"Wasser soll ich saufen, wie ein elender Fisch? ist das Nächstenliebe? Bin ich nicht ein Mensch und ein aus¬ gelernter Feldscheer? Ach, ich bin heute so in der Rage! Mein Herz ist voller Rührung und Menschen¬ liebe!" Bei diesen Worten zog er sich nach und nach zurück, da im Hause alles still blieb. Als er mich er¬ blickte, kam er mit ausgebreiteten Armen auf mich los, ich glaube der tolle Kerl wollte mich ambrasiren. Ich sprang aber auf die Seite, und so stolperte er weiter, und ich hörte ihn noch lange, bald grob bald fein, durch die Finsterniß mit sich diskuriren.
Mir aber ging mancherlei im Kopfe herum. Die Jungfer, die mir vorhin die Rose geschenkt hatte, war jung, schön und reich -- ich konnte da mein Glück machen, eh' man die Hand umkehrte. Und Hammel und Schweine, Puter und fette Gänse mit Aepfeln ge¬ stopft -- ja, es war mir nicht anders, als säh' ich den Portier auf mich zukommen: "Greif zu, Einnehmer, greif zu! jung gefreit hat Niemand gereut, wer's Glück hat, führt die Braut heim, bleibe im Lande und nähre Dich tüchtig." In solchen philosophischen Gedanken setzte ich mich auf dem Platze, der nun ganz einsam war, auf einen Stein nieder, denn an das Wirthshaus anzuklopfen traute ich mich nicht, weil ich kein Geld bei mir hatte. Der Mond schien prächtig, von den Bergen rauschten die Wälder durch die stille Nacht herüber, manchmal schlugen im Dorfe die Hunde an, das weiter im Thale unter Bäumen und Mondschein wie begraben lag. Ich betrachtete das Firmament, wie
„Waſſer ſoll ich ſaufen, wie ein elender Fiſch? iſt das Naͤchſtenliebe? Bin ich nicht ein Menſch und ein aus¬ gelernter Feldſcheer? Ach, ich bin heute ſo in der Rage! Mein Herz iſt voller Ruͤhrung und Menſchen¬ liebe!“ Bei dieſen Worten zog er ſich nach und nach zuruͤck, da im Hauſe alles ſtill blieb. Als er mich er¬ blickte, kam er mit ausgebreiteten Armen auf mich los, ich glaube der tolle Kerl wollte mich ambraſiren. Ich ſprang aber auf die Seite, und ſo ſtolperte er weiter, und ich hoͤrte ihn noch lange, bald grob bald fein, durch die Finſterniß mit ſich diskuriren.
Mir aber ging mancherlei im Kopfe herum. Die Jungfer, die mir vorhin die Roſe geſchenkt hatte, war jung, ſchoͤn und reich — ich konnte da mein Gluͤck machen, eh' man die Hand umkehrte. Und Hammel und Schweine, Puter und fette Gaͤnſe mit Aepfeln ge¬ ſtopft — ja, es war mir nicht anders, als ſaͤh' ich den Portier auf mich zukommen: „Greif zu, Einnehmer, greif zu! jung gefreit hat Niemand gereut, wer's Gluͤck hat, fuͤhrt die Braut heim, bleibe im Lande und naͤhre Dich tuͤchtig.“ In ſolchen philoſophiſchen Gedanken ſetzte ich mich auf dem Platze, der nun ganz einſam war, auf einen Stein nieder, denn an das Wirthshaus anzuklopfen traute ich mich nicht, weil ich kein Geld bei mir hatte. Der Mond ſchien praͤchtig, von den Bergen rauſchten die Waͤlder durch die ſtille Nacht heruͤber, manchmal ſchlugen im Dorfe die Hunde an, das weiter im Thale unter Baͤumen und Mondſchein wie begraben lag. Ich betrachtete das Firmament, wie
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„Waſſer ſoll ich ſaufen, wie ein elender Fiſch? iſt das
Naͤchſtenliebe? Bin ich nicht ein Menſch und ein aus¬
gelernter Feldſcheer? Ach, ich bin heute ſo in der
Rage! Mein Herz iſt voller Ruͤhrung und Menſchen¬
liebe!“ Bei dieſen Worten zog er ſich nach und nach
zuruͤck, da im Hauſe alles ſtill blieb. Als er mich er¬
blickte, kam er mit ausgebreiteten Armen auf mich los,
ich glaube der tolle Kerl wollte mich ambraſiren. Ich
ſprang aber auf die Seite, und ſo ſtolperte er weiter,
und ich hoͤrte ihn noch lange, bald grob bald fein,
durch die Finſterniß mit ſich diskuriren.
Mir aber ging mancherlei im Kopfe herum. Die
Jungfer, die mir vorhin die Roſe geſchenkt hatte, war
jung, ſchoͤn und reich — ich konnte da mein Gluͤck
machen, eh' man die Hand umkehrte. Und Hammel
und Schweine, Puter und fette Gaͤnſe mit Aepfeln ge¬
ſtopft — ja, es war mir nicht anders, als ſaͤh' ich den
Portier auf mich zukommen: „Greif zu, Einnehmer,
greif zu! jung gefreit hat Niemand gereut, wer's Gluͤck
hat, fuͤhrt die Braut heim, bleibe im Lande und naͤhre
Dich tuͤchtig.“ In ſolchen philoſophiſchen Gedanken
ſetzte ich mich auf dem Platze, der nun ganz einſam
war, auf einen Stein nieder, denn an das Wirthshaus
anzuklopfen traute ich mich nicht, weil ich kein Geld
bei mir hatte. Der Mond ſchien praͤchtig, von den
Bergen rauſchten die Waͤlder durch die ſtille Nacht
heruͤber, manchmal ſchlugen im Dorfe die Hunde an,
das weiter im Thale unter Baͤumen und Mondſchein
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 44. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/54>, abgerufen am 23.07.2024.
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