Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit wollte er mir zum Abschied noch schenken. Anton, so hieß er, war mit den glücklichsten Anlagen und in der günstigsten Lage geboren, eine gute Erziehung hatte ihn schön entwickelt, und er war mit eben so ehrlichen als heitern Ansprüchen in das Getümmel des Lebens getreten. Er fand viele Freunde, die Gunst der Frauen zeichnete ihn vor Vielen aus, und er behauptete in jedem Umgänge eine seltene Strenge und Wahrheit. Leider gerieth er in lauter solche Liebesverhältnisse, die er vor sich selber nicht ganz rechtfertigen konnte. Sein theilnehmendes Gemüth widerstand nicht dem Unglück einer verheiratheten Frau, die ihn an sich zog als einen Retter und Helfer. Was er für sie empfand, wurde ihm bald, weil er es für unrechtlich hielt, zur Qual, und sein erstes Unrecht, das er nun behaupten mußte durch anderes, führte ihm das traurige Berhängniß zu, daß er den Gemahl seiner Geliebten im Zweikampf erschoß. Ein anderes Verhältniß mit einer italienischen Sängerin, der sein Herz fünf Jahre hindurch treu geblieben war, zerschlug sich auf eine häßliche Art; eine standesgemäße und, wie es schien, glückliche Heirath, welche seine Verwandten ihm vorbereitet hatten, verhinderte der Tod.

Durch diese Unfälle hatte sich ein trauriger Schleier über sein Leben hingezogen, er wußte nicht mehr, wie er es angreifen sollte, denn er war in seinen Forderungen irre geworden. Da sein Verstand allein Herr des Gebiets blieb, wo sein Gefühl nur Böses erfahren

Zeit wollte er mir zum Abschied noch schenken. Anton, so hieß er, war mit den glücklichsten Anlagen und in der günstigsten Lage geboren, eine gute Erziehung hatte ihn schön entwickelt, und er war mit eben so ehrlichen als heitern Ansprüchen in das Getümmel des Lebens getreten. Er fand viele Freunde, die Gunst der Frauen zeichnete ihn vor Vielen aus, und er behauptete in jedem Umgänge eine seltene Strenge und Wahrheit. Leider gerieth er in lauter solche Liebesverhältnisse, die er vor sich selber nicht ganz rechtfertigen konnte. Sein theilnehmendes Gemüth widerstand nicht dem Unglück einer verheiratheten Frau, die ihn an sich zog als einen Retter und Helfer. Was er für sie empfand, wurde ihm bald, weil er es für unrechtlich hielt, zur Qual, und sein erstes Unrecht, das er nun behaupten mußte durch anderes, führte ihm das traurige Berhängniß zu, daß er den Gemahl seiner Geliebten im Zweikampf erschoß. Ein anderes Verhältniß mit einer italienischen Sängerin, der sein Herz fünf Jahre hindurch treu geblieben war, zerschlug sich auf eine häßliche Art; eine standesgemäße und, wie es schien, glückliche Heirath, welche seine Verwandten ihm vorbereitet hatten, verhinderte der Tod.

Durch diese Unfälle hatte sich ein trauriger Schleier über sein Leben hingezogen, er wußte nicht mehr, wie er es angreifen sollte, denn er war in seinen Forderungen irre geworden. Da sein Verstand allein Herr des Gebiets blieb, wo sein Gefühl nur Böses erfahren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="0">
        <p><pb facs="#f0057"/>
Zeit wollte er mir zum Abschied noch schenken. Anton, so hieß er, war mit                den glücklichsten Anlagen und in der günstigsten Lage geboren, eine gute Erziehung                hatte ihn schön entwickelt, und er war mit eben so ehrlichen als heitern Ansprüchen                in das Getümmel des Lebens getreten. Er fand viele Freunde, die Gunst der Frauen                zeichnete ihn vor Vielen aus, und er behauptete in jedem Umgänge eine seltene Strenge                und Wahrheit. Leider gerieth er in lauter solche Liebesverhältnisse, die er vor sich                selber nicht ganz rechtfertigen konnte. Sein theilnehmendes Gemüth widerstand nicht                dem Unglück einer verheiratheten Frau, die ihn an sich zog als einen Retter und                Helfer. Was er für sie empfand, wurde ihm bald, weil er es für unrechtlich hielt, zur                Qual, und sein erstes Unrecht, das er nun behaupten mußte durch anderes, führte ihm                das traurige Berhängniß zu, daß er den Gemahl seiner Geliebten im Zweikampf erschoß.                Ein anderes Verhältniß mit einer italienischen Sängerin, der sein Herz fünf Jahre                hindurch treu geblieben war, zerschlug sich auf eine häßliche Art; eine standesgemäße                und, wie es schien, glückliche Heirath, welche seine Verwandten ihm vorbereitet                hatten, verhinderte der Tod.</p><lb/>
        <p>Durch diese Unfälle hatte sich ein trauriger Schleier über sein Leben hingezogen, er                wußte nicht mehr, wie er es angreifen sollte, denn er war in seinen Forderungen irre                geworden. Da sein Verstand allein Herr des Gebiets blieb, wo sein Gefühl nur Böses                erfahren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0057] Zeit wollte er mir zum Abschied noch schenken. Anton, so hieß er, war mit den glücklichsten Anlagen und in der günstigsten Lage geboren, eine gute Erziehung hatte ihn schön entwickelt, und er war mit eben so ehrlichen als heitern Ansprüchen in das Getümmel des Lebens getreten. Er fand viele Freunde, die Gunst der Frauen zeichnete ihn vor Vielen aus, und er behauptete in jedem Umgänge eine seltene Strenge und Wahrheit. Leider gerieth er in lauter solche Liebesverhältnisse, die er vor sich selber nicht ganz rechtfertigen konnte. Sein theilnehmendes Gemüth widerstand nicht dem Unglück einer verheiratheten Frau, die ihn an sich zog als einen Retter und Helfer. Was er für sie empfand, wurde ihm bald, weil er es für unrechtlich hielt, zur Qual, und sein erstes Unrecht, das er nun behaupten mußte durch anderes, führte ihm das traurige Berhängniß zu, daß er den Gemahl seiner Geliebten im Zweikampf erschoß. Ein anderes Verhältniß mit einer italienischen Sängerin, der sein Herz fünf Jahre hindurch treu geblieben war, zerschlug sich auf eine häßliche Art; eine standesgemäße und, wie es schien, glückliche Heirath, welche seine Verwandten ihm vorbereitet hatten, verhinderte der Tod. Durch diese Unfälle hatte sich ein trauriger Schleier über sein Leben hingezogen, er wußte nicht mehr, wie er es angreifen sollte, denn er war in seinen Forderungen irre geworden. Da sein Verstand allein Herr des Gebiets blieb, wo sein Gefühl nur Böses erfahren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-14T14:43:47Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-14T14:43:47Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/57
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/57>, abgerufen am 29.11.2024.