Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.solcher Gewalt auf's Herz, daß ich bitterlich hätte wei¬ "Sie weiß nur nicht, daß ich es bin," dachte ich, F 2
ſolcher Gewalt auf's Herz, daß ich bitterlich haͤtte wei¬ „Sie weiß nur nicht, daß ich es bin,“ dachte ich, F 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0093" n="83"/> ſolcher Gewalt auf's Herz, daß ich bitterlich haͤtte wei¬<lb/> nen moͤgen, der ſtille Garten vor dem Schloß in fruͤ¬<lb/> her Morgenſtunde, und wie ich da hinter dem Strauch<lb/> ſo gluͤckſeelig war, ehe mir die dumme Fliege in die<lb/> Naſe flog. Ich konnte mich nicht laͤnger halten. Ich<lb/> kletterte auf den vergoldeten Zierrathen uͤber das Git¬<lb/> terthor, und ſchwang mich in den Garten hinunter,<lb/> woher der Geſang kam. Da bemerkte ich, daß eine<lb/> ſchlanke weiße Geſtalt von fern hinter einer Pappel ſtand<lb/> und mir erſt verwundert zuſah, als ich uͤber das Git¬<lb/> terwerk kletterte, dann aber auf einmal ſo ſchnell durch<lb/> den dunklen Garten nach dem Hauſe zuflog, daß man<lb/> ſie im Mondſchein kaum fuͤßeln ſehen konnte. „Das<lb/> war ſie ſelbſt!“ rief ich aus, und das Herz ſchlug mir<lb/> vor Freude, denn ich erkannte ſie gleich an den kleinen,<lb/> geſchwinden Fuͤßchen wieder. Es war nur ſchlimm,<lb/> daß ich mir beim Herunterſpringen vom Gartenthore<lb/> den rechten Fuß etwas vertreten hatte, ich mußte daher<lb/> erſt ein paarmal mit dem Beine ſchlenkern, eh' ich zu<lb/> dem Hauſe nachſpringen konnte. Aber da hatten ſie<lb/> unterdeß Thuͤr und Fenſter feſt verſchloßen. Ich klopfte<lb/> ganz beſcheiden an, horchte und klopfte wieder. Da<lb/> war es nicht anders, als wenn es drinnen leiſe fluͤſterte<lb/> und kicherte, ja einmal kam es mir vor, als wenn zwei<lb/> helle Augen zwiſchen den Jalouſien im Mondſchein<lb/> hervorfunkelten. Dann war auf einmal wieder alles<lb/> ſtill.</p><lb/> <p>„Sie weiß nur nicht, daß ich es bin,“ dachte ich,<lb/> zog die Geige, die ich allzeit bei mir trage, hervor,<lb/> <fw place="bottom" type="sig">F 2<lb/></fw> </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [83/0093]
ſolcher Gewalt auf's Herz, daß ich bitterlich haͤtte wei¬
nen moͤgen, der ſtille Garten vor dem Schloß in fruͤ¬
her Morgenſtunde, und wie ich da hinter dem Strauch
ſo gluͤckſeelig war, ehe mir die dumme Fliege in die
Naſe flog. Ich konnte mich nicht laͤnger halten. Ich
kletterte auf den vergoldeten Zierrathen uͤber das Git¬
terthor, und ſchwang mich in den Garten hinunter,
woher der Geſang kam. Da bemerkte ich, daß eine
ſchlanke weiße Geſtalt von fern hinter einer Pappel ſtand
und mir erſt verwundert zuſah, als ich uͤber das Git¬
terwerk kletterte, dann aber auf einmal ſo ſchnell durch
den dunklen Garten nach dem Hauſe zuflog, daß man
ſie im Mondſchein kaum fuͤßeln ſehen konnte. „Das
war ſie ſelbſt!“ rief ich aus, und das Herz ſchlug mir
vor Freude, denn ich erkannte ſie gleich an den kleinen,
geſchwinden Fuͤßchen wieder. Es war nur ſchlimm,
daß ich mir beim Herunterſpringen vom Gartenthore
den rechten Fuß etwas vertreten hatte, ich mußte daher
erſt ein paarmal mit dem Beine ſchlenkern, eh' ich zu
dem Hauſe nachſpringen konnte. Aber da hatten ſie
unterdeß Thuͤr und Fenſter feſt verſchloßen. Ich klopfte
ganz beſcheiden an, horchte und klopfte wieder. Da
war es nicht anders, als wenn es drinnen leiſe fluͤſterte
und kicherte, ja einmal kam es mir vor, als wenn zwei
helle Augen zwiſchen den Jalouſien im Mondſchein
hervorfunkelten. Dann war auf einmal wieder alles
ſtill.
„Sie weiß nur nicht, daß ich es bin,“ dachte ich,
zog die Geige, die ich allzeit bei mir trage, hervor,
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