Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.schen den alten hohen Bäumen hindurch aber war Nachdem ich so ein Weilchen in der Morgen¬ ſchen den alten hohen Baͤumen hindurch aber war Nachdem ich ſo ein Weilchen in der Morgen¬ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0079" n="69"/> ſchen den alten hohen Baͤumen hindurch aber war<lb/> uͤberall eine weite, einſame Ausſicht, eine Bergkoppe<lb/> hinter der andern, ſo weit das Auge reichte.</p><lb/> <p>Nachdem ich ſo ein Weilchen in der Morgen¬<lb/> daͤmmerung durch die Wildniß umherſpaziert war, er¬<lb/> blickte ich auf der Teraſſe unter mir einen langen<lb/> ſchmalen blaſſen Juͤngling in einem langen braunen<lb/> Kaputrock, der mit verſchraͤnkten Armen und großen<lb/> Schritten auf und ab ging. Er that als ſaͤhe er mich<lb/> nicht, ſetzte ſich bald darauf auf eine ſteinerne Bank<lb/> hin, zog ein Buch aus der Taſche, las ſehr laut, als<lb/> wenn er predigte, ſah dabei zuweilen zum Himmel,<lb/> und ſtuͤtzte dann den Kopf ganz melankoliſch auf die<lb/> rechte Hand. Ich ſah ihm lange zu, endlich wurde ich<lb/> doch neugierig, warum er denn eigentlich ſo abſonder¬<lb/> liche Grimaſſen machte, und ging ſchnell auf ihn zu.<lb/> Er hatte eben einen tiefen Seufzer ausgeſtoßen und<lb/> ſprang erſchrocken auf, als ich ankam. Er war voller<lb/> Verlegenheit, ich auch, wir wußten beide nicht, was<lb/> wir ſprechen ſollten, und machten immerfort Compli¬<lb/> mente voreinander, bis er endlich mit langen Schrit¬<lb/> ten in das Gebuͤſch Reißaus nahm. Unterdeß war<lb/> die Sonne uͤber dem Walde aufgegangen, ich ſprang<lb/> auf die Bank hinauf und ſtrich vor Luſt meine Geige,<lb/> daß es weit in die ſtillen Thaͤler herunter ſchallte. Die<lb/> Alte mit dem Schluͤſſelbunde, die mich ſchon aͤngſtlich<lb/> im ganzen Schloſſe zum Fruͤhſtuͤck aufgeſucht hatte, er¬<lb/> ſchien nun auf der Terraſſe uͤber mir, und verwun¬<lb/> derte ſich, daß ich ſo artig auf der Geige ſpielen konnte.<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [69/0079]
ſchen den alten hohen Baͤumen hindurch aber war
uͤberall eine weite, einſame Ausſicht, eine Bergkoppe
hinter der andern, ſo weit das Auge reichte.
Nachdem ich ſo ein Weilchen in der Morgen¬
daͤmmerung durch die Wildniß umherſpaziert war, er¬
blickte ich auf der Teraſſe unter mir einen langen
ſchmalen blaſſen Juͤngling in einem langen braunen
Kaputrock, der mit verſchraͤnkten Armen und großen
Schritten auf und ab ging. Er that als ſaͤhe er mich
nicht, ſetzte ſich bald darauf auf eine ſteinerne Bank
hin, zog ein Buch aus der Taſche, las ſehr laut, als
wenn er predigte, ſah dabei zuweilen zum Himmel,
und ſtuͤtzte dann den Kopf ganz melankoliſch auf die
rechte Hand. Ich ſah ihm lange zu, endlich wurde ich
doch neugierig, warum er denn eigentlich ſo abſonder¬
liche Grimaſſen machte, und ging ſchnell auf ihn zu.
Er hatte eben einen tiefen Seufzer ausgeſtoßen und
ſprang erſchrocken auf, als ich ankam. Er war voller
Verlegenheit, ich auch, wir wußten beide nicht, was
wir ſprechen ſollten, und machten immerfort Compli¬
mente voreinander, bis er endlich mit langen Schrit¬
ten in das Gebuͤſch Reißaus nahm. Unterdeß war
die Sonne uͤber dem Walde aufgegangen, ich ſprang
auf die Bank hinauf und ſtrich vor Luſt meine Geige,
daß es weit in die ſtillen Thaͤler herunter ſchallte. Die
Alte mit dem Schluͤſſelbunde, die mich ſchon aͤngſtlich
im ganzen Schloſſe zum Fruͤhſtuͤck aufgeſucht hatte, er¬
ſchien nun auf der Terraſſe uͤber mir, und verwun¬
derte ſich, daß ich ſo artig auf der Geige ſpielen konnte.
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