Bäumen die Thränen schüttelt und wogt und lärmt und singt. Der macht eben nicht sonderlich viel aus den sanften Empfindungen, sondern greift kühl an alle Glieder und lacht einem in's lange Gesicht, wenn man so preßhaft und noch ganz wie in Mondschein getaucht vor ihn hinaustritt." -- Florio schämte sich nun, den Sän¬ ger, wie er sich anfangs vorgenommen, etwas von dem schönen Venusbilde zu sagen, und schwieg betreten still. Sein Spaziergang in der Nacht war aber von dem Diener an der Hausthür bemerkt und wahrschein¬ lich verrathen worden, und Fortunato fuhr lachend fort: "Nun, wenn Ihr's nicht glaubt, versucht es nur einmal, und stellt Euch jetzt hierher und sagt zum Exempel: O schöne, holde Seele, o Mondschein, du Blüthenstaub zärtlicher Herzen u. s. w., ob das nicht recht zum Lachen wäre! Und doch wette ich, habt Ihr diese Nacht dergleichen oft gesagt und gewiß ordent¬ lich ernsthaft dabei ausgesehen. --"
Florio hatte sich Fortunato'n ehedem immer so still und sanftmüthig vorgestellt, nun verwundete ihn recht innerlichst die kecke Lustigkeit des geliebten Sän¬ gers. Er sagte hastig, und die Thränen traten ihm dabei in die seelenvollen Augen: "Ihr sprecht da sicher¬ lich anders, als Euch selber zu Muthe ist, und das solltet Ihr nimmermehr thun. Aber ich lasse mich von Euch nicht irre machen, es giebt noch sanfte und hohe Empfindungen, die wohl schamhaft sind, aber sich nicht zu schämen brauchen, und ein stilles Glück, das sich vor dem lauten Tage verschließt und nur dem
Baͤumen die Thraͤnen ſchuͤttelt und wogt und laͤrmt und ſingt. Der macht eben nicht ſonderlich viel aus den ſanften Empfindungen, ſondern greift kuͤhl an alle Glieder und lacht einem in's lange Geſicht, wenn man ſo preßhaft und noch ganz wie in Mondſchein getaucht vor ihn hinaustritt.“ — Florio ſchaͤmte ſich nun, den Saͤn¬ ger, wie er ſich anfangs vorgenommen, etwas von dem ſchoͤnen Venusbilde zu ſagen, und ſchwieg betreten ſtill. Sein Spaziergang in der Nacht war aber von dem Diener an der Hausthuͤr bemerkt und wahrſchein¬ lich verrathen worden, und Fortunato fuhr lachend fort: „Nun, wenn Ihr's nicht glaubt, verſucht es nur einmal, und ſtellt Euch jetzt hierher und ſagt zum Exempel: O ſchoͤne, holde Seele, o Mondſchein, du Bluͤthenſtaub zaͤrtlicher Herzen u. ſ. w., ob das nicht recht zum Lachen waͤre! Und doch wette ich, habt Ihr dieſe Nacht dergleichen oft geſagt und gewiß ordent¬ lich ernſthaft dabei ausgeſehen. —“
Florio hatte ſich Fortunato'n ehedem immer ſo ſtill und ſanftmuͤthig vorgeſtellt, nun verwundete ihn recht innerlichſt die kecke Luſtigkeit des geliebten Saͤn¬ gers. Er ſagte haſtig, und die Thraͤnen traten ihm dabei in die ſeelenvollen Augen: „Ihr ſprecht da ſicher¬ lich anders, als Euch ſelber zu Muthe iſt, und das ſolltet Ihr nimmermehr thun. Aber ich laſſe mich von Euch nicht irre machen, es giebt noch ſanfte und hohe Empfindungen, die wohl ſchamhaft ſind, aber ſich nicht zu ſchaͤmen brauchen, und ein ſtilles Gluͤck, das ſich vor dem lauten Tage verſchließt und nur dem
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Baͤumen die Thraͤnen ſchuͤttelt und wogt und laͤrmt
und ſingt. Der macht eben nicht ſonderlich viel aus
den ſanften Empfindungen, ſondern greift kuͤhl an alle
Glieder und lacht einem in's lange Geſicht, wenn man
ſo preßhaft und noch ganz wie in Mondſchein getaucht vor
ihn hinaustritt.“ — Florio ſchaͤmte ſich nun, den Saͤn¬
ger, wie er ſich anfangs vorgenommen, etwas von dem
ſchoͤnen Venusbilde zu ſagen, und ſchwieg betreten
ſtill. Sein Spaziergang in der Nacht war aber von
dem Diener an der Hausthuͤr bemerkt und wahrſchein¬
lich verrathen worden, und Fortunato fuhr lachend
fort: „Nun, wenn Ihr's nicht glaubt, verſucht es
nur einmal, und ſtellt Euch jetzt hierher und ſagt zum
Exempel: O ſchoͤne, holde Seele, o Mondſchein, du
Bluͤthenſtaub zaͤrtlicher Herzen u. ſ. w., ob das nicht
recht zum Lachen waͤre! Und doch wette ich, habt Ihr
dieſe Nacht dergleichen oft geſagt und gewiß ordent¬
lich ernſthaft dabei ausgeſehen. —“
Florio hatte ſich Fortunato'n ehedem immer ſo
ſtill und ſanftmuͤthig vorgeſtellt, nun verwundete ihn
recht innerlichſt die kecke Luſtigkeit des geliebten Saͤn¬
gers. Er ſagte haſtig, und die Thraͤnen traten ihm
dabei in die ſeelenvollen Augen: „Ihr ſprecht da ſicher¬
lich anders, als Euch ſelber zu Muthe iſt, und das
ſolltet Ihr nimmermehr thun. Aber ich laſſe mich
von Euch nicht irre machen, es giebt noch ſanfte und
hohe Empfindungen, die wohl ſchamhaft ſind, aber
ſich nicht zu ſchaͤmen brauchen, und ein ſtilles Gluͤck,
das ſich vor dem lauten Tage verſchließt und nur dem
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Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines T… [mehr]
Im Unterschied zur Novelle „Aus dem Leben eines Taugenichts“ erschien die Novelle „Das Marmorbild“ erstmalig 1819 im „Frauentaschenbuch für das Jahr 1819“ herausgegeben von Friedrich de La Motte-Fouqué.
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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 157. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/167>, abgerufen am 17.02.2025.
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