den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behag¬ lich unter einem Apfelbaum ins Gras, denn von dem gestrigen Nachtlager auf dem Baume thaten mir noch alle Glieder weh. Da konnte man weit in's Land hin¬ aussehen, und da es Sonntag war, so kamen bis aus der weitesten Ferne Glockenklänge über die stillen Fel¬ der herüber und geputzte Landleute zogen überall zwi¬ schen Wiesen und Büschen nach der Kirche. Ich war recht fröhlich im Herzen, die Vögel sangen über mir im Baume, ich dachte an meine Mühle und an den Garten der schönen gnädigen Frau, und wie das alles nun so weit weit lag -- bis ich zuletzt einschlummerte. Da träumte mir, als käme die schöne Fraue aus der prächtigen Gegend unten zu mir gegangen oder eigent¬ lich langsam geflogen zwischen den Glockenklängen, mit langen weißen Schleiern, die im Morgenrothe wehten. Dann war es wieder, als wären wir gar nicht in der Fremde, sondern bei meinem Dorfe an der Mühle in den tiefen Schatten. Aber da war alles still und leer, wie wenn die Leute Sonntag in der Kirche sind und nur der Orgelklang durch die Bäume her¬ über kommt, daß es mir recht im Herzen weh that. Die schöne Frau aber war sehr gut und freundlich, sie hielt mich an der Hand und ging mit mir, und sang in einemfort in dieser Einsamkeit das schöne Lied, das sie damals immer frühmorgens am offenen Fenster zur Guitarre gesungen hat, und ich sah dabei ihr Bild in dem stillen Weiher, noch viel tausendmal schöner, aber mit sonderbaren großen Augen, die mich so starr ansa¬
den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behag¬ lich unter einem Apfelbaum ins Gras, denn von dem geſtrigen Nachtlager auf dem Baume thaten mir noch alle Glieder weh. Da konnte man weit in's Land hin¬ ausſehen, und da es Sonntag war, ſo kamen bis aus der weiteſten Ferne Glockenklaͤnge uͤber die ſtillen Fel¬ der heruͤber und geputzte Landleute zogen uͤberall zwi¬ ſchen Wieſen und Buͤſchen nach der Kirche. Ich war recht froͤhlich im Herzen, die Voͤgel ſangen uͤber mir im Baume, ich dachte an meine Muͤhle und an den Garten der ſchoͤnen gnaͤdigen Frau, und wie das alles nun ſo weit weit lag — bis ich zuletzt einſchlummerte. Da traͤumte mir, als kaͤme die ſchoͤne Fraue aus der praͤchtigen Gegend unten zu mir gegangen oder eigent¬ lich langſam geflogen zwiſchen den Glockenklaͤngen, mit langen weißen Schleiern, die im Morgenrothe wehten. Dann war es wieder, als waͤren wir gar nicht in der Fremde, ſondern bei meinem Dorfe an der Muͤhle in den tiefen Schatten. Aber da war alles ſtill und leer, wie wenn die Leute Sonntag in der Kirche ſind und nur der Orgelklang durch die Baͤume her¬ uͤber kommt, daß es mir recht im Herzen weh that. Die ſchoͤne Frau aber war ſehr gut und freundlich, ſie hielt mich an der Hand und ging mit mir, und ſang in einemfort in dieſer Einſamkeit das ſchoͤne Lied, das ſie damals immer fruͤhmorgens am offenen Fenſter zur Guitarre geſungen hat, und ich ſah dabei ihr Bild in dem ſtillen Weiher, noch viel tauſendmal ſchoͤner, aber mit ſonderbaren großen Augen, die mich ſo ſtarr anſa¬
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den niedrigen Gartenzaun und legte mich recht behag¬
lich unter einem Apfelbaum ins Gras, denn von dem
geſtrigen Nachtlager auf dem Baume thaten mir noch
alle Glieder weh. Da konnte man weit in's Land hin¬
ausſehen, und da es Sonntag war, ſo kamen bis aus
der weiteſten Ferne Glockenklaͤnge uͤber die ſtillen Fel¬
der heruͤber und geputzte Landleute zogen uͤberall zwi¬
ſchen Wieſen und Buͤſchen nach der Kirche. Ich war
recht froͤhlich im Herzen, die Voͤgel ſangen uͤber mir
im Baume, ich dachte an meine Muͤhle und an den
Garten der ſchoͤnen gnaͤdigen Frau, und wie das alles
nun ſo weit weit lag — bis ich zuletzt einſchlummerte.
Da traͤumte mir, als kaͤme die ſchoͤne Fraue aus der
praͤchtigen Gegend unten zu mir gegangen oder eigent¬
lich langſam geflogen zwiſchen den Glockenklaͤngen,
mit langen weißen Schleiern, die im Morgenrothe
wehten. Dann war es wieder, als waͤren wir gar nicht
in der Fremde, ſondern bei meinem Dorfe an der
Muͤhle in den tiefen Schatten. Aber da war alles ſtill
und leer, wie wenn die Leute Sonntag in der Kirche
ſind und nur der Orgelklang durch die Baͤume her¬
uͤber kommt, daß es mir recht im Herzen weh that.
Die ſchoͤne Frau aber war ſehr gut und freundlich, ſie
hielt mich an der Hand und ging mit mir, und ſang
in einemfort in dieſer Einſamkeit das ſchoͤne Lied, das
ſie damals immer fruͤhmorgens am offenen Fenſter zur
Guitarre geſungen hat, und ich ſah dabei ihr Bild in
dem ſtillen Weiher, noch viel tauſendmal ſchoͤner, aber
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/46>, abgerufen am 23.07.2024.
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