prächtigen Rom hatte ich schon zu Hause als Kind viele wunderbare Geschichten gehört, und wenn ich dann an Sonntags-Nachmittagen vor der Mühle im Grase lag und alles ringsum so stille war, da dachte ich mir Rom wie die ziehenden Wolken über mir, mit wunder¬ samen Bergen und Abgründen am blauen Meer, und goldnen Thoren und hohen glänzenden Thürmen, von denen Engel in goldenen Gewändern sangen. -- Die Nacht war schon wieder lange hereingebrochen, und der Mond schien prächtig, als ich endlich auf einem Hügel aus dem Walde heraustrat, und auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir sah. -- Das Meer leuchtete von weiten, der Himmel blitzte und funkelte unübersehbar mit unzähligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt, von der man nur einen langen Nebelstreif erkennen konnte, wie ein eingeschlafner Löwe auf der stillen Erde, und Berge standen daneben, wie dunkle Riesen, die ihn bewachten.
Ich kam nun zuerst auf eine große, einsame Haide, auf der es so grau und still war, wie im Grabe. Nur hin und her stand ein altes verfallenes Gemäuer oder ein trockener wunderbar gewundener Strauch; manch¬ mal schwirrten Nachtvögel durch die Luft, und mein eigener Schatten strich immerfort lang und dunkel in der Einsamkeit neben mir her. Sie sagen, daß hier eine uralte Stadt und die Frau Venus begraben liegt, und die alten Heiden zuweilen noch aus ihren Gräbern heraufsteigen und bei stiller Nacht über die Haide gehn und die Wanderer verwirren. Aber ich ging immer
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praͤchtigen Rom hatte ich ſchon zu Hauſe als Kind viele wunderbare Geſchichten gehoͤrt, und wenn ich dann an Sonntags-Nachmittagen vor der Muͤhle im Graſe lag und alles ringsum ſo ſtille war, da dachte ich mir Rom wie die ziehenden Wolken uͤber mir, mit wunder¬ ſamen Bergen und Abgruͤnden am blauen Meer, und goldnen Thoren und hohen glaͤnzenden Thuͤrmen, von denen Engel in goldenen Gewaͤndern ſangen. — Die Nacht war ſchon wieder lange hereingebrochen, und der Mond ſchien praͤchtig, als ich endlich auf einem Huͤgel aus dem Walde heraustrat, und auf einmal die Stadt in der Ferne vor mir ſah. — Das Meer leuchtete von weiten, der Himmel blitzte und funkelte unuͤberſehbar mit unzaͤhligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt, von der man nur einen langen Nebelſtreif erkennen konnte, wie ein eingeſchlafner Loͤwe auf der ſtillen Erde, und Berge ſtanden daneben, wie dunkle Rieſen, die ihn bewachten.
Ich kam nun zuerſt auf eine große, einſame Haide, auf der es ſo grau und ſtill war, wie im Grabe. Nur hin und her ſtand ein altes verfallenes Gemaͤuer oder ein trockener wunderbar gewundener Strauch; manch¬ mal ſchwirrten Nachtvoͤgel durch die Luft, und mein eigener Schatten ſtrich immerfort lang und dunkel in der Einſamkeit neben mir her. Sie ſagen, daß hier eine uralte Stadt und die Frau Venus begraben liegt, und die alten Heiden zuweilen noch aus ihren Graͤbern heraufſteigen und bei ſtiller Nacht uͤber die Haide gehn und die Wanderer verwirren. Aber ich ging immer
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praͤchtigen Rom hatte ich ſchon zu Hauſe als Kind
viele wunderbare Geſchichten gehoͤrt, und wenn ich dann
an Sonntags-Nachmittagen vor der Muͤhle im Graſe
lag und alles ringsum ſo ſtille war, da dachte ich mir
Rom wie die ziehenden Wolken uͤber mir, mit wunder¬
ſamen Bergen und Abgruͤnden am blauen Meer, und
goldnen Thoren und hohen glaͤnzenden Thuͤrmen, von
denen Engel in goldenen Gewaͤndern ſangen. — Die
Nacht war ſchon wieder lange hereingebrochen, und der
Mond ſchien praͤchtig, als ich endlich auf einem Huͤgel
aus dem Walde heraustrat, und auf einmal die Stadt
in der Ferne vor mir ſah. — Das Meer leuchtete von
weiten, der Himmel blitzte und funkelte unuͤberſehbar
mit unzaͤhligen Sternen, darunter lag die heilige Stadt,
von der man nur einen langen Nebelſtreif erkennen
konnte, wie ein eingeſchlafner Loͤwe auf der ſtillen Erde,
und Berge ſtanden daneben, wie dunkle Rieſen, die
ihn bewachten.
Ich kam nun zuerſt auf eine große, einſame Haide,
auf der es ſo grau und ſtill war, wie im Grabe. Nur
hin und her ſtand ein altes verfallenes Gemaͤuer oder
ein trockener wunderbar gewundener Strauch; manch¬
mal ſchwirrten Nachtvoͤgel durch die Luft, und mein
eigener Schatten ſtrich immerfort lang und dunkel in
der Einſamkeit neben mir her. Sie ſagen, daß hier
eine uralte Stadt und die Frau Venus begraben liegt,
und die alten Heiden zuweilen noch aus ihren Graͤbern
heraufſteigen und bei ſtiller Nacht uͤber die Haide gehn
und die Wanderer verwirren. Aber ich ging immer
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 81. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/91>, abgerufen am 23.07.2024.
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