen Erfahrungen, Kenntnisse und Gesichts-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0063]
näckigkeit zunahm und mir die Frucht der siegenden Berichtigung zu sein schien, da es doch nur aus Ueberdruß und Gleichgültigkeit geschah und weil er einsah, wie sehr es mir darum zu thun war. Wenn ich dir erzählte, dachte ich bei mir selbst, was Alles ich von ihr weiß! wenn ich dir es sagen dürfte, sagen könnte! Aber es wäre ja ein Verrath, wenn ich die schönsten Heimlichkeiten ihrer Seele dem Schlechtgesinnten mittheilte ! Nein, selbst um den Preis, dich ganz für sie zu gewinnen, soll es nicht geschehen! — Ich hielt Wort, und ungeachtet Anton, der jeden neuen Menschen als eine, zu lösende Aufgabe betrachtete, mich oft über Eugenien näher befragte, so erfuhr er doch Nichts mehr durch mich. Eine warme Theilnahme hätte mich zu jedem Vertrauen gebracht, seiner kalten Neugier blieb ich verschlossen!
Ungeachtet der zahlreichen Zerstreuungen, welche die große Stadt Anton darbot, und der freundschaftlichen Ansprüche, die man von allen Seiten an ihn machte, wußte er seine Zeit doch meistens so einzurichten, daß er einen Theil des Abends mit mir bei Eugenien zubrachte und, wenn er anderswo festgehalten war, noch spät mich wenigstens abzuholen kam. Sie fuhr fort, sehr gütig gegen ihn zu sein, und verhehlte mir nicht, was sie zuweilen sogar ihn selbst merken ließ, daß es vorzüglich meinetwegen geschah. Da er eben so heiter und vergnügt war, als geschickt die Andern zu vergnügen, wozu seine vielen Erfahrungen, Kenntnisse und Gesichts-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-14T14:43:47Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-14T14:43:47Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |