Dagegen hatte ihn Fortunato durch seine Reden selt¬ sam verstört und verwirrt. Er wußte nun selbst nicht mehr, was er wollte, gleich einem Nachtwandler, der plötzlich bei seinem Namen gerufen wird. Sinnend blieb er oftmals vor der wunderreichen Aussicht in das Land hinab stehen, als wollte er das freudigkräftige Wal¬ ten da draußen um Auskunft fragen. Aber der Mor¬ gen spielte nur einzelne Zauberlichter wie durch die Bäume über ihm in sein träumerisch funkelndes Herz hinein, das noch in anderer Macht stand. Denn drin¬ nen zogen die Sterne noch immer fort ihre magischen Kreise, zwischen denen das wunderschöne Marmorbild mit neuer, unwiderstehlicher Gewalt heraufsah. -- So beschloß er denn endlich, den Weiher wieder aufzusu¬ chen, und schlug rasch denselben Pfad ein, den er in der Nacht gewandelt.
Wie sah aber dort nun alles so anders aus! Fröh¬ liche Menschen durchirrten geschäftig die Weinberge, Gärten und Alleen, Kinder spielten ruhig auf dem sonnigen Rasen vor den Hütten, die ihn in der Nacht unter den traumhaften Bäumen oft gleich eingeschla¬ fenen Sphinxen erschreckt hatten, der Mond stand fern und verblaßt am klaren Himmel, unzählige Vögel sangen lustig im Walde durcheinander. Er konnte gar nicht begreifen, wie ihn damals hier so seltsame Furcht über¬ fallen konnte.
Bald bemerkte er indeß, daß er in Gedanken den rechten Weg verfehlt. Er betrachtete aufmerksam alle Plätze und ging zweifelhaft bald zurück, bald wieder
Dagegen hatte ihn Fortunato durch ſeine Reden ſelt¬ ſam verſtoͤrt und verwirrt. Er wußte nun ſelbſt nicht mehr, was er wollte, gleich einem Nachtwandler, der ploͤtzlich bei ſeinem Namen gerufen wird. Sinnend blieb er oftmals vor der wunderreichen Ausſicht in das Land hinab ſtehen, als wollte er das freudigkraͤftige Wal¬ ten da draußen um Auskunft fragen. Aber der Mor¬ gen ſpielte nur einzelne Zauberlichter wie durch die Baͤume uͤber ihm in ſein traͤumeriſch funkelndes Herz hinein, das noch in anderer Macht ſtand. Denn drin¬ nen zogen die Sterne noch immer fort ihre magiſchen Kreiſe, zwiſchen denen das wunderſchoͤne Marmorbild mit neuer, unwiderſtehlicher Gewalt heraufſah. — So beſchloß er denn endlich, den Weiher wieder aufzuſu¬ chen, und ſchlug raſch denſelben Pfad ein, den er in der Nacht gewandelt.
Wie ſah aber dort nun alles ſo anders aus! Froͤh¬ liche Menſchen durchirrten geſchaͤftig die Weinberge, Gaͤrten und Alleen, Kinder ſpielten ruhig auf dem ſonnigen Raſen vor den Huͤtten, die ihn in der Nacht unter den traumhaften Baͤumen oft gleich eingeſchla¬ fenen Sphinxen erſchreckt hatten, der Mond ſtand fern und verblaßt am klaren Himmel, unzaͤhlige Voͤgel ſangen luſtig im Walde durcheinander. Er konnte gar nicht begreifen, wie ihn damals hier ſo ſeltſame Furcht uͤber¬ fallen konnte.
Bald bemerkte er indeß, daß er in Gedanken den rechten Weg verfehlt. Er betrachtete aufmerkſam alle Plaͤtze und ging zweifelhaft bald zuruͤck, bald wieder
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Dagegen hatte ihn Fortunato durch ſeine Reden ſelt¬
ſam verſtoͤrt und verwirrt. Er wußte nun ſelbſt nicht
mehr, was er wollte, gleich einem Nachtwandler, der
ploͤtzlich bei ſeinem Namen gerufen wird. Sinnend
blieb er oftmals vor der wunderreichen Ausſicht in das
Land hinab ſtehen, als wollte er das freudigkraͤftige Wal¬
ten da draußen um Auskunft fragen. Aber der Mor¬
gen ſpielte nur einzelne Zauberlichter wie durch die
Baͤume uͤber ihm in ſein traͤumeriſch funkelndes Herz
hinein, das noch in anderer Macht ſtand. Denn drin¬
nen zogen die Sterne noch immer fort ihre magiſchen
Kreiſe, zwiſchen denen das wunderſchoͤne Marmorbild
mit neuer, unwiderſtehlicher Gewalt heraufſah. — So
beſchloß er denn endlich, den Weiher wieder aufzuſu¬
chen, und ſchlug raſch denſelben Pfad ein, den er in
der Nacht gewandelt.
Wie ſah aber dort nun alles ſo anders aus! Froͤh¬
liche Menſchen durchirrten geſchaͤftig die Weinberge,
Gaͤrten und Alleen, Kinder ſpielten ruhig auf dem
ſonnigen Raſen vor den Huͤtten, die ihn in der Nacht
unter den traumhaften Baͤumen oft gleich eingeſchla¬
fenen Sphinxen erſchreckt hatten, der Mond ſtand fern
und verblaßt am klaren Himmel, unzaͤhlige Voͤgel ſangen
luſtig im Walde durcheinander. Er konnte gar nicht
begreifen, wie ihn damals hier ſo ſeltſame Furcht uͤber¬
fallen konnte.
Bald bemerkte er indeß, daß er in Gedanken den
rechten Weg verfehlt. Er betrachtete aufmerkſam alle
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/169>, abgerufen am 27.07.2024.
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