sonst wohl einmal gesehen, oder im Schatten liegend an Sie gedacht hatte.
In und um mein Häuschen sah alles noch so aus, wie ich es gestern verlassen hatte. Das Gärtchen war geplündert und wüst, im Zimmer drin lag noch das große Rechnungsbuch aufgeschlagen, meine Geige, die ich schon fast ganz vergessen hatte, hing verstaubt an der Wand. Ein Morgenstrahl aber, aus dem gegenüber¬ stehenden Fenster, fuhr grade blitzend über die Saiten. Das gab einen rechten Klang in meinem Herzen. Ja, sagt' ich, komm nur her, Du getreues Instrument! Unser Reich ist nicht von dieser Welt! --
Und so nahm ich die Geige von der Wand, ließ Rechnungsbuch, Schlafrock, Pantoffeln, Pfeifen und Parasol liegen und wanderte, arm wie ich gekommen war, aus meinem Häuschen und auf der glänzenden Landstraße von dannen.
Ich blickte noch oft zurück; mir war gar seltsam zu Muthe, so traurig und doch auch wieder so über¬ aus fröhlich, wie ein Vogel, der aus seinem Käfig aus¬ reißt. Und als ich schon eine weite Strecke gegangen war, nahm ich draußen im Freien meine Geige vor und sang:
Den lieben Gott laß ich nur walten; Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld Und Erd' und Himmel thut erhalten, Hat auch mein Sach' auf's Best' bestellt!
Das Schloß, der Garten und die Thürme von Wien waren schon hinter mir im Morgenduft versun¬
C
ſonſt wohl einmal geſehen, oder im Schatten liegend an Sie gedacht hatte.
In und um mein Haͤuschen ſah alles noch ſo aus, wie ich es geſtern verlaſſen hatte. Das Gaͤrtchen war gepluͤndert und wuͤſt, im Zimmer drin lag noch das große Rechnungsbuch aufgeſchlagen, meine Geige, die ich ſchon faſt ganz vergeſſen hatte, hing verſtaubt an der Wand. Ein Morgenſtrahl aber, aus dem gegenuͤber¬ ſtehenden Fenſter, fuhr grade blitzend uͤber die Saiten. Das gab einen rechten Klang in meinem Herzen. Ja, ſagt' ich, komm nur her, Du getreues Inſtrument! Unſer Reich iſt nicht von dieſer Welt! —
Und ſo nahm ich die Geige von der Wand, ließ Rechnungsbuch, Schlafrock, Pantoffeln, Pfeifen und Paraſol liegen und wanderte, arm wie ich gekommen war, aus meinem Haͤuschen und auf der glaͤnzenden Landſtraße von dannen.
Ich blickte noch oft zuruͤck; mir war gar ſeltſam zu Muthe, ſo traurig und doch auch wieder ſo uͤber¬ aus froͤhlich, wie ein Vogel, der aus ſeinem Kaͤfig aus¬ reißt. Und als ich ſchon eine weite Strecke gegangen war, nahm ich draußen im Freien meine Geige vor und ſang:
Den lieben Gott laß ich nur walten; Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld Und Erd' und Himmel thut erhalten, Hat auch mein Sach' auf's Beſt' beſtellt!
Das Schloß, der Garten und die Thuͤrme von Wien waren ſchon hinter mir im Morgenduft verſun¬
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ſonſt wohl einmal geſehen, oder im Schatten liegend
an Sie gedacht hatte.
In und um mein Haͤuschen ſah alles noch ſo aus,
wie ich es geſtern verlaſſen hatte. Das Gaͤrtchen war
gepluͤndert und wuͤſt, im Zimmer drin lag noch das
große Rechnungsbuch aufgeſchlagen, meine Geige, die
ich ſchon faſt ganz vergeſſen hatte, hing verſtaubt an
der Wand. Ein Morgenſtrahl aber, aus dem gegenuͤber¬
ſtehenden Fenſter, fuhr grade blitzend uͤber die Saiten.
Das gab einen rechten Klang in meinem Herzen. Ja,
ſagt' ich, komm nur her, Du getreues Inſtrument!
Unſer Reich iſt nicht von dieſer Welt! —
Und ſo nahm ich die Geige von der Wand, ließ
Rechnungsbuch, Schlafrock, Pantoffeln, Pfeifen und
Paraſol liegen und wanderte, arm wie ich gekommen
war, aus meinem Haͤuschen und auf der glaͤnzenden
Landſtraße von dannen.
Ich blickte noch oft zuruͤck; mir war gar ſeltſam
zu Muthe, ſo traurig und doch auch wieder ſo uͤber¬
aus froͤhlich, wie ein Vogel, der aus ſeinem Kaͤfig aus¬
reißt. Und als ich ſchon eine weite Strecke gegangen
war, nahm ich draußen im Freien meine Geige vor
und ſang:
Den lieben Gott laß ich nur walten;
Der Bächlein, Lerchen, Wald und Feld
Und Erd' und Himmel thut erhalten,
Hat auch mein Sach' auf's Beſt' beſtellt!
Das Schloß, der Garten und die Thuͤrme von
Wien waren ſchon hinter mir im Morgenduft verſun¬
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/43>, abgerufen am 24.07.2024.
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