luft hinaus und sah den Fremden frisch und morgen¬ klar mit den großen, verwunderten Augen an. -- "Mein Gott ! wo bin ich denn so lange gewesen!" sagte Florio halb leise in sich, und floh eilig zurück durch das Thor und die noch leeren Gassen in die Herberge.
Hier verschloß er sich in sein Zimmer und versank ganz und gar in ein hinstarrendes Nachsinnen. Die unbeschreibliche Schönheit der Dame, wie sie so lang¬ sam vor ihm verblich, und die anmuthigen Augen un¬ tergingen, hatte in seinem tiefsten Herzen eine solche unendliche Wehmuth zurückgelassen, daß er sich unwi¬ derstehlich sehnte, hier zu sterben. --
In solchem unseligen Brüten und Träumen blieb er den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht hindurch.
Die früheste Morgendämmerung fand ihn schon zu Pferde vor den Thoren der Stadt. Das unermüd¬ liche Zureden seines getreuen Dieners hatte ihn endlich zu dem Entschlusse bewogen, diese Gegend gänzlich zu verlassen. Langsam und in sich gekehrt zog er nun die schöne Straße, die von Lucca in das Land hinaus¬ führte, zwischen den dunkelnden Bäumen, in denen die Vögel noch schliefen, dahin. Da gesellten sich, nicht gar fern der Stadt, noch drei andere Reiter zu ihm. Nicht ohne heimlichen Schauer erkannte er in dem Einen den Sänger Fortunato. Der Andere war Fräu¬ lein Bianka's Oheim, in dessen Landhause er an jenem verhängnißvollen Abende getanzt. Er wurde von einem
luft hinaus und ſah den Fremden friſch und morgen¬ klar mit den großen, verwunderten Augen an. — „Mein Gott ! wo bin ich denn ſo lange geweſen!“ ſagte Florio halb leiſe in ſich, und floh eilig zuruͤck durch das Thor und die noch leeren Gaſſen in die Herberge.
Hier verſchloß er ſich in ſein Zimmer und verſank ganz und gar in ein hinſtarrendes Nachſinnen. Die unbeſchreibliche Schoͤnheit der Dame, wie ſie ſo lang¬ ſam vor ihm verblich, und die anmuthigen Augen un¬ tergingen, hatte in ſeinem tiefſten Herzen eine ſolche unendliche Wehmuth zuruͤckgelaſſen, daß er ſich unwi¬ derſtehlich ſehnte, hier zu ſterben. —
In ſolchem unſeligen Bruͤten und Traͤumen blieb er den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht hindurch.
Die fruͤheſte Morgendaͤmmerung fand ihn ſchon zu Pferde vor den Thoren der Stadt. Das unermuͤd¬ liche Zureden ſeines getreuen Dieners hatte ihn endlich zu dem Entschluſſe bewogen, dieſe Gegend gaͤnzlich zu verlaſſen. Langſam und in ſich gekehrt zog er nun die ſchoͤne Straße, die von Lucca in das Land hinaus¬ fuͤhrte, zwiſchen den dunkelnden Baͤumen, in denen die Voͤgel noch ſchliefen, dahin. Da geſellten ſich, nicht gar fern der Stadt, noch drei andere Reiter zu ihm. Nicht ohne heimlichen Schauer erkannte er in dem Einen den Saͤnger Fortunato. Der Andere war Fraͤu¬ lein Bianka's Oheim, in deſſen Landhauſe er an jenem verhaͤngnißvollen Abende getanzt. Er wurde von einem
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0200"n="190"/>
luft hinaus und ſah den Fremden friſch und morgen¬<lb/>
klar mit den großen, verwunderten Augen an. —„Mein<lb/>
Gott ! wo bin ich denn ſo lange geweſen!“ſagte<lb/>
