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Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826.

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trübe Wellen, das Venusbild, so fürchterlich weiß und re¬
gungslos, sah ihn fast schreckhaft mit den steinernen
Augenhöhlen aus der gränzenlosen Stille an. Ein nie
gefühltes Grausen überfiel da den Jüngling. Er ver¬
ließ schnell den Ort, und immer schneller und ohne
auszuruhen eilte er durch die Gärten und Weinberge
wieder fort, der ruhigen Stadt zu; denn auch das
Rauschen der Bäume kam ihm nun wie ein verstän¬
diges vernehmliches Geflüster vor, und die langen ge¬
spenstischen Pappeln schienen mit ihren weitgestreckten
Schatten hinter ihm drein zu langen.

So kam er sichtbar verstört in der Herberge an.
Da lag der Schlafende noch auf der Schwelle und
fuhr erschrocken auf, als Florio an ihm vorüberstreifte.
Florio aber schlug schnell die Thüre hinter sich zu und
athmete erst tief auf, als er oben sein Zimmer betrat.
Hier ging er noch lange auf und nieder, ehe er sich be¬
ruhigte. Dann warf er sich auf's Bett und schlummerte
endlich unter den seltsamsten Träumen ein.


Am folgenden Morgen saßen Florio und Fortunato
unter den hohen von der Morgensonne durchfunkelten
Bäumen vor der Herberge mit einander beim Früh¬
stück. Florio sah bläßer, als gewöhnlich, und ange¬
nehm überwacht aus. -- "Der Morgen," sagte For¬
tunato lustig, "ist ein recht kerngesunder, wildschöner
Gesell, wie er so von den höchsten Bergen in die schla¬
fende Welt hinunterjauchzt und von den Blumen und

truͤbe Wellen, das Venusbild, ſo fuͤrchterlich weiß und re¬
gungslos, ſah ihn faſt ſchreckhaft mit den ſteinernen
Augenhoͤhlen aus der graͤnzenloſen Stille an. Ein nie
gefuͤhltes Grauſen uͤberfiel da den Juͤngling. Er ver¬
ließ ſchnell den Ort, und immer ſchneller und ohne
auszuruhen eilte er durch die Gaͤrten und Weinberge
wieder fort, der ruhigen Stadt zu; denn auch das
Rauſchen der Baͤume kam ihm nun wie ein verſtaͤn¬
diges vernehmliches Gefluͤſter vor, und die langen ge¬
ſpenſtiſchen Pappeln ſchienen mit ihren weitgeſtreckten
Schatten hinter ihm drein zu langen.

So kam er ſichtbar verſtoͤrt in der Herberge an.
Da lag der Schlafende noch auf der Schwelle und
fuhr erſchrocken auf, als Florio an ihm voruͤberſtreifte.
Florio aber ſchlug ſchnell die Thuͤre hinter ſich zu und
athmete erſt tief auf, als er oben ſein Zimmer betrat.
Hier ging er noch lange auf und nieder, ehe er ſich be¬
ruhigte. Dann warf er ſich auf's Bett und ſchlummerte
endlich unter den ſeltſamſten Traͤumen ein.


Am folgenden Morgen ſaßen Florio und Fortunato
unter den hohen von der Morgenſonne durchfunkelten
Baͤumen vor der Herberge mit einander beim Fruͤh¬
ſtuͤck. Florio ſah blaͤßer, als gewoͤhnlich, und ange¬
nehm uͤberwacht aus. — „Der Morgen,“ ſagte For¬
tunato luſtig, „iſt ein recht kerngeſunder, wildſchoͤner
Geſell, wie er ſo von den hoͤchſten Bergen in die ſchla¬
fende Welt hinunterjauchzt und von den Blumen und

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[156/0166] truͤbe Wellen, das Venusbild, ſo fuͤrchterlich weiß und re¬ gungslos, ſah ihn faſt ſchreckhaft mit den ſteinernen Augenhoͤhlen aus der graͤnzenloſen Stille an. Ein nie gefuͤhltes Grauſen uͤberfiel da den Juͤngling. Er ver¬ ließ ſchnell den Ort, und immer ſchneller und ohne auszuruhen eilte er durch die Gaͤrten und Weinberge wieder fort, der ruhigen Stadt zu; denn auch das Rauſchen der Baͤume kam ihm nun wie ein verſtaͤn¬ diges vernehmliches Gefluͤſter vor, und die langen ge¬ ſpenſtiſchen Pappeln ſchienen mit ihren weitgeſtreckten Schatten hinter ihm drein zu langen. So kam er ſichtbar verſtoͤrt in der Herberge an. Da lag der Schlafende noch auf der Schwelle und fuhr erſchrocken auf, als Florio an ihm voruͤberſtreifte. Florio aber ſchlug ſchnell die Thuͤre hinter ſich zu und athmete erſt tief auf, als er oben ſein Zimmer betrat. Hier ging er noch lange auf und nieder, ehe er ſich be¬ ruhigte. Dann warf er ſich auf's Bett und ſchlummerte endlich unter den ſeltſamſten Traͤumen ein. Am folgenden Morgen ſaßen Florio und Fortunato unter den hohen von der Morgenſonne durchfunkelten Baͤumen vor der Herberge mit einander beim Fruͤh¬ ſtuͤck. Florio ſah blaͤßer, als gewoͤhnlich, und ange¬ nehm uͤberwacht aus. — „Der Morgen,“ ſagte For¬ tunato luſtig, „iſt ein recht kerngeſunder, wildſchoͤner Geſell, wie er ſo von den hoͤchſten Bergen in die ſchla¬ fende Welt hinunterjauchzt und von den Blumen und

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Zitationshilfe: Eichendorff, Joseph von: Aus dem Leben eines Taugenichts und das Marmorbild. Berlin, 1826, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/eichendorff_taugenichts_1826/166>, abgerufen am 23.11.2024.