waren. Unter der Mauer auf zerschlagenen Marmor¬ steinen und Säulenknäufen, zwischen denen hohes Gras und Blumen üppig hervorschossen, lag ein schlafender Mann ausgestreckt. Erstaunt erkannte Florio den Ritter Donati. Aber seine Mienen schienen im Schlafe son¬ derbar verändert, er sah fast wie ein Todter aus. Ein heimlicher Schauer überlief Florio'n bei diesem Anblick. Er rüttelte den Schlafenden heftig. Donati schlug langsam die Augen auf und sein erster Blick war so fremd, stier und wild, daß sich Florio ordentlich vor ihm entsetzte. Dabei murmelte er noch zwischen Schlaf und Wachen einige dunkele Worte, die Florio nicht verstand. Als er sich endlich völlig ermuntert hatte, sprang er rasch auf und sah Florio, wie es schien, mit großem Erstaunen an. "Wo bin ich," rief dieser hastig, "wer ist die edle Herrin, die in diesem schönen Garten wohnt?" -- "Wie seyd Ihr," frug dagegen Donati sehr ernst, "in diesen Garten gekommen?" Florio erzählte kurz den Hergang, worüber der Ritter in ein tiefes Nachdenken versank. Der Jüngling wiederholte darauf dringend seine vorigen Fragen, und Donati sagte zerstreut: "Die Dame ist eine Verwandte von mir, reich und gewaltig, ihr Besitzthum ist weit im Lande verbreitet -- Ihr findet sie bald da, bald dort -- auch in der Stadt Lucca ist sie zuweilen." -- Florio fielen diese flüchtig hingeworfenen Worte seltsam auf's Herz, denn es wurde ihm nun immer deutlicher, was ihm vorher nur vorübergehend angeflogen, nähmlich, daß er die Dame schon einmal in früherer Jugend irgend¬
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waren. Unter der Mauer auf zerſchlagenen Marmor¬ ſteinen und Saͤulenknaͤufen, zwiſchen denen hohes Gras und Blumen uͤppig hervorſchoſſen, lag ein ſchlafender Mann ausgeſtreckt. Erſtaunt erkannte Florio den Ritter Donati. Aber ſeine Mienen ſchienen im Schlafe ſon¬ derbar veraͤndert, er ſah faſt wie ein Todter aus. Ein heimlicher Schauer uͤberlief Florio'n bei dieſem Anblick. Er ruͤttelte den Schlafenden heftig. Donati ſchlug langſam die Augen auf und ſein erſter Blick war ſo fremd, ſtier und wild, daß ſich Florio ordentlich vor ihm entſetzte. Dabei murmelte er noch zwiſchen Schlaf und Wachen einige dunkele Worte, die Florio nicht verſtand. Als er ſich endlich voͤllig ermuntert hatte, ſprang er raſch auf und ſah Florio, wie es ſchien, mit großem Erſtaunen an. „Wo bin ich,“ rief dieſer haſtig, „wer iſt die edle Herrin, die in dieſem ſchoͤnen Garten wohnt?“ — „Wie ſeyd Ihr,“ frug dagegen Donati ſehr ernſt, „in dieſen Garten gekommen?“ Florio erzaͤhlte kurz den Hergang, woruͤber der Ritter in ein tiefes Nachdenken verſank. Der Juͤngling wiederholte darauf dringend ſeine vorigen Fragen, und Donati ſagte zerſtreut: „Die Dame iſt eine Verwandte von mir, reich und gewaltig, ihr Beſitzthum iſt weit im Lande verbreitet — Ihr findet ſie bald da, bald dort — auch in der Stadt Lucca iſt ſie zuweilen.“ — Florio fielen dieſe fluͤchtig hingeworfenen Worte ſeltſam auf's Herz, denn es wurde ihm nun immer deutlicher, was ihm vorher nur voruͤbergehend angeflogen, naͤhmlich, daß er die Dame ſchon einmal in fruͤherer Jugend irgend¬
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waren. Unter der Mauer auf zerſchlagenen Marmor¬
ſteinen und Saͤulenknaͤufen, zwiſchen denen hohes Gras
und Blumen uͤppig hervorſchoſſen, lag ein ſchlafender
Mann ausgeſtreckt. Erſtaunt erkannte Florio den Ritter
Donati. Aber ſeine Mienen ſchienen im Schlafe ſon¬
derbar veraͤndert, er ſah faſt wie ein Todter aus. Ein
heimlicher Schauer uͤberlief Florio'n bei dieſem Anblick.
Er ruͤttelte den Schlafenden heftig. Donati ſchlug
langſam die Augen auf und ſein erſter Blick war ſo
fremd, ſtier und wild, daß ſich Florio ordentlich vor
ihm entſetzte. Dabei murmelte er noch zwiſchen Schlaf
und Wachen einige dunkele Worte, die Florio nicht
verſtand. Als er ſich endlich voͤllig ermuntert hatte, ſprang
er raſch auf und ſah Florio, wie es ſchien, mit großem
Erſtaunen an. „Wo bin ich,“ rief dieſer haſtig, „wer
iſt die edle Herrin, die in dieſem ſchoͤnen Garten
wohnt?“ — „Wie ſeyd Ihr,“ frug dagegen Donati
ſehr ernſt, „in dieſen Garten gekommen?“ Florio
erzaͤhlte kurz den Hergang, woruͤber der Ritter in ein
tiefes Nachdenken verſank. Der Juͤngling wiederholte
darauf dringend ſeine vorigen Fragen, und Donati ſagte
zerſtreut: „Die Dame iſt eine Verwandte von mir,
reich und gewaltig, ihr Beſitzthum iſt weit im Lande
verbreitet — Ihr findet ſie bald da, bald dort — auch
in der Stadt Lucca iſt ſie zuweilen.“ — Florio fielen
dieſe fluͤchtig hingeworfenen Worte ſeltſam auf's Herz,
denn es wurde ihm nun immer deutlicher, was ihm
vorher nur voruͤbergehend angeflogen, naͤhmlich, daß
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/173>, abgerufen am 28.07.2024.
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