ner schönen Frau zu erkennen meinte, obgleich ich we¬ gen des dichten Gebüsches Niemand sehen konnte. Da band ich denn alle Tage einen Strauß von den schön¬ sten Blumen die ich hatte, stieg jeden Abend, wenn es dunkel wurde, über die Mauer, und legte ihn auf ei¬ nen steinernen Tisch hin, der dort inmitten einer Lau¬ be stand; und jeden Abend wenn ich den neuen Strauß brachte, war der alte von dem Tische fort.
Eines Abends war die Herrschaft auf die Jagd geritten; die Sonne ging eben unter und bedeckte das ganze Land mit Glanz und Schimmer, die Donau schlängelte sich prächtig wie von lauter Gold und Feuer in die weite Ferne, von allen Bergen bis tief ins Land hinein sangen und jauchzten die Winzer. Ich saß mit dem Portier auf dem Bänkchen vor meinem Hause, und freute mich in der lauen Luft, und wie der lustige Tag so langsam vor uns verdunkelte und verhallte. Da ließen sich auf einmal die Hörner der zurückkehrenden Jäger von Ferne vernehmen, die von den Bergen gegenüber einander von Zeit zu Zeit lieb¬ lich Antwort gaben. Ich war recht im innersten Her¬ zen vergnügt und sprang auf und rief wie bezaubert und verzückt vor Lust: "Nein, das ist mir doch ein Metier, die edle Jägerei!" Der Portier aber klopfte sich ruhig die Pfeife aus und sagte: "Das denkt Ihr Euch just so. Ich habe es auch mitgemacht, man ver¬ dient sich kaum die Sohlen, die man sich abläuft; und Husten und Schnupfen wird man erst gar nicht los, das kommt von den ewig nassen Füßen." -- Ich weiß
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ner ſchoͤnen Frau zu erkennen meinte, obgleich ich we¬ gen des dichten Gebuͤſches Niemand ſehen konnte. Da band ich denn alle Tage einen Strauß von den ſchoͤn¬ ſten Blumen die ich hatte, ſtieg jeden Abend, wenn es dunkel wurde, uͤber die Mauer, und legte ihn auf ei¬ nen ſteinernen Tiſch hin, der dort inmitten einer Lau¬ be ſtand; und jeden Abend wenn ich den neuen Strauß brachte, war der alte von dem Tiſche fort.
Eines Abends war die Herrſchaft auf die Jagd geritten; die Sonne ging eben unter und bedeckte das ganze Land mit Glanz und Schimmer, die Donau ſchlaͤngelte ſich praͤchtig wie von lauter Gold und Feuer in die weite Ferne, von allen Bergen bis tief ins Land hinein ſangen und jauchzten die Winzer. Ich ſaß mit dem Portier auf dem Baͤnkchen vor meinem Hauſe, und freute mich in der lauen Luft, und wie der luſtige Tag ſo langſam vor uns verdunkelte und verhallte. Da ließen ſich auf einmal die Hoͤrner der zuruͤckkehrenden Jaͤger von Ferne vernehmen, die von den Bergen gegenuͤber einander von Zeit zu Zeit lieb¬ lich Antwort gaben. Ich war recht im innerſten Her¬ zen vergnuͤgt und ſprang auf und rief wie bezaubert und verzuͤckt vor Luſt: „Nein, das iſt mir doch ein Metier, die edle Jaͤgerei!“ Der Portier aber klopfte ſich ruhig die Pfeife aus und ſagte: „Das denkt Ihr Euch juſt ſo. Ich habe es auch mitgemacht, man ver¬ dient ſich kaum die Sohlen, die man ſich ablaͤuft; und Huſten und Schnupfen wird man erſt gar nicht los, das kommt von den ewig naſſen Fuͤßen.“ — Ich weiß
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ner ſchoͤnen Frau zu erkennen meinte, obgleich ich we¬
gen des dichten Gebuͤſches Niemand ſehen konnte. Da
band ich denn alle Tage einen Strauß von den ſchoͤn¬
ſten Blumen die ich hatte, ſtieg jeden Abend, wenn es
dunkel wurde, uͤber die Mauer, und legte ihn auf ei¬
nen ſteinernen Tiſch hin, der dort inmitten einer Lau¬
be ſtand; und jeden Abend wenn ich den neuen Strauß
brachte, war der alte von dem Tiſche fort.
Eines Abends war die Herrſchaft auf die Jagd
geritten; die Sonne ging eben unter und bedeckte das
ganze Land mit Glanz und Schimmer, die Donau
ſchlaͤngelte ſich praͤchtig wie von lauter Gold und
Feuer in die weite Ferne, von allen Bergen bis tief
ins Land hinein ſangen und jauchzten die Winzer. Ich
ſaß mit dem Portier auf dem Baͤnkchen vor meinem
Hauſe, und freute mich in der lauen Luft, und wie
der luſtige Tag ſo langſam vor uns verdunkelte und
verhallte. Da ließen ſich auf einmal die Hoͤrner der
zuruͤckkehrenden Jaͤger von Ferne vernehmen, die von
den Bergen gegenuͤber einander von Zeit zu Zeit lieb¬
lich Antwort gaben. Ich war recht im innerſten Her¬
zen vergnuͤgt und ſprang auf und rief wie bezaubert
und verzuͤckt vor Luſt: „Nein, das iſt mir doch ein
Metier, die edle Jaͤgerei!“ Der Portier aber klopfte
ſich ruhig die Pfeife aus und ſagte: „Das denkt Ihr
Euch juſt ſo. Ich habe es auch mitgemacht, man ver¬
dient ſich kaum die Sohlen, die man ſich ablaͤuft; und
Huſten und Schnupfen wird man erſt gar nicht los,
das kommt von den ewig naſſen Fuͤßen.“ — Ich weiß
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/29>, abgerufen am 25.07.2024.
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