Florio halb leiſe in ſich, und floh eilig zuruͤck durch<lb/>
das Thor und die noch leeren Gaſſen in die Herberge.</p><lb/><p>Hier verſchloß er ſich in ſein Zimmer und verſank<lb/>
ganz und gar in ein hinſtarrendes Nachſinnen. Die<lb/>
unbeſchreibliche Schoͤnheit der Dame, wie ſie ſo lang¬<lb/>ſam vor ihm verblich, und die anmuthigen Augen un¬<lb/>
tergingen, hatte in ſeinem tiefſten Herzen eine ſolche<lb/>
unendliche Wehmuth zuruͤckgelaſſen, daß er ſich unwi¬<lb/>
derſtehlich ſehnte, hier zu ſterben. —</p><lb/><p>In ſolchem unſeligen Bruͤten und Traͤumen blieb<lb/>
er den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht<lb/>
hindurch.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><p>Die fruͤheſte Morgendaͤmmerung fand ihn ſchon<lb/>
zu Pferde vor den Thoren der Stadt. Das unermuͤd¬<lb/>
liche Zureden ſeines getreuen Dieners hatte ihn endlich<lb/>
zu dem Entschluſſe bewogen, dieſe Gegend gaͤnzlich zu<lb/>
verlaſſen. Langſam und in ſich gekehrt zog er nun die<lb/>ſchoͤne Straße, die von Lucca in das Land hinaus¬<lb/>
fuͤhrte, zwiſchen den dunkelnden Baͤumen, in denen die<lb/>
Voͤgel noch ſchliefen, dahin. Da geſellten ſich, nicht<lb/>
gar fern der Stadt, noch drei andere Reiter zu ihm.<lb/>
Nicht ohne heimlichen Schauer erkannte er in dem<lb/>
Einen den Saͤnger Fortunato. Der Andere war Fraͤu¬<lb/>
lein Bianka's Oheim, in deſſen Landhauſe er an jenem<lb/>
verhaͤngnißvollen Abende getanzt. Er wurde von einem<lb/></p></div></body></text></TEI>
[190/0200]
luft hinaus und ſah den Fremden friſch und morgen¬
klar mit den großen, verwunderten Augen an. — „Mein
Gott ! wo bin ich denn ſo lange geweſen!“ ſagte
Florio halb leiſe in ſich, und floh eilig zuruͤck durch
das Thor und die noch leeren Gaſſen in die Herberge.
Hier verſchloß er ſich in ſein Zimmer und verſank
ganz und gar in ein hinſtarrendes Nachſinnen. Die
unbeſchreibliche Schoͤnheit der Dame, wie ſie ſo lang¬
ſam vor ihm verblich, und die anmuthigen Augen un¬
tergingen, hatte in ſeinem tiefſten Herzen eine ſolche
unendliche Wehmuth zuruͤckgelaſſen, daß er ſich unwi¬
derſtehlich ſehnte, hier zu ſterben. —
In ſolchem unſeligen Bruͤten und Traͤumen blieb
er den ganzen Tag und die darauf folgende Nacht
hindurch.
Die fruͤheſte Morgendaͤmmerung fand ihn ſchon
zu Pferde vor den Thoren der Stadt. Das unermuͤd¬
liche Zureden ſeines getreuen Dieners hatte ihn endlich
zu dem Entschluſſe bewogen, dieſe Gegend gaͤnzlich zu
verlaſſen. Langſam und in ſich gekehrt zog er nun die
ſchoͤne Straße, die von Lucca in das Land hinaus¬
fuͤhrte, zwiſchen den dunkelnden Baͤumen, in denen die
Voͤgel noch ſchliefen, dahin. Da geſellten ſich, nicht
gar fern der Stadt, noch drei andere Reiter zu ihm.
Nicht ohne heimlichen Schauer erkannte er in dem
Einen den Saͤnger Fortunato. Der Andere war Fraͤu¬
lein Bianka's Oheim, in deſſen Landhauſe er an jenem
verhaͤngnißvollen Abende getanzt. Er wurde von einem
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/200>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.