einmal nicht anders, das haben wir Virtuosen alle so an uns." -- "Ach so!" entgegnete das Mädchen. Sie wollte noch etwas mehr sagen, aber da entstand auf einmal ein entsetzliches Gepolter im Wirthshause, die Hausthüre ging mit großem Gekrache auf und ein dünner Kerl kam wie ein ausgeschoßner Ladstock her¬ ausgeflogen, worauf die Thür sogleich wieder hinter ihm zugeschlagen wurde.
Das Mädchen war bei dem ersten Geräusch wie ein Reh davon gesprungen und im Dunkel verschwun¬ den. Die Figur vor der Thür aber raffte sich hurtig wieder vom Boden auf und fing nun an mit solcher Geschwindigkeit gegen das Haus loszuschimpfen, daß es ordentlich zum Erstaunen war. "Was!" schrie er, "ich besoffen? ich die Kreidestriche an der verräucherten Thür nicht bezahlen? Löscht sie aus, löscht sie aus! Hab' ich Euch nicht erst gestern über'n Kochlöffel balbirt und in die Nase geschnitten, daß Ihr mir den Löffel morsch entzwei gebissen habt? Balbieren macht einen Strich -- Kochlöffel, wieder ein Strich -- Pflaster auf die Nase, noch ein Strich -- wieviel solche hundsföttische Stri¬ che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut, schon gut! ich lasse das ganze Dorf, die ganze Welt ungeschoren. Lauf't meinetwegen mit Euren Bärten, daß der liebe Gott am jüngsten Tage nicht weiß, ob Ihr Juden seid oder Christen! Ja, hängt Euch an Euren eignen Bärten auf, Ihr zottigen Landbären!" Hier brach er auf einmal in ein jämmerliches Weinen aus und fuhr ganz erbärmlich durch die Fistel fort:
einmal nicht anders, das haben wir Virtuoſen alle ſo an uns.“ — „Ach ſo!“ entgegnete das Maͤdchen. Sie wollte noch etwas mehr ſagen, aber da entſtand auf einmal ein entſetzliches Gepolter im Wirthshauſe, die Hausthuͤre ging mit großem Gekrache auf und ein duͤnner Kerl kam wie ein ausgeſchoßner Ladſtock her¬ ausgeflogen, worauf die Thuͤr ſogleich wieder hinter ihm zugeſchlagen wurde.
Das Maͤdchen war bei dem erſten Geraͤuſch wie ein Reh davon geſprungen und im Dunkel verſchwun¬ den. Die Figur vor der Thuͤr aber raffte ſich hurtig wieder vom Boden auf und fing nun an mit ſolcher Geſchwindigkeit gegen das Haus loszuſchimpfen, daß es ordentlich zum Erſtaunen war. „Was!“ ſchrie er, „ich beſoffen? ich die Kreideſtriche an der verraͤucherten Thuͤr nicht bezahlen? Loͤſcht ſie aus, loͤſcht ſie aus! Hab' ich Euch nicht erſt geſtern uͤber'n Kochloͤffel balbirt und in die Naſe geſchnitten, daß Ihr mir den Loͤffel morſch entzwei gebiſſen habt? Balbieren macht einen Strich — Kochloͤffel, wieder ein Strich — Pflaſter auf die Naſe, noch ein Strich — wieviel ſolche hundsfoͤttiſche Stri¬ che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut, ſchon gut! ich laſſe das ganze Dorf, die ganze Welt ungeſchoren. Lauf't meinetwegen mit Euren Baͤrten, daß der liebe Gott am juͤngſten Tage nicht weiß, ob Ihr Juden ſeid oder Chriſten! Ja, haͤngt Euch an Euren eignen Baͤrten auf, Ihr zottigen Landbaͤren!“ Hier brach er auf einmal in ein jaͤmmerliches Weinen aus und fuhr ganz erbaͤrmlich durch die Fiſtel fort:
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einmal nicht anders, das haben wir Virtuoſen alle ſo
an uns.“ — „Ach ſo!“ entgegnete das Maͤdchen. Sie
wollte noch etwas mehr ſagen, aber da entſtand auf
einmal ein entſetzliches Gepolter im Wirthshauſe, die
Hausthuͤre ging mit großem Gekrache auf und ein
duͤnner Kerl kam wie ein ausgeſchoßner Ladſtock her¬
ausgeflogen, worauf die Thuͤr ſogleich wieder hinter
ihm zugeſchlagen wurde.
Das Maͤdchen war bei dem erſten Geraͤuſch wie
ein Reh davon geſprungen und im Dunkel verſchwun¬
den. Die Figur vor der Thuͤr aber raffte ſich hurtig
wieder vom Boden auf und fing nun an mit ſolcher
Geſchwindigkeit gegen das Haus loszuſchimpfen, daß es
ordentlich zum Erſtaunen war. „Was!“ ſchrie er, „ich
beſoffen? ich die Kreideſtriche an der verraͤucherten Thuͤr
nicht bezahlen? Loͤſcht ſie aus, loͤſcht ſie aus! Hab' ich
Euch nicht erſt geſtern uͤber'n Kochloͤffel balbirt und
in die Naſe geſchnitten, daß Ihr mir den Loͤffel morſch
entzwei gebiſſen habt? Balbieren macht einen Strich —
Kochloͤffel, wieder ein Strich — Pflaſter auf die Naſe,
noch ein Strich — wieviel ſolche hundsfoͤttiſche Stri¬
che wollt Ihr denn noch bezahlt haben? Aber gut,
ſchon gut! ich laſſe das ganze Dorf, die ganze Welt
ungeſchoren. Lauf't meinetwegen mit Euren Baͤrten,
daß der liebe Gott am juͤngſten Tage nicht weiß, ob
Ihr Juden ſeid oder Chriſten! Ja, haͤngt Euch an
Euren eignen Baͤrten auf, Ihr zottigen Landbaͤren!“
Hier brach er auf einmal in ein jaͤmmerliches Weinen
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/53>, abgerufen am 23.07.2024.
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