Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.verstohlen durch meine Seele, die zu gleicher Zeit mit begeisterter Andacht sich die heiligen Vorsätze und edlen Entsagungen, welche eine höhere Einbildungskraft mit Stolz darbot, gern gefallen ließ. In dem Taumel erglühter Wellen, die wechselnd meine Brust erfüllten, ging ich noch lange durch die schneebedeckten, nächtlichen Straßen umher, bis mich die kältere Luft des nahenden Morgens, an den schon die Glockenschläge vom Stephansthurme herab mich vergebens gemahnt hatten, endlich nach Hause trieb, wo ich unter lieben Bildern einschlief. Am andern Tage konnt' ich gleichwohl nicht unterlassen, über die gespannte Stimmung zu lächeln, die mich an Jahren schon Gereiften in die Schritte früher Jugend zurückgeführt hatte, wo ich als ein glücklicher Jüngling unter träumerischen Bäumen manche Nacht hindurch schlaflos herumgewandert war. Ich gebot mir mit allem Ernste, vernünftig zu sein und Verstand und Klugheit dem unbesonnenen Uebertreiben entgegen zu stellen, dem ich so leicht unterworfen war. Allein indem ich mich dergestalt auf die strenge Vernunft beschränkt glaubte, vergönnte ich meinen verworrenen Gefühlen unter dieser beruhigenden Außenseite ein nur desto freieres und gefährlicheres Spiel, und gerade das, was ich damit hatte verbannen wollen, versteckte sich darin um so sicherer. Eugenie stand mir näher seit dieser Zeit, mein Betragen wurde inniger und meine Freundschaft beinahe zärtlich; ein warmer Hauch verstohlen durch meine Seele, die zu gleicher Zeit mit begeisterter Andacht sich die heiligen Vorsätze und edlen Entsagungen, welche eine höhere Einbildungskraft mit Stolz darbot, gern gefallen ließ. In dem Taumel erglühter Wellen, die wechselnd meine Brust erfüllten, ging ich noch lange durch die schneebedeckten, nächtlichen Straßen umher, bis mich die kältere Luft des nahenden Morgens, an den schon die Glockenschläge vom Stephansthurme herab mich vergebens gemahnt hatten, endlich nach Hause trieb, wo ich unter lieben Bildern einschlief. Am andern Tage konnt' ich gleichwohl nicht unterlassen, über die gespannte Stimmung zu lächeln, die mich an Jahren schon Gereiften in die Schritte früher Jugend zurückgeführt hatte, wo ich als ein glücklicher Jüngling unter träumerischen Bäumen manche Nacht hindurch schlaflos herumgewandert war. Ich gebot mir mit allem Ernste, vernünftig zu sein und Verstand und Klugheit dem unbesonnenen Uebertreiben entgegen zu stellen, dem ich so leicht unterworfen war. Allein indem ich mich dergestalt auf die strenge Vernunft beschränkt glaubte, vergönnte ich meinen verworrenen Gefühlen unter dieser beruhigenden Außenseite ein nur desto freieres und gefährlicheres Spiel, und gerade das, was ich damit hatte verbannen wollen, versteckte sich darin um so sicherer. Eugenie stand mir näher seit dieser Zeit, mein Betragen wurde inniger und meine Freundschaft beinahe zärtlich; ein warmer Hauch <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="0"> <p><pb facs="#f0033"/> verstohlen durch meine Seele, die zu gleicher Zeit mit begeisterter Andacht sich die heiligen Vorsätze und edlen Entsagungen, welche eine höhere Einbildungskraft mit Stolz darbot, gern gefallen ließ. In dem Taumel erglühter Wellen, die wechselnd meine Brust erfüllten, ging ich noch lange durch die schneebedeckten, nächtlichen Straßen umher, bis mich die kältere Luft des nahenden Morgens, an den schon die Glockenschläge vom Stephansthurme herab mich vergebens gemahnt hatten, endlich nach Hause trieb, wo ich unter lieben Bildern einschlief.</p><lb/> <p>Am andern Tage konnt' ich gleichwohl nicht unterlassen, über die gespannte Stimmung zu lächeln, die mich an Jahren schon Gereiften in die Schritte früher Jugend zurückgeführt hatte, wo ich als ein glücklicher Jüngling unter träumerischen Bäumen manche Nacht hindurch schlaflos herumgewandert war. Ich gebot mir mit allem Ernste, vernünftig zu sein und Verstand und Klugheit dem unbesonnenen Uebertreiben entgegen zu stellen, dem ich so leicht unterworfen war. Allein indem ich mich dergestalt auf die strenge Vernunft beschränkt glaubte, vergönnte ich meinen verworrenen Gefühlen unter dieser beruhigenden Außenseite ein nur desto freieres und gefährlicheres Spiel, und gerade das, was ich damit hatte verbannen wollen, versteckte sich darin um so sicherer. Eugenie stand mir näher seit dieser Zeit, mein Betragen wurde inniger und meine Freundschaft beinahe zärtlich; ein warmer Hauch<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0033]
verstohlen durch meine Seele, die zu gleicher Zeit mit begeisterter Andacht sich die heiligen Vorsätze und edlen Entsagungen, welche eine höhere Einbildungskraft mit Stolz darbot, gern gefallen ließ. In dem Taumel erglühter Wellen, die wechselnd meine Brust erfüllten, ging ich noch lange durch die schneebedeckten, nächtlichen Straßen umher, bis mich die kältere Luft des nahenden Morgens, an den schon die Glockenschläge vom Stephansthurme herab mich vergebens gemahnt hatten, endlich nach Hause trieb, wo ich unter lieben Bildern einschlief.
Am andern Tage konnt' ich gleichwohl nicht unterlassen, über die gespannte Stimmung zu lächeln, die mich an Jahren schon Gereiften in die Schritte früher Jugend zurückgeführt hatte, wo ich als ein glücklicher Jüngling unter träumerischen Bäumen manche Nacht hindurch schlaflos herumgewandert war. Ich gebot mir mit allem Ernste, vernünftig zu sein und Verstand und Klugheit dem unbesonnenen Uebertreiben entgegen zu stellen, dem ich so leicht unterworfen war. Allein indem ich mich dergestalt auf die strenge Vernunft beschränkt glaubte, vergönnte ich meinen verworrenen Gefühlen unter dieser beruhigenden Außenseite ein nur desto freieres und gefährlicheres Spiel, und gerade das, was ich damit hatte verbannen wollen, versteckte sich darin um so sicherer. Eugenie stand mir näher seit dieser Zeit, mein Betragen wurde inniger und meine Freundschaft beinahe zärtlich; ein warmer Hauch
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Zitationshilfe: | Varnhagen von Ense, Karl August: Reiz und Liebe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 15. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–79. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/ense_liebe_1910/33>, abgerufen am 16.02.2025. |