Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬ Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬ Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬ Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬ Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0194" n="184"/> gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬<lb/> ſchoͤner Geſang. Es war ein altes frommes Lied, das<lb/> er in ſeiner Kindheit oft gehoͤrt und ſeitdem uͤber den<lb/> wechſelnden Bildern der Reiſe faſt vergeſſen hatte. Er<lb/> wurde ganz zerſtreut, denn es kam ihm zugleich vor,<lb/> als waͤre es Fortunato's Stimme. — „Kennt ihr den<lb/> Saͤnger?“ fragte er raſch die Dame. Dieſe ſchien or¬<lb/> deutlich erſchrocken und verneinte es verwirrt. Dann<lb/> ſaß ſie lange im ſtummen Nachſinnen da.</p><lb/> <p>Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬<lb/> derlichen Verzierungen des Gemaches genau zu be¬<lb/> trachten. Es war nur matt durch einige Kerzen er¬<lb/> leuchtet, die von zwei ungeheuern, aus der Wand <choice><sic>her¬<lb/> vorragendeu</sic><corr>her¬<lb/> vorragenden</corr></choice> Armen gehalten wurden. Hohe, auslaͤn¬<lb/> diſche Blumen, die in kuͤnſtlichen Kruͤgen umherſtan¬<lb/> den, verbreiteten einen berauſchenden Duft. Gegen¬<lb/> uͤber ſtand eine Reihe marmorner Bildſaͤulen, uͤber<lb/> deren reizende Formen die ſchwankenden Lichter luͤſtern<lb/> auf und nieder ſchweiften. Die uͤbrigen Waͤnde fuͤll¬<lb/> ten koͤſtliche Tapeten mit in Seide gewirkten lebens¬<lb/> großen Hiſtorien von ausnehmender Friſche.</p><lb/> <p>Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den<lb/> Damen, die er in dieſen letzteren Schildereien erblickte,<lb/> die ſchoͤne Herrin des Hauſes deutlich wieder zu er¬<lb/> kennen. Bald erſchien ſie, den Falken auf der Hand,<lb/> wie er ſie vorhin geſehen hatte, mit einem jungen Rit¬<lb/> ter auf die Jagd reitend, bald war ſie in einem praͤch¬<lb/> tigen Roſengarten vorgeſtellt, wie ein andrer ſchoͤner<lb/> Edelknabe auf den Knien zu ihren Fuͤßen lag.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [184/0194]
gann auf einmal draußen in dem Garten ein wunder¬
ſchoͤner Geſang. Es war ein altes frommes Lied, das
er in ſeiner Kindheit oft gehoͤrt und ſeitdem uͤber den
wechſelnden Bildern der Reiſe faſt vergeſſen hatte. Er
wurde ganz zerſtreut, denn es kam ihm zugleich vor,
als waͤre es Fortunato's Stimme. — „Kennt ihr den
Saͤnger?“ fragte er raſch die Dame. Dieſe ſchien or¬
deutlich erſchrocken und verneinte es verwirrt. Dann
ſaß ſie lange im ſtummen Nachſinnen da.
Florio hatte unterdeß Zeit und Freiheit, die wun¬
derlichen Verzierungen des Gemaches genau zu be¬
trachten. Es war nur matt durch einige Kerzen er¬
leuchtet, die von zwei ungeheuern, aus der Wand her¬
vorragenden Armen gehalten wurden. Hohe, auslaͤn¬
diſche Blumen, die in kuͤnſtlichen Kruͤgen umherſtan¬
den, verbreiteten einen berauſchenden Duft. Gegen¬
uͤber ſtand eine Reihe marmorner Bildſaͤulen, uͤber
deren reizende Formen die ſchwankenden Lichter luͤſtern
auf und nieder ſchweiften. Die uͤbrigen Waͤnde fuͤll¬
ten koͤſtliche Tapeten mit in Seide gewirkten lebens¬
großen Hiſtorien von ausnehmender Friſche.
Mit Verwunderung glaubte Florio, in allen den
Damen, die er in dieſen letzteren Schildereien erblickte,
die ſchoͤne Herrin des Hauſes deutlich wieder zu er¬
kennen. Bald erſchien ſie, den Falken auf der Hand,
wie er ſie vorhin geſehen hatte, mit einem jungen Rit¬
ter auf die Jagd reitend, bald war ſie in einem praͤch¬
tigen Roſengarten vorgeſtellt, wie ein andrer ſchoͤner
Edelknabe auf den Knien zu ihren Fuͤßen lag.
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